Zurück von Hilfsflotte und Militärhaft
Sie bereuen nichts: Zwei Genfersee-Kapitäne über ihre Gaza-Mission

Die beiden Schweizer Gewerkschafter und Kapitäne Marc Formosa und Lionel Simonin segelten mit Hilfsgütern Richtung Gaza. Was sie dann erlebten, nagt noch heute an ihnen. Trotzdem bereuen sie nichts.

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SCHWEIZER KAPITÄNE MIT EINER MISSION: Lionel Simonin und Marc Formosa (v.l.). (Foto: Thierry Porchet)

Frieden in Gaza? Nach zwei Jahren des Mordens und über 80'000 Toten, darunter 20'000 Kinder? Und nun der Beginn einer «neuen Auferstehung des Nahen Ostens»? So zumindest lobt Donald Trump sein jüngst geschlossenes Abkommen von Sharm al-Sheikh. Weit weniger optimistisch sind da Marc Formosa (54) und Lionel Simonin (34). «Ich hoffe zwar von ganzem Herzen auf einen Frieden», sagt Formosa, «aber ich bin sehr skeptisch.»

Formosa ist Kapitän bei der Schifffahrtsgesellschaft des Genfersees CGN und wie fast alle dort Mitglied der Verkehrsgewerkschaft SEV. Er hat zwei Kinder und wohnt im Dorf Pompaples im Waadtland. Simonin wohnt bei Nyon, ist ebenfalls CGN-Kapitän und beim SEV Präsident der Sektion Lac Léman. Und: Die beiden Kollegen waren unter jenen 19 Schweizerinnen und Schweizern, die an der berühmten «Freiheitsflottille» für Gaza teilgenommen haben. «Ich wollte meine beruflichen Fähigkeiten schon lange mit humanitärer Hilfe verbinden», erklärt Formosa. Zuerst habe er geplant, auf dem Mittelmeer in die zivile Seenotrettung einzusteigen. Doch als eine Anfrage der Flottille reinkam, sei der Fall klar gewesen. Formosa meldete sich sofort. Mit Aktivismus habe er bisher nichts am Hut gehabt. Doch:

Ich wollte auch künftig noch in den Spiegel schauen und sagen können: Ich habe etwas getan!

WOLLTE HUMANITÄRE HILFE LEISTEN: Marc Formosa. (Foto: Thierry Porchet)

Ihm gehe es nicht um Politik, sondern einfach darum, das Massensterben zu beenden. «Schliesslich haben wir doch alle Familie!»

Formosa machte Ernst. Und wollte gleich noch Kapitänskollege Simonin überreden. Dieser schmunzelt: «Als Marc mich fragte, war ich schon längst angemeldet!» Für ihn sei es darum gegangen, seine Werte zu verteidigen, «Menschlichkeit und Solidarität», sagt Simonin. Aber es sei auch eine Möglichkeit gewesen, sich wirkungsvoll «gegen die Barbarei zu erheben». An dieser sei auch die offizielle Schweiz beteiligt: «Der Bund hält unter anderem an seinem Drohnenkaufvertrag mit Israel fest und finanziert so den Genozid de facto mit», sagt Simonin.

Mit Babynahrung durch Blockade

Auf Kreta stachen die beiden Kapitäne in See. Mit reichlich Medikamenten, Babynahrung und anderen Hilfsgütern an Bord – und zehn weiteren Freiwilligen, für die sie nun die Verantwortung trugen. Sie waren nun Teil einer Megaflotte von rund fünfzig Segelbooten aus 44 Ländern. Alle mit dem Ziel, die Blockade des Gazastreifens gewaltfrei zu durchbrechen, möglichst viele Hilfsgüter zu entladen und so gegen die Aushungerung der Zivilbevölkerung zu protestieren.

AUF HOHER SEE: Lionel Simonin, Marc Formosa und ein Kollege (v.l.) auf der Überfahrt nach Gaza. (Foto: zvg)

Laut der Uno litten Mitte September über 600'000 Menschen im Gazastreifen unter «katastrophaler Lebensmittelunsicherheit», jedes fünfte Baby kam unterernährt zur Welt, 43'000 Kinder waren vom Hungertod «ernsthaft bedroht» und Hunderte bereits verhungert oder verdurstet. Auch hier breche Israel offen und ungesühnt humanitäres Völkerrecht, sagt Simonin. Und erklärt: «Laut dem Genfer Abkommen zum Schutz von Zivilpersonen hat eine Kriegspartei zwar das Recht, Hilfsgüterlieferungen zu kontrollieren, aber nicht, sie zu blockieren.» Doch genau das tat Israel auch im Fall der Freiheitsflotte.

