Chinesische Social-Media-Plattform schasst 150 Mitarbeitende
Berlin: Tiktok-Trainer sind im Streik

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Erst haben die «Content-­Moderatoren» der Plattform Tiktok in Berlin eine künstliche Intelligenz (KI) trainiert, nun werden sie von ihr ersetzt. 150 Beschäftigte stehen vor der Entlassung. Deshalb streiken sie. Wenn sie schon ihren Job verlieren, ­wollen sie zumindest eine ­ordentliche Abfindung und eine längere Kündigungsfrist.

WIR HABEN EURE MASCHINEN TRAINIERT: Die Berliner Tiktok-Mitarbeitenden wehren sich gegen die Abbaupläne des chinesischen Techgiganten. (Foto: DPA)

Content-Moderatorinnen und -Moderatoren haben einen extrem belastenden Job. Im Minutentakt checken sie bei Tiktok gepostete ­Videos auf problematische Inhalte. Sie sorgen dafür, dass Suizidvideos, Kinderpornographie oder Terrorpropaganda nicht verbreitet werden. Doch diese Aufgabe soll nun eine in China entwickelte KI übernehmen. Besonders intelligent ist die künstliche Intelligenz allerdings nicht. Da wird schon mal ein Mann mit Turban, der in der Küche steht und kocht, zum Terroristen erklärt. Oder in der Hand gehaltene Orangen werden als weibliche Brust ­erkannt. «Die KI kann Bilder nicht in ihren Kontext einordnen, doppeldeutige Botschaften erkennt sie nicht. Wenn sie sich selbst überlassen wird, ist das für uns alle gefährlich», betont Kathlen Eggerling, Verhandlungsführerin der Gewerkschaft Verdi, in der sich die Streikenden organisiert haben.

Billig-Jobs

Neben der KI sollen auch billigere Dienstleister zum Einsatz kommen, um die Festangestellten in Berlin und anderswo zu ersetzen. «Tiktok entledigt sich so der Verantwortung für die ­Beschäftigten, aber auch für den Schutz der Nutzerinnen und Nutzer», kritisiert die Gewerkschafterin. «Wir wissen von Dienstleistungsfirmen, zum Beispiel in Kenia, deren Angestellte 2,50 Euro pro Stunde bekommen, krasse Taktvorgaben haben und wo Fehler sofort massiv bestraft werden.»

In Berlin hat sich die Tiktok-Belegschaft hingegen gewisse Standards erkämpft. 2022 gründete sie mit Unterstützung von Verdi einen Betriebsrat (Personalkommission), der auf die Einhaltung von Vorschriften und Gesetzen achtet. Doch nun wird die Trust-and-Safety-Abteilung geschlossen, wo die meisten Betriebsräte arbeiten. 150 der insgesamt etwa 400 Beschäftigten sollen entlassen werden. Für viele bedeutet das nicht nur den Verlust ihres ­Einkommens, sondern auch ihres Aufenthaltsrechts in Deutschland. Gewerkschafterin Eggerling sagt:

So mit den Menschen umzugehen ist reine Willkür. Es ist absolut richtig, dass sie sich gegen die Gewinnmaximierung auf ihre Kosten wehren.

Verdi fordert einen Sozialtarifvertrag, der eine Abfindung von drei Jahresgehältern und eine zwölfmonatige Kündigungsfrist festschreibt. Doch der chinesische Techkonzern verweigert Verhandlungen und forciert stattdessen ein Gerichtsverfahren, das eine schnelle Einigung mit dem Betriebsrat erzwingen soll.

Pionierarbeit

«Die Beschäftigten bei Tiktok in Berlin machen Pionierarbeit», sagt Kathlen Eggerling. «Sie kämpfen für faire Bedingungen in einer Branche, die systematisch Verantwortung auslagert.» In der betroffenen Abteilung haben sich mehr als 70 Prozent der Gewerkschaft angeschlossen.

Ihr Mut ist wirklich bemerkenswert und inspiriert hoffentlich andere, sich auch nicht mehr alles gefallen zu lassen.

Um gegen solche Konzerne zu bestehen, müssten sich die Beschäftigten an allen Standorten und auch international zusammenschliessen. Um das deutlich zu machen, sandten die Streikenden eine Solidaritätsbotschaft an ihre Kolleginnen und Kollegen in London, die ebenfalls um ihre Jobs kämpfen.

Profite der Mächtigen

Beim Streik in Berlin geht es um die Zukunft der Betroffenen, aber auch um Grundsätzliches. Die zentrale Frage sei, wem die technologische Revolution nütze – und wer den Preis zahle, so der Gewerkschafter Daniel Gutierrez bei einer Kundgebung. «Wenn KI dazu dient, die Profite der Mächtigen zu steigern und die Arbeitsplätze derjenigen zu vernichten, die diese Systeme überhaupt erst ermöglicht haben, dann ist das keine Innovation, sondern eine Enteignung der vielen zugunsten der ­wenigen.»

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