Monster, Sündenböcke und Königinnen
Es gibt Geschichten, die sind so haarsträubend, dass sie nur das echte Leben schreiben kann. Zum Beispiel jene des Gastrochefs, der seine Mitarbeiterinnen mit Sex-SMS belästigt.

Es ist zwar fast schon üblich, aber daran gewöhnen können sich die Arbeitnehmenden ganz sicher nicht: Auch im nächsten Jahr werden die Krankenkassenprämien wieder deutlich steigen, und zwar im Mittel um 4,4 Prozent. Eine vierköpfige Familie bezahlte bereits im Jahr 2016 die horrende Prämiensumme von fast 10 000 Franken, nächstes Jahr werden es bereits über 14 000 Franken sein. Mit einem solchen Anstieg können die besten Lohnabschlüsse nicht ansatzweise mithalten.
Die Bürgerlichen sagen oft, die Versicherten könnten selbst viel mehr für tiefere Prämien tun, indem sie zum Beispiel konsequent jedes Jahr zur günstigsten Kasse wechseln. Abgesehen davon, dass dieses Wechselkarussell absurd und teuer ist, können wir alle zusammen mit einem Kassenwechsel nichts einsparen, denn für das Kollektiv gilt der Grundsatz: Prämien = Kosten. Zudem haben bereits heute vier von fünf Personen ein sogenanntes alternatives Versicherungsmodell gewählt (HMO, Hausarzt, Telemedizin usw.). Viel Spielraum für Optimierung gibt es hier also seitens der Versicherten ohnehin nicht mehr.
Die unsoziale Finanzierung des Gesundheitswesens ist aber nicht nur eine Zumutung für die Arbeitnehmenden, sie schadet auch der Wirtschaft: Was sich die Leute für die Prämien vom Mund absparen müssen, das fehlt ihnen für den Restaurantbesuch oder das Fitnessabo.
Die ungerechten Kopfprämien scheinen jedoch trotzdem eine heilige Kuh zu sein. Vor mehr als einem Jahr wurde leider die von den Gewerkschaften unterstützte Prämienentlastungsinitiative abgelehnt. Mit der Umsetzung des Gegenvorschlags kommt es zwar zumindest in einigen Kantonen zu einer Erhöhung der Prämienverbilligungen. Dies jedoch nur sehr moderat – und sowieso erst ab dem Jahr 2028. Gleichzeitig drohen weitere Belastungen der Versicherten, denn das Parlament will sowohl eine Notfallgebühr einführen als auch die Mindestfranchisen erhöhen. Das sind völlig unhaltbare Vorschläge, die unbedingt verhindert werden müssen. Stattdessen stehen die Kantone weiter in der Pflicht, endlich mehr Geld für eine soziale Finanzierung des Gesundheitswesens in die Hand zu nehmen.
Reto Wyss ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).