MS Direct: Ex-Mitarbeiterin über die Zustände im Call-Center
«Sie haben mich verhört statt mir zugehört»

Überwachung und schikanöse Chefs: Ex-Mitarbeiterin Franziska Grossen berichtet von einem Klima der Angst im Call-Center der Firma MS Direct.

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ANTRABEN BEI GLEICH DREI CHEFS: Ex-Mitarbeiterin Franziska Grossen hat solche Einschüchterungsversuche erlebt. (Montage: work)

Franziska Grossen* sagt: «Wenn du selbstbewusst bist, versuchen sie dich zu schwächen und zu isolieren.» Als sie als Call-Center-Mitarbeiterin bei MS Direct angefangen habe, sei sie offen und direkt gewesen: «Wenn etwas nicht okay ist, spreche ich das an.» Dadurch sei sie ins Visier der Chefs geraten. Etwa dann, wenn allen Mitarbeitenden neue Arbeitsplätze zu­gewiesen wurden, was oft vorgekommen sei.

Mich haben sie immer so platziert, dass ein Vorgesetzter neben oder hinter mir sass, um mich zu kontrollieren.

Grossen ist bei weitem nicht die erste Mitarbeiterin, die bei MS Direct üble Dinge erlebt hat. Immer wieder bringen mutige Mitarbeitende Missstände ans Licht (siehe Chronik unten). Im Call-Center nehmen die Mitarbeitenden im Namen verschiedener Firmen Anrufe von Kundinnen und Kunden entgegen. Laut Grossen werden alle Gespräche aufgezeichnet. «In einem gesunden Arbeitsverhältnis wertet der Vorgesetzte alle paar Monate aus, wie jemand die Gespräche führt und was er oder sie noch verbessern könnte.» Doch ihr Teamleiter habe sie mehrmals direkt angefahren, wenn sie ­einen Fehler machte. Und zwar vor den Kolleginnen und Kollegen.

Ich fühlte mich jeweils total blossgestellt.

Vertröstet, dann geschasst

So habe er etwa kritisiert, sie sei zu einem Kunden frech gewesen. «Aber ich bekam nie die Möglichkeit, zu erklären, warum ich etwas gesagt hatte. Wenn ich den Mund aufmachte, unterbrach er mich ständig.» Mit der Zeit schlägt ihr dieses Arbeitsklima auf die Psyche, sie bekommt Schlafstörungen. Wiederholt äussert sie den Wunsch, in ein anderes Team zu wechseln. «Dann hiess es jeweils: Okay, wir schauen das an.» Aber es passiert nichts. Zwei Jahre lang. Dann erhält Franziska Grossen die Kündigung. Offiziell wegen schlechter Leistung. Für sie ist klar: Weil sie dem Teamleiter gesagt hatte, dass sie sich von ihm nicht re­spektiert fühle. Gegenüber work stellt Dialogworld-Chef Daniel Mally die Praktiken der Firma ganz anders dar. Es gebe keine Arbeitsplatzrotationen oder «spezielle Sitzplatzvorschriften». Anliegen von Mitarbeitenden würden «sorgfältig geprüft», und ­ausgewertete Gespräche mit Kundinnen und Kunden würden ausschliesslich «in einem Sitzungszimmer besprochen». Mitarbeitendengespräche würden mit der ­direkt vorgesetzten Person geführt, bei wiederholten Krankheitsabwesenheiten zusätzlich mit jemandem aus der Personalabteilung.

Franziska Grossen widerspricht dezidiert. Im Call-Center herrsche ein Klima der Angst. Ihr hätten die Chefs gar eine Extraportion Einschüchterung verabreicht: Manchmal seien ihr beim Mitarbeitendengespräch drei oder mehr Kaderleute gegenübergesessen.

Das war wie auf einem Polizeiposten. Sie haben mich verhört statt mir zugehört.

Seit einem Firmenzusammenschluss im Sommer 2020 heisst die Call-Center-Firma nicht mehr MS Direct, sondern ­Dialogworld. Ist aber weiterhin Teil der MS Direct Group. Deren Chef ist Milo Stössel. Auf eine Anfrage von work hat Stössel nicht reagiert. In der SRF-«Rund­schau» kommentierte er 2018 Kritik so: «Wenn man nicht will, muss man diesen Job ja nicht machen.»

* Name geändert

Miese Tricks und noch miesere Löhne: Die Skandalfirma MS Direct

Ob im Call-Center oder bei den Zalando-Retouren: Immer wieder legt die MS-Direct-Gruppe einen respektlosen Umgang mit Mitarbeitenden an den Tag.

Dezember 2017: In work schildert Maria B. die Zustände bei MS Direct in St. Gallen. Sie musste Zalando-Retouren reinigen und sortieren. Wer zu langsam ist, wird alle zwei Stunden zur Eile angetrieben. In der Halle zieht es, im Winter braucht sie Handschuhe. Ihr Anfangsstundenlohn: 16.50 Franken.

Februar 2018: Zwei Frauen lassen die miesen Maschen im Call-Center in Feldmeilen ZH auffliegen. MS Direct wollte beiden den Arbeitsvertrag deutlich verschlechtern. Eine von ihnen unterschrieb und verdiente danach 600 Franken weniger im Monat. Die andere unterschrieb nicht und bekam die Kündigung.

August 2019: MS Direct und die Gewerkschaft Syndicom schlies­sen einen Gesamtarbeitsvertrag ab. Die Löhne sind kaum mehr, als was MS Direct bisher bezahlt hat. 17.57 Franken pro Stunde im ersten halben Jahr, dann 18.21 Franken für Ungelernte und 19.12 für Gelernte.

November 2019: Weitere fünf Ex-Mitarbeitende aus Call-Centern packen aus. Alle berichten von Lohndrückerei, in Muttenz BL zudem von gruusigen Büros.

August 2020: Der Schweizer Presserat urteilt über eine Be­­schwerde von MS Direct – und hält fest: work hat weder «unwahre Behauptungen verbreitet» noch «wichtige Informationen unterschlagen» und auch die kritisierte Firma korrekt angehört. Er weist die Beschwerde vollumfänglich ab.

November 2024: In Arbon TG stellt MS Direct eine schwangere Mitarbeiterin auf die Strasse. Nur wenige Stunden nachdem sie den Betrieb über die Schwangerschaft informiert hat. Sie wehrt sich mit Unterstützung der Unia und einigt sich mit MS Direct auf eine aus­sergerichtliche Entschädigung. Über den Inhalt wurde Stillschweigen vereinbart.

September 2025: MS Direct vernichtet jede Woche Tausende neuwertige Artikel, anstatt sie wieder in den Verkauf zu bringen. Das berichtet im «Blick» ein Mitarbeiter. Die Auftraggeber der Firma, die Onlinehändler Zalando und Apfelkiste, seien darüber im Bild. Bei den Zalando-Kleidern lande etwa jeder vierte zurückgeschickte Artikel im Abfall. Geschätzt seien so innert sechs Jahren Waren im Wert von bis zu 40 Millionen Franken vernichtet worden. Zalando und Apfelkiste bestreiten die Kritik.

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