Gewalt gegen Frauen
Was muss noch alles passieren, damit es wirklich vorwärtsgeht?

Endlich: Die Schweiz lanciert die erste nationale Kampagne gegen häusliche und sexualisierte Gewalt. Doch da liegt noch viel mehr drin, wie Italien und Spanien zeigen. In beiden Ländern haben Femizide die Bevölkerung und die Politik wachgerüttelt.

Beitrag vorlesen lassen.
0:00 / 7:26
GEDENKEN AN FEMIZID-OPFER: Aktion anlässlich der Kampagne «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» in Zürich. (Foto: Keystone)

Es sind besorgniserregende Zahlen, die eine Studie der Uno kürzlich veröffentlichte: Weltweit erlebt jede dritte Frau Gewalt. Schätzungen gehen von 840 Millionen Opfern aus. Meistens sind es Angriffe von Partnern und Expartnern. Weiter berichtet die Uno, dass alle zehn Minuten eine Frau durch den Partner oder ein Familienmitglied ermordet wird. Auch in der Schweiz sind die Zahlen der Femizide besorgniserregend. Im 2025 verzeichnen wir hierzulande sogar einen traurigen Rekord:

Auch in den Ländern rund um die Schweiz sind Femizide und der Anstieg von Gewalt gegen Frauen allgegenwärtig. So auch in Italien. Dort haben Ehemänner, Lebensgefährten, Expartner, Brüder oder Söhne im vergangenen Jahr 113 Frauen ermordet, weil sie Frauen sind. Die italienische Regierung unter Neofaschistin Giorgia Meloni hat die Gefahr für die Frauen in ihrem Land erkannt. Doch erst nach dem Mord an der der 22jährigen Studentin Giulia Cecchettin, der ganz Italien aufrüttelte und zu massiven Protesten führte (work berichtete).

DER FEMIZID, DER ITALIEN VERÄNDERT HAT: Nach der Ermordung von Giulia Cecchettin gingen die Menschen in ganz Italien auf die Strasse. (Foto: Keystone)

Am 8. März, dem Weltfrauentag, präsentierte Italien neue Präventionsmassnahmen: Neu soll Femizid als eigener Strafbestand gelten. Und die Täter mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe bestraft werden (zum work-Artikel). Am 25. November, dem internationalen Tag gegen geschlechtsspezifische Gewalt, nahm Italien den Tatbestand des Femizids offiziell ins Strafgesetzbuch auf. 
 
Im neuen Artikel 577b heisst es demnach:

Wer den Tod einer Frau verursacht und die Tat begangen wurde aus Gründen der Diskriminierung oder des Hasses gegen die Betroffene, weil sie eine Frau ist, oder um die Ausübung der Freiheitsrechte und der Entfaltung der Persönlichkeit der Betroffenen zu unterbinden, wird mit lebenslanger Haft bestraft.

Ein Meilenstein, bei dem sich das italienische Parlament von rechts bis links einig war. Elly Schlein, Chefin der italienischen Demokraten PD, betont aber, dass das hohe Strafmass allein nicht reicht, um Gewalt zu verhindern. Denn im italienischen Parlament wurde vor kurzem eine neue Diskussion entfacht: Die rechte Regierung unter Meloni will den Sexualkundeunterricht einschränken. Bürgerliche Parlamentarier sind der Meinung, dass Sexualunterricht Sache der Eltern und nicht der Schule sei. Schlein stellt sich klar dagegen, denn sexuelle Aufklärung ist Präventionsarbeit gegen Gewalt und schliesslich gegen Femizide.

Der Femizid, der Spanien aufrüttelte

Spanien gehört zu den fortschrittlichsten Ländern in Europa in Bezug auf die Prävention von Gewalt gegen Frauen. Doch auch in Spanien «brauchte» es erst einen besonders brutalen Femizid, bis endlich Bewegung in die Sache kam: der an Ana Orantes. Als Opfer von häuslicher Gewalt sprach Ana Orantes in einem legendären Fernsehinterview 1997 von vier Jahrzehnte langer Erniedrigung, Gewalt, Prügel. Sie hatte ihren Ehemann mehrmals angezeigt – erfolglos. Erst nach vielen Jahren gelang es Orantes, den gefährlichsten Ort (ihr Zuhause) und den gefährlichsten Menschen in ihrem Leben (ihren Ehemann) zu verlassen. Als die Trennung endlich über die Bühne war, sprach sie im öffentlichen Fernsehen über die erlittene Gewalt. Und sie tat es schonungslos:

Er kam nach Hause, betrunken, und verprügelte mich. Ich musste es ertragen, dass er mir Schläge um Schläge erteilte. Schläge um Schläge. Wann es ihm passte.

ANA ORANTES: Sie erzählte 1997 in einem TV-Interview ihre schockierende Geschichte. (Foto: Screenshot)

Zwei Wochen nach ihrem Fernsehauftritt wurde Ana Orantes von ihrem Exmann getötet. Er passte sie ab, übergoss sie mit Benzin und verbrannte sie bei lebendigem Leib. 2004 einigte sich das spanische Parlament geschlossen und ohne eine einzige Gegenstimme auf ein Gesetz mit Massnahmen gegen geschlechtsspezifische Gewalt. 

Das erfolgreiche spanische Modell 

Das vor über 20 Jahren eingeführte Gesetz beschäftigt sich breit mit dem Thema «Gewalt gegen Frauen». Angefangen bei der Justiz: Bei entsprechenden Fällen wird ein spezialisiertes Gericht eingesetzt, das sich allein um dieses Themengebiet kümmert. Auch die spanische Polizei ist sensibilisiert. So werden Täter in einer landesweiten Datenbank inklusive Risikobewertung erfasst. Besonders das Prinzip der Fussfessel ist eine effektive Methode, die zurzeit auch in weiteren Ländern wie Deutschland zur Diskussion steht: Täter, die sich ihren Opfern nicht nähern dürfen, tragen Fussfesseln mit GPS. Auch die Opfer werden mit einem GPS-Armband ausgestattet. So wird überwacht, ob sich der Täter dem Opfer wieder nähert.
 
Weiter sind rund um die Uhr erreichbare Anlaufstellen für Betroffene verfügbar. Landesweit gelten die gleichen Standards im Umgang mit den Tätern. Zudem werden Personen, die im Justiz-, Polizei- oder Gesundheitswesen tätig sind, spezialisiert geschult. Und in den Schulen wird Präventionsarbeit betrieben. Dank all diesen Massnahmen schwindet in der spanischen Gesellschaft, auch dank der klaren Haltung der Regierung, die Toleranz gegenüber Gewalt an Frauen.

Was macht die Schweiz?

Und bei uns? Erst jetzt gibt es erste Bemühungen, die geschlechtsspezifische Gewalt zu bekämpfen. So lancierten Bund, Kantone und Gemeinden gemeinsam mit NGO diesen November die erste nationale Kampagne gegen häusliche, sexualisierte und geschlechtsbezogene Gewalt. Die Nothotline unter der Nummer 142, die eigentlich jetzt schon in Betrieb sein sollte, wird hingegen erst Mitte 2026 eingeführt. Grund für die Verzögerung sind technische Schwierigkeiten. Fast schon eine zynische Begründung angesichts der besorgniserregenden Situation. Allein im vergangenen Jahr wurden in der Schweiz 20'000 Straftaten im Bereich der häuslichen Gewalt erfasst. Hoffentlich braucht die Schweiz keinen Ana-Orantes-Fall, bevor sie Frauen wirklich vor Gewalt schützt. 

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.