Mit Piratenflagge gegen den autoritären Kapitalismus
Die Generation Z ist im Aufruhr

Die rebellierende ­Generation Z holt sich die Politik zurück – von Chicago bis Jakarta.

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Am Morgen des 8. September 2025 streckte in Kathmandu eine Polizeikugel den Krankenpfleger Prakash Bohora nieder. Das Bild seines blutbespritzten Turnschuhs taucht seither auf Nepals Wänden als Graffito auf – Symbol der Septemberrevolution im Himalaya. Bohora hatte in der Hauptstadt mit Tausenden gegen Korruption, Vetternwirtschaft und einen Kapitalismus demonstriert, der ihnen jede Zukunft raubt. Er selbst hatte im fernen Moskau Arbeit gesucht, war von den Russen aber für den Krieg in der Ukraine zwangsrekrutiert worden und hatte die Schlachtfelder um Donezk überlebt, bis ihm die Flucht nach Hause gelang.

Kurz nach den ersten Schüssen der nepalesischen Polizei (72 Tote, 2300 Verletzte) brannte das 30-Millio­nen-Land. Demonstranten fackelten die Symbole der Macht ab, das Parlament, die Ministerien, die Polizeiposten und die Villen der reichen «Nepokids». Am Abend war Regierungschef Khadga Prasad Sharma Oli gefallen.

Von Hongkong bis Peru

Diese Explosion, sagt Professor Raghu Bir Bista von der Universität Kathmandu, «steht für den Wunsch der Generation Z, das Krebsgeschwür eines kaputten Systems los zu werden». Also ihre Zukunft in die eigenen Hände zu nehmen.

Generation Z, GenZ, auch Zoomer genannt, meint die zwischen 1997 und 2012 Geborenen. Eigentlich ein Begriff aus dem Marketing, bezeichnen damit manche Politologen eine rebellische Generation, die keine Anführer und Parteien mag, sozial aus allen Schichten kommt und sich in Netzwerken organisiert.

Und die, wie der französische Forscher Alain Bertho dokumentiert, einige Lehren aus mehr als 250 Rebellionen und Aufständen der letzten drei Jahrzehnte gezogen hat, von Hongkong bis Peru.

Als das nepalesische Militär am 9. September ein Ausgehverbot erliess, wollten die Zoomer das Heft nicht mehr aus der Hand geben. Tagelang diskutierten sie auf der Gamer-Plattform Discord und in Vollversammlungen über Demokratie und eine Interimsregierung. Schliesslich einigten sie sich mit den Militärs auf Sushila Karki, eine frühere oberste Richterin, die sich im Kampf gegen die Korruption einen Namen gemacht hatte. Sie ist die erste durch ein Online-Plebiszit gewählte Regierungschefin.

Von Sri Lanka bis Indonesien

Nepals Revolution ist nur die jüngste von vielen Bewegungen des «Asiatischen Frühlings». So wird er in Anspielung an den Arabischen Frühling genannt, der zu Beginn der 2010er Jahre die Regime in Nord­afrika und dem Nahen Osten erschüttert hatte.

2022 vertrieb die GenZ in Sri Lanka den räuberischen Rajapaksa-Clan von der Macht. 2024 fiel in Bangladesh die autoritäre Sheikha Hasina, die unter der Fuchtel des Internationalen Währungsfonds das Land ausgepresst hatte. Und seit diesem Sommer fordert im riesigen Indonesien (Bevölkerung 285 Millionen) eine soziale Bewegung unter der Piratenflagge des Mangas «One ­Piece» den Präsidenten Prabowo Subianto heraus – der reagiert mit extremer Repression.

Von Madagaskar bis Marokko

Wer sich in den Datenbanken der Konfliktforscher umsieht, stellt überrascht fest: Kaum ein Land, das in den vergangenen zehn Jahren keine grössere Rebellion, keine Aufstände, keine Massenproteste erlebt hätte.

In Madagaskar entzündete sich die Wut oberflächlich an dauernden Strom- und Wasserausfällen. Tatsächlich treiben extreme Armut, Korruption und der Wunsch nach Demokratie die Generation Z auf die Strassen der Hauptstadt Antananarivo. Nur 5 Prozent der Bevölkerung haben hier einen regulären Job. Präsident Andry Rajoelina liess Dutzende Demonstrierende töten, doch am 12. Oktober mussten ihn Sondereinheiten der früheren Kolonialmacht Frankreich nach Dubai ausfliegen.

Die Rebellion von Marokkos GenZ 212 (212 ist die Landesvorwahl) wurde nach dem Tode von sieben Schwangeren in einem Spital akut. Doch auch hier geht es dieser Tage gegen ein erstarrtes Regime und um einen «neuen Sozialvertrag» (wie ein Flugblatt in Marrakesch forderte). Obschon König Mohammed viele Hunderte einkerkern liess, zeigt die Bewegung keine Schwäche.

So wird deutlich, dass die Rebellionen der GenZ mehr eint als die Piratenflagge mit dem Strohhut. Erst recht, wenn man die Generalstreiks und Massenproteste in Italien, Frankreich und den USA mit ins Bild rückt.

Überall radikalisieren sich starke Teile der 15- bis 30jährigen gegen einen autoritären Kapitalismus.

Der mehr denn je Not produziert, Lebenschancen vernichtet, den gesellschaftlichen Zusammenhang zerstört, die Rechte der Arbeitenden aushebelt, die Demokratie aushöhlt und sogar die Zukunft der Gattung Mensch im Profitcasino verspielt (nie war der Ausstoss der Treibhausgase so hoch wie 2025).

Zerstörung der Politik

Die meisten politischen Parteien, auch die Regierungslinke, unterschätzen die Wucht der Ablehnung, die ihnen gerade entgegenschlägt. Das hat einen elementaren Grund: Seit Friedrich Hayek, dem Vordenker der Neoliberalen, kommen in allen Programmen des Kapitals die Zerschlagung der Gewerkschaften und der sozialen Sicherheit erst an zweiter und dritter Stelle. Wichtigstes Ziel ist die Zerstörung der Politik. Also der Möglichkeit, die Verhältnisse durch gemeinsame Entscheide zum Nutzen aller einzurichten. Elon Musk sagte im April: «Wir haben grosse Fortschritte bei der Beendigung der Politik gemacht.»

Heute holt sich die Generation Z die Politik zurück.

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