«Noch nie so grausam behandelt worden»
St. Moritzer Gastro-Büezer stellen Chef an Pranger!

KEINE SKLAVEN! Plan-B-Büezer demonstrieren vor St. Moriter Sushi-Resti.

Er sitzt im Vorstand des Bündner Wirteverbands und ist Vizepräsident im noblen St. Moritzer Lions Club. Seine Angestellten dagegen müssen ganz unten durch. Doch jetzt hat Gastro-Unternehmer Roberto Giovanoli die Unia an der Backe – und wie!

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WEDER MASCHINEN NOCH SKLAVEN! Plan-B-Büezerinnen und Büezer demonstrieren vor St. Moritzer Sushi-Resti. Fotos: Henry Schulz.

Sowas hat St. Moritz in seiner ganzen Geschichte noch nicht gesehen: Mitten im Dorfzentrum, an teuerster Shoppinglage, tauchten gestern Vormittag plötzlich eine Truppe Gewerkschafter und Büezerinnen auf. Sie schwenkten rote Fahnen, trugen Protestschilder und bedienten ihre Trillerpfeifen derart, dass gleich mehrere Edel-Touristinnen schockiert stehen blieben. Vor dem Sushi-Restaurant «Nayan» machte der Tross schliesslich Halt und breitete ein Banner aus. «Wir arbeiten bis zum Umfallen!» stand darauf.

Dann hielt Unia-Sekretärin Danijela Dragičević eine Rede: «Liebe Leute», begann sie, «wir stehen heute hier, um einen Fall von krassester Ausbeutung anzuprangern. Und um gegen einen Boss zu protestieren, der glaubt über dem Gesetz zu stehen.» Dragičević war sichtlich bewegt. Was daran lag, dass ihr in den letzten Tagen über ein Dutzend Arbeiterinnen und Arbeiter ihr Leid geklagt hatten. Aber vor allem auch daran, dass sie gerade von einer Krisensitzung mit dem fraglichen Chef kam. «Katastrophal und arrogant» sei es gewesen, meinte sie zu work. Und: «Der Typ hat einfach alle Missstände auf die Mitarbeitenden geschoben!»

Wirteverband ist hell begeistert

Die Rede ist von Roberto Giovanoli, einem 35jährigen Einheimischen und gelernten Koch. Seine berufliche Laufbahn führte durch einige der nobelsten Häuser des Engadins. 2017 gründete er sein eigenes Unternehmen, die Plan-B Kitchen AG. Unter diesem Dach ist er seither schon mit mehreren Beizen gescheitert. Doch nach wie vor bewirtschaftet er mit Plan-B das erwähnte Sushi-Restaurant sowie die Churer Gaststätten «Capricorn», «Meridiana» und «Jamies». Ausserdem bietet er Delivery-Services, Foodtrucks und Caterings an. Dies laut Eigenangaben mit aktuell rund 30 Angestellten. Unter Bündner Gastro-Büezerinnen und -Büezern erzählt man sich wenig Gutes über Plan-B. Das bestätigen work mehrere Service- und Küchenangestellte anderer Lokale. Hingegen geradezu begeistert scheint man auf Seite der Arbeitgeber.

Die Delegierten von Gastro Graubünden wählten Giovanoli 2024 sogar einstimmig in ihren Vorstand. Und auf Facebook schwärmt der Verband in den höchsten Tönen von «Roberto». Dieser sei «ein Paradebeispiel dafür, wie aus Leidenschaft und Hingabe ein beeindruckender unternehmerischer Werdegang entstehen kann». Sein «Erfolg» basiere nicht zuletzt auch auf seiner «starken Vernetzung in der Branche» und seinem Engagement in zahlreichen Vereinen. Tatsächlich ist Giovanoli etwa Vizepräsident im St. Moritzer Lions Club. Ob die Bündner Schickeria auch Giovanolis Geschäftsmethoden kennt?

