worktag

Servicefachangestellte Alessandra Cesari (49): Italianità in der Quartierbeiz

Ralph Hug

Alessandra Cesari hat im Gast­gewerbe schon alles erlebt: Missgunst, mangelnden Respekt, schlechte Bezahlung. Doch in ihrem neuen Job, abseits des hochpolierten Cüpli-Zürich, fühlt sie sich endlich angekommen.

ALESSANDRA CESARI (49) serviert ihren Gästen nicht nur Getränke, sondern auch Film-Tipps aus der Emilia-Romagna. (Foto: Michael Schoch)

Eigentlich hätte sie an diesem Tag freigehabt. Doch unglücklicherweise wurde die Chefin krank. Deshalb muss Alessandra Cesari am vereinbarten Interviewtermin arbeiten. Macht nichts, findet die aufgestellte Italienerin. «Ich komme gleich», ruft sie hinter der Theke hervor, als work um 14 Uhr im Gemeinschaftszentrum (GZ) Buchegg erscheint. Einer echten Institution in Zürich: als sozialer und kultureller Treffpunkt mit Veranstaltungen, Bildungsanlässen und Workshops. Insgesamt gibt es 17 solche Zentren. Sie sind Inseln der Solidarität im hochpolierten Cüpli-Zürich.

HERZBLUT. Es ist noch nicht viel los in der Cafeteria. Nach und nach trudeln junge Mütter mit ihren Babies und Kindern ein. Sie bestellen Kaffee und Kuchen, halten die Kleinen im Zaum oder klappen den Laptop auf. Alessandra Cesari bedient sie alle sofort. Und erzählt work gleichzeitig ihre Geschichte – auch mal quer durch die Beiz hindurch.

Cesaris Auftritt ist Italianità pur: offen, unkompliziert, erzählfreudig und optimistisch. Sie legt direkt los, als wäre der Journalist ein alter Bekannter. Manchmal kippt sie spontan in ihre Muttersprache und findet erst nach einer Weile wieder her­aus. An ihrem Deutsch feilt sie aber hartnäckig. Schliesslich will sie mit den Besucherinnen und Besuchern des Zentrums ins Gespräch kommen und etwas von ihnen erfahren. Cesari ist sichtlich glücklich in ihrem jetzigen Job: «Hier herrscht ein gemeinschaftlicher Geist. Das ist wunderbar, ich lerne viele tolle Leute kennen!» Als sie vor fünf Jahren aus dem krisengebeutelten Italien in die Schweiz kam, arbeitete Alessandra Cesari als Kellnerin in verschiedenen Restaurants. Doch dort herrschte ein anderer Geist. Cesari erlebte Missgunst, mangelnden Respekt, schlechte Bezahlung und oft miese Stimmung. «Diese Branche hat ein grosses Problem», sagt die 49jährige. Setzt aber gleich hinzu, dass es in Italien überhaupt nicht besser sei.

Ziemlich abgestellt hat es ihr aber als Verkäuferin in einer Schweizer Modeboutique. Der Chef zahlte die Löhne nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht, ebenso wenig die Sozialabgaben. Alessandra Cesari wehrte sich, schaltete die Unia ein und erstritt zusammen mit Kolleginnen den ausstehenden Lohn. Es dauerte eine Weile, aber: «Am Schluss haben wir gesiegt!» Cesari ist eine Herzblut-Gewerkschafterin und auch in der Unia-Frauengruppe aktiv, wo es derzeit nur ein Thema gibt: den Frauenstreik am 14. Juni. Sie sagt: «Natürlich hoffen wir auf einen Grosserfolg, wir tun alles dafür.»

HEIMAT. Die Arbeit im Service ist Cesaris Brotjob. Im Gemeinschaftszentrum Buch­egg hat sie ein Teilzeitpensum im Stundenlohn, dazu kommt ein weiteres Pensum im Gemeinschaftszentrum Schindlergut. Der kulturelle Aspekt der Gemeinschaftszen­tren passt gut zu Cesari: In ihrer Freizeit ist sie als Projektkoordinatorin in der ita­lienisch-migrantischen Kulturszene aktiv. Cesari organisiert und vermittelt Dokumentarfilme aus ihrer Heimat, der Emilia-Romagna. Dies mit der Unterstützung des ­Dokumentarfilmverbands (D. E-R) und finanziert durch öffentliche Mittel dieser Region. Kürzlich brachte Cesari etwa das Filmportrait des legendären Musikers ­Secondo Casadei (1906–1971) auf die Leinwand – nicht nur in Zürich, sondern auch in der Casa del Popolo in Bellinzona sowie an anderen Orten in der Schweiz. Zu Casadeis Klängen tanzten früher Tausende von Italienerinnen und Italiener an Dorffesten im Freien. Er galt als derjenige, der dem amerikanischen Boogie auf typisch italienische Weise die Stirn bot – mit viel Schmelz, Herzschmerz und in der Art des argentinischen Tangos. Cesaris Eltern gehörten zu jenen, die diese Konzerte im Sommer jeweils mit Ungeduld erwarteten.

HOFFNUNG. Der letzte Film, der durch Cesaris Zutun zu sehen war, ist das Werk «Hotel Splendid» von Mauro Bucci. Er zeigt das Leben von afrikanischen Geflüchteten, die in einer italienischen Kleinstadt am Meer auf eine bessere Zukunft hoffen. Das Hotel Splendid ist ihre Unterkunft. Für Cesari ein Dokument höchster Aktualität angesichts der fremdenfeindlichen Politik, die von Italiens Ministerpräsidentin und Neofaschistin Georgia Meloni gerade weiter befeuert wird.

Auch Alessandra Cesari hofft auf eine gute Zukunft – und zwar in der Schweiz. Geht alles gut, erhält sie bald die feste Niederlassungsbewilligung. Sie lacht und verabschiedet work mit einem herzlichen «Ciao!». Nicht ohne einem Kollegen zuzuraunen, dass es hier zwar um ein Portrait über sie und ihre Arbeit gehe. «Aber das ist ja auch Werbung für das Gemeinschaftszentrum, nicht wahr?»


Alessandra CesariService mit Kultur

Alessandra Cesari wurde in Mailand geboren und wuchs auf dem Land in einer politisch engagierten Familie auf. Ihr Vater, der schon früh starb, war Elektriker und Gewerkschafter bei der italienischen Staatsbahn. Ihre Mutter ist überzeugte Feministin.

Cesari studierte in Bologna Soziologie mit Schwerpunkt Menschenrechte. Als sich die politische Situation in Italien verschlechterte, entschloss sie sich zur Emigration – in die Schweiz, wo sie seither mit ihrem Mann in der Stadt Zürich lebt.

DOK-ABENDE. Cesari sagt: «Auch die Schweiz hat viele Probleme, doch hier fühle ich mich gut aufgehoben.» Sie schätzt ihre Service­arbeit in den Gemeinschaftszentren Buchegg und Schindlergut und ihre Tätigkeit als Kulturarbeiterin unter italienischen Landsleuten. Sie veranstaltet Abende mit Dokumentar­filmen, zum Beispiel im Lokal «Punto de encuentro» an der Josefstrasse, zusammen mit Trägern wie dem Verein «Istituto Italiano di Cultura di Zurigo» oder der gemeinnützigen Kulturorganisation «La Fabbrica di Zurigo».

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