Prominentes Crew-Mitglied

Den Beginn machte eine Kampfdrohne vor der tunesischen Küste. Sie setzte ein Flottenboot kurzerhand in Brand. Später sollen Drohnen auch Blendgranaten und sogar Chemikalien abgeworfen haben. Das berichtete etwa die italienische Grünen-Abgeordnete Benedetta Scuderi von ihrem Boot. Israel bekannte sich zwar nicht zu den Angriffen, für die beiden Kapitäne kommt aber niemand sonst in Frage. Spanien, Italien und die Türkei entsandten jedenfalls Marineschiffe, um die Gazaflotte zu eskortieren. Und Formosa und Simonin verstärkten ihre Deckwache. Prompt entdeckten sie eine Überwachungsdrohne am Himmel. Es sei ein mulmiges Gefühl gewesen und die sonst schon hohe Anspannung noch gestiegen. Und dann bekam ihre Crew auch noch einen prominenten Überraschungsgast: Rima Hassan. Die 33jährige Europaparlamentarierin ist ein Aushängeschild der Linkspartei France Insoumise, französisch-palästinensische Doppelbürgerin und eine pointierte Kritikerin Israels. «Dass jemand so Prominentes an Bord kam, machte uns noch mehr zur Zielscheibe», sagt Formosa. Doch es kam anders.

Im Visier der Scharfschützen

Nach einer Woche auf See waren am Horizont plötzlich Blitzlichter zu sehen. «Das waren die Bomben auf Gaza», erzählt Simonin. Nun habe höchste Anspannung geherrscht. Zumal die Militäreskorten bereits gestoppt hatten, um keinen Konflikt mit Israel zu provozieren. Und: Formosa und Simonin wussten, dass die israelische Marine bereits fast alle Flottenboote gestoppt hatte. «Wir aber segelten fast zuhinterst mit etwas Verzögerung und schafften es so fast am weitesten», sagt Formosa. Erst 65 Kilometer vor der Küste endete auch ihre Reise. «Von allen Seiten rasten Marineboote heran, und auf unseren Körpern kreisten die roten Laserpunkte der Sturmgewehre.» Dann enterten Soldaten das Boot. Formosa:

Per Megaphon verkündeten sie, dass sie weder Verletzte noch Tote wollten und wir daher gehorchen sollten.

Seine Verhaftung sei trotzdem brutal und schmerzhaft gewesen. Aber war dieses Szenario, wie schon in früheren Jahren, nicht völlig absehbar? Erwartbar schon, meinen die beiden Kapitäne, sie hätten sich daher auch entsprechend vorbereitet. Doch wegen der Rekordzahl von fast fünfzig Flottenschiffen sei diesmal ein Durchkommen eines Teils durchaus möglich gewesen. Nichtsdestotrotz wurde auch Formosas und Simonins Crew abgeführt und vier Tage lang in einem Hochsicherheitsgefängnis festgehalten.

Von Ben-Gvir geweckt

Noch heute haben Simonin und Formosa die Haft nicht verdaut und sind in ärztlicher Behandlung. Formosa sagt: «Wir hatten keinerlei Informationen, sassen zu zwölft in einer Zelle. Ständig platzten Wärter hinein, mit bellenden Hunden oder um uns anzuschreien. Schlafen konnten wir praktisch nicht. Und trinken mussten wir aus einem Hahn, aus dem etwas Salzwasser tropfte.» Simonin sass in der Zelle nebenan und erlebte dasselbe. Mit einem Unterschied, wie er erzählt:

Einmal ging mitten in der Nacht die Tür auf, Soldaten richteten ihre Gewehre auf uns und zwangen uns auf die Knie. Dann hob ich den Kopf und sah vor mir Itamar Ben-Gvir!

HAT DIE HAFT IN ISRAEL NOCH NICHT VERDAUT: Lionel Simonin. (Foto: Thierry Porchet)

Also den rechtsextremen Sicherheitsminister Israels. Er habe ein Filmteam dabeigehabt und die Verhafteten vor laufender Kamera als «Kindermörder» beleidigt. Im Netz finden sich Videos von der Szene. Und wie Ben-Gvir sagt, er sei «stolz, dass wir diese Aktivisten wie Terroristen behandeln».

Häme schlug den Flottenrückkehrern auch in der Schweiz entgegen. Der «Blick» unterstellte ihnen Heuchelei und Nähe zur Hamas. Lächerlich sei das, meinen die beiden Kapitäne, denn: «Wir verteidigen die Hamas überhaupt nicht, sondern sind gegen jede Art von Terrorismus!»

Und nun, wenige Tage nach ihrer Rückkehr, ein Friedensabkommen samt Waffenstillstand! Zu behaupten, das gehe auf die Flottille zurück, käme den beiden nicht im Traum in den Sinn. Aber die immer grösseren Proteste weltweit, auch im Zuge der Gazaflottille, hätten den Druck auf die Regierungen doch merklich erhöht, was ein Abkommen sicher begünstigt habe. Doch die eigentliche Friedensarbeit, das betonen beide, die beginne jetzt erst. Und noch eine Überzeugung teilen die Kapitäne: Ohne gleiche Rechte für alle und ohne die Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat gehe es nicht.

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