Betroffene sind jung und neu in der Schweiz

In den vergangenen Wochen hat die Unia Ostschweiz-Graubünden die Dossiers von 15 ehemaligen und aktuellen Plan-B-Angestellten übernommen. Es sind allesamt junge Frauen und Männer, die meisten frisch eingewandert aus Italien, Spanien, Portugal, Ungarn oder Südamerika. Unia-Tertiär-Sekretär Jean-Pierre Jametti sagt: «Sie alle erzählen dasselbe und legten auch massenhaft Beweise vor.»
Die häufigsten Anschuldigungen lauten: Manipulation der Stundenkalkulation, überlange Arbeitstage ohne Pausen, keine ordentliche Vergütung der Überstunden, extremer Druck und Personalnot, missbräuchliche Kündigungen, verspätete Lohnüberweisungen, sexistische und rassistische Sprüche, permanente Videoüberwachung der Mitarbeitenden und Gäste, willkürliche und hohe Lohnabzüge als «Strafen», kaum Möglichkeiten, sich zu verpflegen, obwohl dafür monatlich 350 Franken vom Lohn abgezogen werden. Inhaber Roberto Giovanoli bestreitet die Vorwürfe auf Anfrage (siehe Kasten ganz unten).

Manipulation der Stunden-App

Unia-Mann Jametti dagegen sagt: «Viele der Mitarbeitenden sind von den Zuständen regelrecht gezeichnet.» Etliche seien sogar krankgeschrieben. So auch Nina B.*. Die 37jährige Köchin aus Italien hat es ein halbes Jahr bei Plan-B ausgehalten. Jetzt macht sie Giovanoli schwerste Vorwürfe:

Er behandelt seine Angestellten wie den letzten Dreck!

Zudem arbeite er mit krummen Methoden: «Unsere Stundenabrechnungen wurden ständig manipuliert!» Giovanoli habe Zugriff auf die Mitarbeiteraccounts der Firmenapp und passe dort die Daten nach seinem Gusto an. Ausserdem drohe er ständig mit Lohnabzügen. Zudem zocke er die Angestellten auch als Wohnungsvermieter ab. Nina B. gibt ein Beispiel: «Meinem Mitbewohner hat Giovanoli für das Zimmer 800 Franken abgezogen statt der vertraglich vereinbarten 550 Franken.» In einem anderen Fall hab er sieben Frauen und Männer etwa 10 Tage lang in einem Raum untergebracht, ihnen aber dafür keine Mietzinsreduktion gewährt. Ihr selbst schulde er noch rund 6000 Franken, schätzt sie.

Übergriffige Kommentare und schlüpfrige Befehle

Doch damit nicht genug. Immer wieder habe Chef Giovanoli vulgäre und sexistische Sprüche geklopft, sagt Nina B. Etwa als sie einmal eine weisse Sauce habe steifschlagen müssen. Ein anderes Mal habe er sie gefragt, ob sie lesbisch sei und mit wem sie in letzter Zeit Sex gehabt habe. Übergriffige Kommentare musste sich auch die Serviceangestellte Noelia F. anhören: «Mal nannte er mich dick, dann wieder ‘Hase’.» Einmal schickte ihr Giovanoli um elf Uhr nachts eine Aufnahme einer Überwachungskamera. Das Foto zeigte einen Gast an der Bar des «Jamies». Giovanoli schrieb dazu: «Du hast einen Kunden». Und dann: «Geh runter zu ihm und sag ihm wie schön er sei». Der Gast spendiere bestimmt ein Gläschen, denn er habe sehr viel Geld, «das könnte dir helfen». Der Chat-Verlauf liegt work vor. Noelia F. verdiente laut ihrem Vertrag brutto 3700 Franken.

«HAST KUNDE!» Giovanoli schickt einer Angestellten mitten in der Nacht ein Überwachungsfoto eines Gasts und fordert sie auf, ihm Gesellschaft zu leisten. Screenshot: Zvg, Schwärzung: work.

