Massenproteste für Gaza
Italien im Ausnahmezustand

Der Völkermord in Gaza schlägt auf Europas Regierungen zurück. Italiens Neofaschistin Giorgia Meloni gerät in Nöte.

STOP DEM GENOZID: Proteste für Gaza vor dem Kolosseum in Rom (Foto: Keystone).

In der toskanischen Hafenstadt Livorno trug eine junge Frau das Foto der ermordeten palästinensischen Journalistin Marwa Musallam an die Demonstration gegen den israelisch-amerikanischen Genozid in Palästina. Sie sagte: «Wie könnte ich weiterstudieren, leben, flirten, essen, während vor meinen Augen und mit der Hilfe meiner Regierung, also in meinem Namen, Zehntausende massakriert werden? Ich schlafe nicht mehr.» Zur selben Zeit schnappte sich in Mailand ein Gewerkschafter des Basiskomitees SI Cobas das Mikrophon und schrie:

Die Kinder, die da massakriert werden, sind unsere Kinder. Die toten Mütter sind unsere Mütter. Die Brüder…

Generalstreik

An jenem 3. Oktober gingen in 100 italienischen Städten mehr als 2 Millionen auf die Strasse. Ein Generalstreik lähmte das Land. Regierungschefin Giorgia Meloni verhöhnte ihn: «Ein verlängertes Wochenende ist noch keine Revolution.» Tags drauf wuchs der grösste Protest seit 20 Jahren in Rom zum Millionen-Menschenmeer.

         Es war der vorläufige Höhepunkt einer Bewegung, die schon lange gärte und am 30. August in Genua mit dem Auslaufen der Hilfsflotte für Gaza spektakulär wurde: Angeführt von der autonomen Docker-Gewerkschaft USB, gaben 50 000 der «Sumud-Flotilla» den Salut. Zuvor hatte die USB die Verladung von Kriegsmaterial für Israel blockiert, in Koordination mit den Dockern in Marseille, Barcelona, Livorno und Ravenna. Seit die israelische Regierung die Hilfsschiffe gekapert hat, wächst die Bewegung. So schnell wird sie nicht enden: Neue Schiffe sind unterwegs, die Marine Israels greift sie nun schon mitten im Mittelmeer an. In einem Brief an Bundesrat Ignazio Cassis verlangt der Schweizerische Gewerkschaftsbund, die Teilnehmenden der humanitären Flotte zu unterstützen.

         Bereits nach einem ersten Generalstreik von USB und Cobas am 22. September drohte Melonis Regierung den streikenden Gewerkschaften mit drakonischen Strafen. Sie verbot Streik und Protest. Am 8. Oktober kam es darüber in Bologna zu gröberen Scharmützeln.

Meloni jammert

Meloni, gegen die beim Internationalen Strafgericht eine Klage wegen Beihilfe zum Genozid läuft, tut jetzt, was die Rechtsextremen besonders gut können: Sie jammert bitterlich über böse Kräfte, die «mich politisch angreifen wollen». Palästina sei nur ein Vorwand. Das ist arrogant und menschenverachtend. Aber vielleicht hat sie doch irgendetwas richtig verstanden. Zwar glänzt die Opposition von Sozialdemokraten (PD) und Cinque Stelle in dieser Massenbewegung mit Abwesenheit. Sie hat ihren Kredit weitgehend verspielt, weil sie im Juni fünf Referenden der Gewerkschaften zu Arbeitsgesetzen, demokratischen Grundrechten und Immigration, die Melonis Politik zurückdrehen sollten, durch Selbstsabotage vergeigt hat.

Blockieren wir alles!

Doch an den Demos tauchte ein interessanter Slogan auf: «Blockieren wir alles!» Unter diesem Kampfruf hat eine Revolte gerade erst die Regierung in Paris gestürzt – ohne das Zutun linker Parteien.

Pirat Luffy wird zum
Symbol der Proteste.

         Und neben den palästinensischen Flaggen flattert an Italiens Protesten nun häufig ein Banner, das dieser Tage die Revolte der Generation Z in Indonesien, auf den Philippinen, in Thailand, Myanmar, Nepal, Marokko und Frankreich anführt: ein grinsender Piraten-Totenkopf mit Strohhut. Er ist dem japanischen Manga «One Piece» entnommen, das 500 Millionen Mal verkauft wurde. Knapp gesagt verkündet der lebenslustige Pirat Luffy darin: «Wir alle kämpfen für eine lebenswerte Existenz, die man uns stehlen will.» Indonesien hat das Symbol bereits verboten.

Die Unerträglichkeit des Genozids ist der zündende Anlass, doch immer mehr erkennen die Verbindung zwischen der globalen faschistischen Welle, verschärftem Kapitalismus, mörderischer Klimakatastrophe, neuem Imperialismus und der wachsenden Missachtung allen Menschenrechts. Sie denken ihre Lage und die diversen Kämpfe zusammen.

         In Venedig schnitten die Demonstrierenden die Stadt vom Übertourismus ab. In Florenz ging es auch um zerstörten Wohnraum. Mailänderinnen verteidigten Gaza und die autonomen Sozialzentren. Turiner Gewerkschafter, die in Dutzenden von Fabrikkämpfen engagiert sind, sprachen über Rüstung und grüne Reindustrialisierung. Kalabresische Frauen zogen aus ihrer sanitären Diskriminierung die Solidarität mit palästinensischen Müttern. Das macht diesen Aufstand des Gewissens so brisant.

Quittung für die Regierung

Mit der Kritik an Italiens Unterstützung für Netanjahu quittiert das Land gleichzeitig drei Jahre Meloni. Sie hat den Schutz der Arbeitenden und der Gewerkschaftsrechte geschleift, die öffentlichen Medien auf Linie gebracht, das Bürgergeld abgeschafft. Sie schreibt die Geschichte Italiens um, bedroht jede kritische Regung mit Sicherheitsgesetzen.

Die Reallöhne liegen heute unter dem Niveau von 2008, 8 Millionen Familien leben in absoluter Armut, jede und jeder vierte ist armutsbedroht. Doch die Vermögen der Reichen erreichen das Achtfache des BIP.

Jetzt lässt Meloni alle Masken fallen, feiert den rassistischen Hetzer Charlie Kirk als «Märtyrer» und will den Palästinaprotest nutzen, um die Verfassung von 1948 zu kippen. Sie wurde geschrieben, um die Rückkehr das Faschismus zu verhindern.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.