Von wegen «One happy Family» bei Wiesner
120 Velokuriere sollen Uber weichen

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Sie waren gut fürs Image der «nachhaltigen» Gastro-­Marken Nooch, Negishi oder Kitchen Republic. Jetzt ­stehen sie der Rendite im Weg – und sollen deshalb weg. Doch die 120 Rider ­machen das «Männli»!

LASSEN SICH NICHT ABSPEISEN: Philip Fleischmann (l.) und seine Rider-Kollegen ziehen notfalls bis vor Gericht. (Foto: Stephan Bösch)

Wer in der Schweiz Essen nach Hause bestellt, füttert in den allermeisten Fällen ein illegales Geschäftsmodell: Lieferkonzerne, die ihre scheinselbständigen Fahrerinnen und Fahrer mit Dumpinglöhnen ausbeuten und weder ­Beiträge an die Altersvorsorge, die Arbeitslosenversicherung noch an die Nutzung der privaten Fahrzeuge zahlen. Es ist behördlich tolerierte Schwarzarbeit. Doch es gibt Alternativen, heisst es. «Bei uns bestellst du dein Essen ohne Gewissensbisse nach Hause», wirbt die Familie Wiesner Gastronomie AG, kurz FWG. Die Gastrogruppe mit Sitz in Dübendorf ZH hat rund 900 Mitarbeitende und schweizweit 29 eigene Restaurants wie «Nooch», «Negishi» oder «Miss Miu». Man sei eine «bunte» Firma, eine grosse «Family», heisst es auf der Firmenwebsite, die ausserdem von Belegen für «Nachhaltigkeit» und «Charity» nur so strotzt. Und: FWG hat einen hauseigenen Velokurierdienst mit branchenunüblich «hohen» Stundenlöhnen von bis zu 26 Franken.

Bloss: Damit soll Schluss sein! Die FWG-Chefs Daniel und Manuel Wiesner haben angekündigt, den Kurierdienst auf Ende Oktober komplett einzustellen. 120 Stellen stehen auf dem Spiel. Pikant: Die Wiesner-Brüder wollen ihre Teams ausgerechnet durch Uber Eats ersetzen. Zu work sagt Manuel Wiesner:

Wir beobachten die Anstellungsbedingungen von Uber kritisch. Gleichzeitig können wir uns den Entwicklungen nicht verschliessen. Ohne Uber würden wir einen namhaften Teil der Delivery-Umsätze verlieren.

Doch die Wiesners haben die Rechnung ohne ihre Rider gemacht!

Kahlschlag trotz Wachstum

Denn diese wehren sich. Und wissen dabei die Gewerkschaften Syndicom und Unia im Rücken. Einen ersten Erfolg konnten sie bereits verbuchen: FWG willigte in Verhandlungen ein – ebenso in eine Konsultationsphase, während deren die Belegschaft Vorschläge zum Stellenerhalt machen kann. Diese endet am 10. September (nach Redaktionsschluss). Philip Fleischmann (32) aus Zürich ist ein «Velo-Freak» und während seines Bio-Studiums vor sechs Jahren zur FWG gestossen. Fleischmann kennt den Laden sehr gut, führte einst auch die Kurierzentrale in Winterthur und ist für FWG schon 80 000 Kilometer geradelt. «Das ist zweimal um die Welt», sagt Fleischmann stolz. Doch jetzt herrsche unter den Kurierfahrenden Enttäuschung, zumal die Firma nicht in Not sei. Tatsächlich wächst FWG seit Jahren und hat zuletzt fast 100 Millionen Umsatz erzielt. Doch wirklich überraschend sei der Abbau nicht, sagt Fleischmann. Denn erstens wirke das soziale Image der FWG aufgesetzt. Und zweitens stehe hinter der Eskalation ein längerer Konflikt mit der Geschäftsleitung.

Mit Uber kam Salamitaktik

Unter den FWG-Ridern brodle es schon länger. Denn ihre vielen Anregungen und Kritiken habe die Führung nie wirklich ernst genommen. Als Folge davon hätten Anfang 2025 in Zürich zwei Kurier-Teamleiter aus Protest gekündigt. Fleischmann kritisiert die Geschäftsleitung grundsätzlich:

Wir waren gute Markenbotschafter und machten die Restaurants bekannt, doch einen wirklichen Plan für das Delivery erkannte ich nie.

Und dass mit dem Ausliefern allein kein Geld verdient werden könne, sei schon immer klar gewesen. Erst die Kombination mit Restauration und Marketing habe die Essenslieferungen wirtschaftlich in­teressant gemacht. Die Zürcher Teamleader wurden jedenfalls nicht ersetzt. «Da merkten wir, dass ein Sparkurs kommt», sagt Fleischmann. Tatsächlich: Uber Eats bekam immer mehr Aufträge auf Kosten der FWG-Rider. Dann kam auch noch Uber Direct auf den Markt, eine Anwendung, die es Restaurants ermöglicht, Bestellungen über die eigene Website abzuwickeln und die Lieferaufträge trotzdem direkt an billige Uber-Driver auszulagern. «Damit wurden wir eigentlich überflüssig», bilanziert Fleischmann. Im Mai dann der erste Kahlschlag: Die Kurierzentrale in Winterthur muss schliessen – zehn Stellen gehen flöten. Kurz darauf werden die Essensvergütungen verschlechtert. Die Kuriere wehren sich mit einer Petition. Ihre Vorgesetzten mahnen zur Ruhe – und streichen alle Nachmittagsschichten! Wieder zugunsten von Uber. Wenig später verlieren die FWG-Rider auch noch die Mittagsschichten. Dann werden dreissig von ihnen ­geschasst. Und in den Städten werden die Kurierdepots aufgelöst. FWG bietet den Ridern «psychologische Hilfe» an. Und versucht, ihnen eine Übernahme der Kurierabteilung schmackhaft zu machen.

Entschädigungen versprochen

Erneut schreiben die Rider einen Protestbrief, diesmal gegen die Salamitaktik und die intransparente Kommunikation. Fast alle unterzeichnen. Doch was folgt, ist die Ankündigung der Komplettschliessung. Fleischmann sagt: «Wir aufmüpfige Rider passten wohl nicht mehr ins Bild der One Happy Family.» Ans Aufgeben denkt Fleischmann trotzdem nicht. Im Team seien sie bereit, ihre Forderungen durchzusetzen – notfalls auch gerichtlich. Dazu gehören unter anderem Abgangsentschädigungen von 24 Monatslöhnen pro Rider. Was eine stolze Summe ergäbe. Doch Fleischmann relativiert:

Die meisten von uns haben keinerlei Reserven, und es gibt auch nicht 120 offene Stellen bei anderen Kurierfirmen.

Und was sagt dazu FWG-Co-Chef Manuel Wiesner? Er wehrt sich gegen den Vorwurf der Salamitaktik. «Wir haben immer Gespräche für Lösungen angeboten und gesucht.» Auch jetzt stehe seine Tür jederzeit offen, auch um das «in Erwägung gezogene Schliessungsszenario» zu diskutieren. Und die Forderungen? «Natürlich wird es eine Abfindungsentschädigung geben», verspricht Wiesner. Die Höhe werde mit den Betroffenen ­ausgehandelt. Zudem werde er als Sofortmassnahme einen Härtefallfonds von 50 000 Franken zur Verfügung stellen. Ob das reicht?

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