Personenfreizügigkeit, Kontingente und Co.
Migration «steuern»: Was funktioniert wie warum (nicht)?

Einwanderung folgt der Konjunktur. Das ist eine Binsenweisheit. Trotzdem versuchen sich viele Kreise immer wieder in neuen «Steuerungsmodellen». work stellt die Evergreens der politischen Debatte vor und sagt, was sie für die Lohnabhängigen bedeuten (würden).

ABSCHOTTUNG ÜBERWINDEN: Viele der von Bürgerlichen gepriesenen Modelle zur Regulierung der Zuwanderung sind nicht nur wirkungslos, sondern schaden den Löhnen der Einheimischen. (Foto: Lucas Dubuis)

Zuwanderungs-Modelle

Die realen Löhne der Mehrheit stagnieren oder sinken sogar. Die Krankenkassenprämien explodieren, und Wohnen wird bis tief in den Mittelstand hinein immer mehr zum Luxus. Das sind die wahren Probleme der Mehrheit der Menschen in der Schweiz. Und alle diese Probleme wären lösbar, wenn die bürgerliche Parlamentsmehrheit Politik im Sinne der Mehrheit der Menschen und ihrer Kaufkraft machen würde. Stattdessen macht sie seit Jahrzehnten Politik im Interesse der Vermögenden, der Grossver-dienenden und der Konzerne. Und geben der Zuwanderung und «den Ausländern» die Schuld. Erstere will sie angeblich «steuern», und vor den Zuwandernden will sie uns angeblich «schützen». 

Bundesrätlicher Rückfall

Jetzt hat auch der Bundesrat im Zusammenhang mit den Bilateralen III einen üblen «Schutzklausel»-Rückfall erlitten. Damit orientiert sich die Regierung am früheren Kontingentsystem. Dieses war ineffizient und hatte unmenschliche Auswirkungen auf arbeitende Menschen aus dem Ausland. Zu Recht wurde es vor 23 Jahren beerdigt, weil auch die Bürgerlichen – spät, aber immerhin – einsahen, dass es nicht funktioniert. Immerhin will der Bundesrat des Jahres 2025 vor dem Anrufen der «Schutzklausel» zuerst innenpolitische Massnahmen prüfen, die sich mit der Personenfreizügigkeit vereinbaren lassen. Das sind zum Beispiel Konjunkturprogramme und Bildungsmassnahmen für Stellenlose. Und vor allem: Bundesrat und Parlament können solche, falls nötig, bereits heute ergreifen, wenn sie wollen. 

Bis die bundesrätliche «Schutzklausel» greifen würde, vergeht viel Zeit. work hat den komplizierten und bürokratischen Mechanismus detailliert beschrieben (Link zum Beitrag). 

Wegen der Bilateralen III und der Lohndumping-Initiative der SVP haben die Stichworte «Steuerung» von und «Schutz» vor Zuwandernden wieder Hochkonjunktur. Höchste Zeit also, die einzelnen Vorschläge – einmal mehr – anzuschauen.


In einem Punktesystem erhalten Personen eine Aufenthaltsbewilligung, wenn sie verschiedene Kriterien erfüllen. Ausbildung, Sprachkenntnisse, Berufserfahrung und anderes werden nach Punkten berechnet. Je nachdem kann auch ein Arbeitsangebot im Zielland zusätzliche Punkte geben. Erreicht man eine gewisse Anzahl Punkte, darf man einwandern. Das ist ein Lieblingsmodell bürgerlicher Ökonominnen und Ökonomen. Kanada hat ein solches Modell. Und wie wirkt es? Menschen mit Hochschulabschluss und umfassenden Sprachkenntnissen arbeiten in prekären Hilfsjobs. Und drücken die Löhne der Einheimischen. Abschlüsse und berufliche Fähigkeiten garantieren noch keinen Job. Die Erfahrungen in Kanada zeigen, dass Punktesysteme zu weit weg von der arbeitsmarktlichen Realität sind und sehr bürokratisch.

Fazit aus Sicht der Lohnabhängigen: Im Punktesystem müssen hochqualifizierte Zuwandernde oft niedrigqualifizierte Jobs annehmen. Das drückt die Löhne für alle. 


Die von marktradikalen Ökonomen seit Jahren unter wechselnden Titeln vorgeschlagene Zuwanderungsabgabe im Kern: Wer in der Schweiz arbeiten möchte, muss Eintritt bezahlen. Mit der Höhe der Abgabe soll die Einwanderung gesteuert werden. Als Beispiel taucht immer wieder der Stadtstaat Singapur auf. Wie wirkt die Abgabe dort? Unter Druck der Arbeitgeber hat die Regierung die Abgabe immer wieder senken müssen. Und: Die Anzahl von Arbeitnehmenden aus dem Ausland ist nicht gesunken, sondern gestiegen. Ausserdem laden Zuwanderungs-abgaben geradezu zu Schummeleien ein. Eine nach Branchen differenzierte Abgabe kann zu Umgehungsgeschäften führen, etwa indem Bauern Bankfachleute einstellen und sie später gegen eine Prämie an Banken weitergeben. Eine proportionale Abgabe zum Jahreslohn dagegen schreckt hochqualifizierte Fachkräfte ab, während eine Pauschale margenschwache Branchen wie die Gastronomie benachteiligen würde.

