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«Status F» – ein Leben im Dauerprovisorium

Ralph Hug

Frei und trotzdem eingesperrt: Zum ersten Mal berichten vorläufig aufgenommene Geflüchtete über ihr Leben in der Schweiz.

«ICH KONNTE NICHTS TUN»: Als vorläufig Aufgenommener musste der Syrer Yahya sich und seinen Neffen mit 300 Franken im Monat durchbringen. (Foto: Clara Neugebauer)

Sie sind weder als Flüchtlinge anerkannt, noch sind sie abgewiesen. Sondern «vorläufig aufgenommen». Ihr Schicksal ist ungewiss. Sie wissen weder, ob sie bleiben können, noch, was ihre Perspektive ist. Jederzeit droht ihnen die Ausweisung. Die Schweizer Asylbürokratie hat für sie seit 1987 den Status F kreiert.

Nur: Dieser Status ist kaum bekannt. Zücken vorläufig Aufgenommene den Ausweis, den es nur im Papier- statt im Kreditkartenformat gibt, ernten sie meist Unverständnis: «Das soll ein Ausweis sein?» Deshalb hilft er den Betroffenen kaum weiter. «Vorläufige» dürfen zwar eine Wohnung beziehen und erwerbstätig sein. Meist erhalten sie aber keine Stelle. Welcher Chef stellt schon eine Person ein, die schon morgen des Landes verwiesen werden könnte? Dies, obwohl das «Vorläufig» oft Jahre dauern kann.

Wie bei Samuel aus Äthiopien, wo ein Bürgerkrieg herrscht. Volle neun Jahre lebte er in verschiedenen Asylunterkünften und Durchgangsheimen, verbrachte einen tristen, eintönigen Alltag. Mit Gelegenheitsjobs konnte er hie und da etwas Geld verdienen. Die prekäre Existenz schlug ihm aufs Gemüt. Immer mehr plagten ihn Schlafstörungen und depressive Verstimmungen. «Kein Einzelfall», sagt Dr. Fana Asefaw, Ärztin und Spezialistin für Trauma- und Migrationsfragen. Derzeit leben rund 50 000 «Vorläufige» in der Schweiz. Viele von ihnen entwickeln ähnliche Krankheitssymptome wie Samuel.

Ungewissheit und Armut machen viele «Vorläufige» krank.

SCHOCKMOMENTE

Was es heisst, ein Dasein als «Vorläufige» fristen zu müssen, schildern Betroffene eindrücklich in der Broschüre «Ich habe Status F – Leben als Vorläufige», die der Zürcher Verein map-F herausgegeben hat. Die meisten sind aus Afghanistan, Syrien, Somalia oder Eritrea geflohen. Karim zum Beispiel stammt aus dem bürgerkriegsversehrten Syrien. Er berichtet: «Seit meiner Ankunft in der Schweiz habe ich zahlreiche Schockmomente erlebt». Einer war, als er den Status F zugesprochen erhielt. Sein Asylantrag war abgelehnt worden. Doch weil er wegen des Bürgerkriegs nicht in die Heimat weggewiesen werden konnte, wurde er ein «Vorläufiger». Fünf Jahre lang erlebte er Ausschluss und Diskriminierung. Karim: «Es fühlte sich an, wie wenn du Hunger hast und ein Teller Essen vor dir steht, du aber nichts nehmen darfst.» Inzwischen hat er – nach zehn Jahren – endlich den Status als anerkannter Flüchtling erlangt.

Für Adeola aus Nigeria war der Status F zwar positiv. Aber nur, weil sie dadurch ihre Tochter wieder bei sich haben konnte. Diese hatte sie in eine Pflegefamilie gebracht, um ihr das Hin und Her mit Polizei und Behörden zu ersparen. Der Status F ermöglichte ihr, das Sorgerecht für die Tochter zu beantragen. Jetzt kann sie mit ihr und ihrem Partner zusammenleben und ist nicht mehr abhängig von der Asylfürsorge. Menschen mit Status F leben meist ausschliesslich von dieser Fürsorge. Die Ansätze liegen 30 Prozent unter denjenigen der Sozialhilfe. Da die Gemeinden zuständig sind, gibt es solche, die selbst diese magere Hilfe noch kürzen. Der tiefste Satz, der dem Verein map-F bekannt ist, liegt bei 10 Franken pro Tag und Person. Das sind 70 Prozent weniger als bei der regulären Sozialhilfe.

«WIE IM GEFÄNGNIS»

So ist der Spielraum für «Vorläufige» minimal. Yahya, der wie Karim aus Syrien stammt, drückt es so aus: «Dieser Status ist wie ein Gefängnis, wie ein grosser Käfig.» Yahya musste sich und seinen elfjährigen Neffen mit 300 Franken im Monat durchbringen. «Das war hart. Ich hatte nichts – kein Telefon, kein ÖV-Billett. Ich konnte nichts tun, nichts kaufen.»

Die Stimmen mehren sich, die solche menschenrechtlich unhaltbaren Zustände wie den Status F nicht länger hinnehmen wollen. Auch weil er irreführend ist: Die meisten «Vorläufigen» können gar nicht zurück. Viele bleiben jahrelang in der Schweiz. Und manche sogar für immer.

Ich habe Status F – Leben als Vorläufige, herausgegeben vom Verein map-F, Zürich 2022, Fr. 33.–, Bezug über map-f.ch.

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