Besuch im ehemaligen Grenzsanitätszentrum Buchs-Birkenau
Wo die Schweiz die «reinen» von «unreinen»Saisonniers getrennt hat

Bis Anfang der 1990er Jahre führte die Schweiz bei Saisonniers systematische Gesundheitschecks durch. Im Grenzsanitätszentrum Buchs-Birkenau SG mussten sich täglich bis zu 1500 Personen diesen entwürdigenden Kontrollen unterziehen.

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ANMELDUNG ZUM MEDIZINCHECK: Saisonniers in Buchs. (Foto: zvg)

In einer Autowerkstatt am Rande von Buchs SG, in einem unscheinbaren länglichen Bau entlang den Gleisen. Hier liest Shpresa Jashari (43) Passagen aus ihrem Romanprojekt «Arbeitskörper»: «Als wir an Buchs vorbeifahren, sagt Dati: Hier haben sie jeweils den Zug angehalten und uns kontrolliert. Er sagt nicht, dass sie nicht nur die Papiere kontrolliert haben. Er sagt ‹uns› und er sagt ‹sie›. Wer war es, der ihm in seine Augen geschaut hat, mit einem kleinen Licht? Und in seinen Mund. Der seine Brust mit dem Stethoskop berührt und mit einer Maschine durchleuchtet hat. Jedes Jahr, an der Grenze.»

Der «reine» und der «unreine» Teil

Das ehemalige Grenzsanitätsgebäude Buchs-Birkenau diente ab 1959 für die obligatorischen Gesundheitschecks der Saisonniers an der Schweizer Grenze.

Die Denkmalpflege des Kantons St. Gallen hat zum Europäischen Tag des Denkmals an diesen geschichtsträchtigen Ort geladen. Bis in die 1990er Jahre hat man hier Arbeitsmigranten und -migrantinnen bei ihrer Einreise in die Schweiz medizinisch untersucht, ihre Lungen geröntgt und auf Tuberkulose untersucht. Die meisten, die damals für Arbeit über die Schweizer Ostgrenze kamen, stammten aus Jugoslawien. «Das Gebäude ist ein zentraler Schauplatz in der Schweizer Migrationsgeschichte», sagt der Architekt Manuel Medina Gonzalez, der zusammen mit der Architektin Lucia Bernini durch die Geschichte und das Gebäude führt. Die Grenzsanität war exakt symmetrisch aufgebaut, mit einer Schleuse in der Mittelachse, die den «unreinen» südlichen Teil vom «reinen» nördlichen Teil der Anlage trennte.

EINTAUCHEN IN DIE GESCHICHTE: Führung durch das ehemalige Grenzsanitätszentrum zum Europäischen Tag des Denkmals. (Foto: isc)

Welche Krankheiten brachten die Saisoniers zurück?

Dass die Saisonniers keine Krankheiten ins Land brachten, war den Grenzbeamten wichtig. In welchem Gesundheitszustand sie die Schweiz verliessen, interessierte hingegen niemanden. Der Historiker Thomas Huonker (71) besuchte das Grenzsanitätszentrum Birkenau im Jahr 1988, als es noch in Betrieb war. Damals hielt er fest:

Alljährlich wird hier überprüft, ob die Schweiz nicht aus durchlöcherten Saisonnierlungen einen gefährlichen Ansturm von Tuberkulosebazillen zu fürchten habe. Welche Krankheiten die Söhne des Balkans in der Schweiz holen und in den Balkan tragen, beim Spritzen oder Abkratzen von Asbestzement, beim Verarbeiten von formaldehydgetränkten Spanplatten, beim frauenlosen Aufenthalt im Land mit einer der höchsten Aids-Quoten Europas und nicht zuletzt bei den jährlichen Schirmbilduntersuchungen (durch die schädlichen Röntgenstrahlen, Anm. d. R.) selbst, diese Frage scheint sich weniger dringlich zu stellen.

MASSENABFERTIGUNG: Saisonniers bei ihrer Ankunft in der Schweiz. (Foto: zvg)

Wer den Gesundheitscheck nicht bestand, wurde zurückgeschickt. Oder bei Verdachtsfällen wurde ein Bild der Lunge an den Arbeitgeber versandt.

Lesen zwischen Autoersatzteilen

Heute stehen Pneus, Ersatzteile und Werkzeuge im früher straff organisierten Sanitätszentrum. Zwischen den Autohebern steht Autorin Jashari und erzählt die Geschichte ihres Vaters und auch ihre eigene Geschichte unter dem Kapitel «Ich sehe dich nicht». Ihr Primarlehrer sah sie nicht in der Sek und wollte sie, die heute als Sprachwissenschafterin an der Pädagogischen Hochschule Zug arbeitet, in die Realschule schicken. Das Saisonnierstatut ist in der Schweiz glücklicherweise Geschichte. Doch die Geister von damals sind auch im Jahr 2025 noch präsent. Das zeigte sich in der Reaktion auf die Führung und die Lesung. Ein Mann in der ersten Reihe meldet sich zu Wort: «Jetzt wird wieder so getan, als wären wir die bösen Schweizer gewesen, aber diese Leute wollten ja selber in die Schweiz kommen.»

Sichtbarkeit geben

Shpresa Jashari antwortet, dass sie ihre Stimme dazu nutzen will, den Menschen, die durchleuchtet und unsichtbar gemacht wurden, Sichtbarkeit zu verleihen. Über ihren Vater schreibt sie:

Nun da sein Arbeitsleben sich dem Ende zuneigt, der Transfer seiner Arbeitskörperkraft fast vollständig abgeschlossen ist, droht ihm die Bilanz, ziehen sich die Leerstellen auf der Landkarte der Schweiz bedrohlich eng zusammen. Die Landkarte der absorbierten Arbeitskraft. Er versucht sichtbar zu bleiben in dieser Umgebung.

Bis heute deutet nichts am ehemaligen Grenzsanitätszentrum auf die frühere Funktion des Gebäudes hin. Auch einen offiziellen Ort zur Erinnerung an das menschenverachtende Migrations- und Grenzregime und zur Sichtbarmachung der wirtschaftlichen und sozialen Bedeutung der Saisonniers sucht man in der Schweiz bisher vergebens.

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