Ab 2026 gilt Mindestlohn von 22 Franken – Rechte drehen durch
Luzerner Regierung will die Stadt vogten

Ab dem 1. Januar 2026 können rund 3000 Lohnabhängige in der Stadt Luzern wenigstens ein bisschen aufatmen: Sie bekommen für ihren 100-Prozent-Job endlich einen Lohn, der zum Leben reicht. Doch der Regierungsrat will sie wieder aufs Sozialamt schicken.

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ROTE MINDERHEIT. Die meisten Luzerner Regierungsratsmitglieder wollen der Stadt den Mindestlohn verbieten. v.l.n.r Vinzenz Blaser (Staatsschreiber), Fabian Peter (FDP), Armin Hartmann (SVP), Michaela Tschuor (Mitte), Reto Wyss (Mitte), Ylfete Fanaj (SP). Foto: Staatskanzlei Luzern.

In der Schweiz bekommen immer noch Hunderttausende für einen Vollzeitjob einen Lohn, der nicht zum Leben reicht. Arbeitgeber-Boss Roland A. Müller findet das voll okay. Denn: «Irgendwo hört’s auf. Dann muss das Sozialamt einspringen.»

Als die Gewerkschaften 2014 einen nationalen Mindestlohn einführen wollten, fuhren sie an der Urne eine empfindliche Niederlage ein. Eines der am lautesten vorgetragenen «Argumente» gegen die Initiative für einen nationalen Mindestlohn war damals, es müsse auf die regionalen Unterschiede Rücksicht genommen werden. Wenn schon gesetzliche Mindestlöhne, so müssten diese in den Kantonen festgelegt werden. Das war natürlich eine Nebelpetarde.

Denn Arbeitgeber-Ideologen und rechte Parteien wollen keine Mindestlöhne. Nicht in Gesamtarbeitsverträgen, nicht in der Bundesverfassung, nicht in Kantonsverfassungen, nicht in Städten. Geht es um nationale Mindestlöhne, sehen sie den Föderalismus verletzt. Und neuerdings die Gesamtarbeitsverträge bedroht. Geht’s um kantonale Mindestlöhne, sehen sie die Kantone gegenüber Nachbarkantonen benachteiligt. Und geht es um städtische Mindestlöhne, sehen sie die Städte gegenüber den Agglomerationsgemeinden im Hintertreffen.

Historisches in Luzern

Im Frühling 2024 nahm das Luzerner Stadtparlament die Initiative «Existenzsichernde Löhne jetzt!» der Juso mit 24 zu 23 haarscharf an. Das bedeutet: Auf dem Gebiet der Stadt Luzern gilt ein Mindestlohn von 22 Franken, der regelmässig an die Teuerung angepasst wird. Ein Entscheid, der die Lohndumper das Fürchten lehrte – und den Luzerner SP-Parlamentarier Claudio Soldati zu der lakonisch-treffenden Bemerkung veranlasste: «Die Juso schreiben Geschichte!»

Tatsächlich: Erstmals in der neueren Geschichte schaffte es in der Stadt Luzern eine Initiative mit ausgearbeitetem Reglement durch das Parlament. In Luzern bedeutet das: Wer jetzt gegen die Umsetzung der Initiative ist, muss das Referendum ergreifen. Die Hürde ist nicht wirklich hoch: Von den rund 53 000 Stimmberechtigten hätten gerade mal 800 unterschreiben müssen, also 1,5 Prozent.

Doch die Hungerlohn-Koalition aus SVP, FDP, GLP, Mitte und gleich vier Arbeitgeberverbänden brachte die nötigen Unterschriften nicht zusammen.

Peinlich, peinlich für die finanziell bestens ausgestatteten Mindestlohn-Gegnerinnen und -Gegner. Und diese Scharte versuchen sie jetzt über den Kanton auszuwetzen. Nicht wie ihre Brüder und Schwestern im Geiste zurzeit in Winterthur und Zürich mit einer Tour durch die Gerichtssäle. Die Stadtluzerner Rechten setzen auf den Landsturm im Kantonsrat.

Ideologie frisst Logik

Kiesunternehmer Urs Marti aus dem Luzerner Hinterland reichte im Kantonsrat eine Motion ein, die den Regierungsrat auffordert, Mindestlöhne in den Gemeinden zu verbieten. Marti listet («nicht abschliessend», wie er betont) alle längst widerlegten Ladenhüter der Mindestlohn-Gegnerinnen und -Gegner auf. Mitte-Mann Marti fand Mitunterschreibende und vor allem einen sehr willigen Regierungsrat. Der will die Motion zwar nur in der unverbindlicheren Form eines Postulats entgegennehmen, teilt aber die «Argumente». Insbesondere jenes des «Flickenteppichs» hat es ihm angetan. Darum möchte er noch so gerne den Gemeinden Mindestlöhne verbieten. Dieser geplante Eingriff in die Gemeindeautonomie ist doch einigermassen erstaunlich, hat sich doch der gleiche Regierungsrat – verständlicher- und richtigerweise – in der Vernehmlassung gegen die Umsetzung der nationalen Motion Ettlin ausgesprochen. Grund: Luzern will sich nicht vom Bund vogten lassen. Aber eben: Ideologie frisst Logik.

Widerstand

Wie auf nationaler Ebene wehren sich auch in Luzern die Gewerkschaften zusammen mit den fortschrittlichen Parteien gegen die Aushebelung demokratisch beschlossener Mindestlöhne. Unia-Mann Giuseppe Reo ist sauer: «Hier soll ein demokratischer Entscheid unter dem Deckmantel der Sozialpartnerschaft ausgehebelt werden. Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie und auf die ohnehin schon tiefen Löhne. Den werden wir vehement bekämpfen!» Aber, merkt Reo an, wenn das Argument des «Flickenteppichs» ehrlich gemeint sei, «sind wir Gewerkschaften jederzeit offen für einen kantonalen Mindestlohn». Auch Marcel Budmiger, SP-Kantonsrat und Geschäftsführer des Luzerner Gewerkschaftsbundes, spricht Klartext: «Die Bürgerlichen wollen die Geringverdienenden schwächen – das geht nicht!» 

Der Kantonsrat wird wahrscheinlich in seiner Herbstsession über den Vorstoss entscheiden. Die Stadtluzerner Behörden haben sich bisher nicht einschüchtern lassen und halten am 1. Januar 2026 als Einführungstag für den Mindestlohn fest.

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