Das alles sei natürlich total daneben gewesen, findet Noelia F. Doch was Giovanoli und sein Lakaie danach getan hätten, könne sie ihnen niemals verzeihen: Noelia F. musste dringend in ihre Heimat Paraguay zurück. Dort war nämlich ihr Vater gestorben. Die Plan-B-Chefs hätten sich grossherzig gezeigt und gesagt, sie solle sich ruhig Zeit nehmen. «Doch kaum war mein Vater begraben, drängten sie mich zur Rückkehr», sagt Noelia F. Der Druck wirkte. Sie kaufte sich kurzfristig ein überteuertes Flugticket in die Schweiz – und machte sich wieder an die Arbeit. Drei Tage später wurde sie entlassen. Warum, weiss sie bis heute nicht.

«Noch nie so grausam behandelt»

Hingegen selbst gekündigt hat Adam R. Der 30jährige Ungare hielt es zwei Monate aus bei Plan-B, als Delivery-Driver. Der Stress sei enorm gewesen. Und Giovanoli habe ihm willkürlich Lohnabzüge gemacht, etwa weil er nicht rechtzeitig bei Kunden gewesen sei. Er habe den Chef darauf hingewiesen, dass dies illegal sei. Giovanoli habe das gar nicht abgestritten, sondern nur gemeint, das sei ihm «scheissegal».
Auch Peter F., ebenfalls ein junger Ungare, entdeckte, dass sein ausbezahlter Lohn bei weitem nicht dem vertraglich Vereinbarten entsprach – ebenfalls wegen allerlei Lohnabzügen. So verrechnete Giovanoli 121 Franken für die Ausstellung einer B-Bewilligung. Bloss: Peter F. hatte die Aufenthaltsbewilligung (B-Bewilligung) bereits selbst bezahlt. Richtig fertiggemacht habe ihn aber der Umgangston von Giovanelli. Dieser habe oft rumgeschrien und Leute beleidigt. Nach fünf Wochen war Peter F. «völlig gebrochen», wie er selbst sagt. Mittellos reiste er zurück nach Ungarn. work schreibt er:

Niemals zuvor hatte mich jemand so grausam behandelt. Sein unmenschliches Verhalten stürzte mich in eine tiefe Depression. Ich verlor jeglichen Appetit und Lebenswillen und verbrachte Wochen lang in meinem Zimmer. Obwohl ich mein Bestes gegeben habe, fühlte ich mich wertlos und besiegt. Ich bin jetzt in Therapie und versuche, mein altes Ich wiederzufinden.

Familienvater bittet um Lohn – und erntet Rüffel

Krank geworden ist auch Rafael R. Der 32jährige Portugiese hat es mit vier Jahren mit Abstand am längsten ausgehalten. Doch Ende Juni wusst er nicht mehr weiter. Sein Lohn kam nicht. «Ich hatte noch 2 Franken auf dem Konto und wusste nicht mehr, wie ich meine Frau und mein Kind ernähren sollte.» Per Mail erkundigte er sich bei Giovanoli. Dessen Reaktion: Ein geharnischtes Mail mit Sätzen von diesem Kaliber: «Wir kennen die rechtliche Grundlage besser als du. Und wir kennen vor allem die Akte Rafael R. Und genau hier liegt das Problem.» Darauf folgen diverse Anschuldigungen und zuletzt zwei Optionen: Entweder solle Rafael R. künftig mehr Leistung bringen und «niemals wieder» solche Emails schreiben. Oder aber «wir lösen den Vertrag geordnet und im gegenseitigen Einvernehmen auf».