Fazit aus Sicht der Lohnabhängigen: Eine Zuwanderungsgebühr bremst die Zuwanderung nicht (was ihre Fans angeblich wollen). Dafür fördert sie Schwarzarbeit und drückt die Löhne aller Arbeitnehmenden. 


In einem Kontingentsystem können nur so viele Arbeitskräfte einwandern, wie es Kontingente gibt. Die Kontingente legen eine Höchstzahl pro Jahr und Einwanderungskategorie fest. Ein solches Regime suggeriert, die Zahl der Einwandernden direkt unter Kontrolle zu haben. In der Realität werden die Kontingente jedoch nach den Bedürfnissen der Firmen festgelegt. Die Schweiz hatte während Jahrzehnten ein Kontingentsystem. Und es hat nie funktioniert. Wo die offiziellen Kontingente nicht ausreichten, blühte die Schwarzarbeit. Schätzungen gehen von 120 ’000 bis 180’000 Schwarzarbeitenden allein im Jahr 1990 aus. 

Fazit aus Sicht der Lohnabhängigen: Kontingente  haben die Zuwanderung nie beschränkt. Was sie jedoch perfekt leisteten: Das System lieferte den Arbeitgebern eine quasi rechtlose moderne Arbeitssklaverei (siehe nächsten Abschnitt).


Das Saisonnierstatut galt zwischen 1934 und 2002. Wortlaut und Zahlen wurden zwar einige Male angepasst, doch das Ziel blieb immer das gleiche: ausländische Arbeiterinnen und Arbeiter zu einer rechtlich kaum geschützten «Manövriermasse der Wirtschaft» zu machen. Es fusste auf drei Säulen der Diskriminierung: Die Bewilligung war auf höchstens neun Monate beschränkt. Danach mussten die Arbeitnehmenden die Schweiz für mindestens drei Monate verlassen. Den Saisonniers war der Stellen- und Ortswechsel grundsätzlich untersagt. Der Familiennachzug war verboten. Die ersten beiden Säulen sorgten dafür, dass Saisonniers für Tieflöhne schuften mussten – 14 Prozent unter dem Niveau der Löhne der Einheimischen – und so unfreiwillig den Arbeitgebern ermöglichten, die Löhne aller zu drücken. Die dritte Säule war dafür verantwortlich, dass Familien auseinandergerissen wurden und über die Zeit mindestens 50’000 migrantische Kinder in Verstecken leben mussten.

Fazit aus Sicht der Lohnabhängigen: Das Saisonnierstatut war ein zynisches und menschenverachtendes Instrument der Arbeitsmarktpolitik. Es ermöglichte systematische Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern aus dem Ausland. Und es drückte die Löhne der einheimischen Lohnabhängigen. Es ist ein Schandfleck der Schweizer Geschichte. Ein Schandfleck, zu dem die SVP zurückwill mit ihrer 10-Millionen-Initiative, die in Wahrheit eine Lohndrücker-Initiative ist. work hat das detailliert dargelegt: zum Artikel.


In der Personenfreizügigkeit mit der EU gilt grundsätzlich: Wer seinen Lebensunterhalt selbst bestreiten kann, darf einwandern. Für Arbeitssuchende ergibt sich die Dauer der Aufenthaltsbewilligung aus der Dauer des Arbeitsverhältnisses. Die «Steuerung» erfolgt in erster Linie durch den Bedarf des Arbeitsmarkts. Zentral sind flankierende Massnahmen (FlaM), die sicherstellen, dass die lokalen Arbeitsbedingungen eingehalten werden und die Freizügigkeit nicht missbraucht wird, um inländische Arbeitskräfte durch «billigere» Arbeitende aus dem Ausland zu ersetzen. Der freie Zugang zum Arbeitsmarkt und die Niederlassungsfreiheit führen zu einer Gleichbehandlung mit den Einheimischen. Die Arbeitenden aus dem Ausland sind damit viel weniger der Macht und der Willkür von Arbeitgebern und Behörden ausgesetzt.

Fazit aus Sicht der Lohnabhängigen: Die Personenfreizügigkeit mit starken flankierenden Massnahmen ist das beste existierende Migrationssystem. Alle anderen produzieren mehr Arbeitslosigkeit, prekäre Jobs, Lohndruck und Schwarzarbeit.

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