18jähriger Schwarzarbeiter wagt sich an Burger ran

Einer, der Giovanoli nicht Vertragsbruch vorwirft, ist der 18jährige Argentinier Bela O. Er arbeitete einen Monat lang als Küchengehilfe und sagt: «Einen Vertrag hatte ich gar nie!» Stattdessen habe er nach einem Monat voller Schwarzarbeit 1000 Franken bar auf die Hand bekommen – und kurz darauf die Kündigung. Immerhin eine Abmachung habe Giovanoli aber schon gebrochen, sagt Bela O. So werde allen Mitarbeitenden für die Verpflegung 350 Franken vom Lohn abgezogen. Als er sich aber einmal einen Burger habe machen wollen, habe ihn Giovanoli angeschnauzt und gemeint, Burger seien nur für die Kundschaft.

Unia: «Ein Fall fürs Gericht

Wie es jetzt mit Plan-B weitergeht – und ob überhaupt –, scheint so unklar wie noch nie. Bereits die letzten Löhne wurden mit Verspätung ausbezahlt. Giovanoli schob die Schuld in einem Mitarbeiterbrief auf «die Banken». Doch nun hat er auch noch die Gewerkschaft an der Backe. Und diese hat das Kriegsbeil gerade erst ausgegraben. Unia-Sekretärin Danijela Dragičević sagt: «Da Giovanoli sich absolut uneinsichtig gibt, werden wir direkt nach den Gerichtsferien den Rechtsweg beschreiten!» Und auch die gewerkschaftlichen Mittel seien noch nicht ausgeschöpft.

Das sagt Plan-B-Chef Roberto Giovanoli:

Roberto Giovanoli. Foto: Gastro Graubünden

Roberto Giovanoli bestreitet am Telefon sämtliche in diesem Artikel erhobenen Vorwürfe. Zwar gebe es manchmal Missstände, doch diese würden stets «innert zehn Tagen» korrigiert. Bei der Stundenabrechnung komme es zum Beispiel durchaus hie und da zu Fehlern. Doch dafür seien die Mitarbeitenden selbst verantwortlich. Etwa, wenn sie schon zuhause einstempelten. «Das korrigiere ich dann selbstverständlich», sagt Giovanoli. Von Manipulation könne aber keine Rede sein. Das sei gar nicht möglich auf der App «Favur», die übrigens L-GAV-konform sei.

AUS GOODWILL. Auch missbräuchliche Kündigungen habe es nie gegeben. Im Fall der Paraguayerin Noelia F. liege ein sprachliches Missverständnis vor. Ihr sei schon vor dem Tod ihres Vaters mündlich gekündigt worden wegen personeller Überbesetzung. Nach ihrer Rückkehr sei sie «bloss aus Goodwill» wieder aufgenommen worden. Pausen seien problemlos möglich und auch in der Wahl der Verpflegung seien die Mitarbeitenden «sehr frei». Ein Entrecote liege aber nicht drin.
Permanente Videoüberwachung sei an gewissen Stellen tatsächlich installiert, allerdings gehe es da nicht um Mitarbeiterüberwachung, sondern um Diebstahlprävention. «Wir hatten schon Einbrüche durch eigene Mitarbeiter!», so Giovanoli. Auch Lohnabzüge kämen vor, allerdings keine willkürlichen, sondern etwa bei verschuldeten Fahrzeugschäden. Würden solche verheimlicht, käme auch die Kameraüberwachung zum Einsatz. Sexistische oder rassistische Äusserungen tätige er nicht, doch «in den Küchen herrscht nun mal ein rauer Umgangston».


NIX SCHWARZ! Schwarzarbeit sei in seinem Betrieb «gar nicht möglich», versichert Giovanoli. Denn: «Plan-B verfügt über gar kein Schwarzgeld.» Folglich könnten auch keine Löhne schwarz entrichtet werden. Ausserdem habe die Mehrwertsteuer-Kontrolle seinen Laden schon mehrfach «auf den Kopf gestellt», aber nie etwas beanstandet. Von «Personalnot» könne – last but not least – nicht gesprochen werden. Im Gegenteil gebe es zur Zeit eher eine «Gästenot» - und entsprechend noch «zu viel Personal». (jok)

*sämtliche Namen der Redaktion bekannt.

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