Proteste in Serbien
Regierung reagiert mit rigoroser Gewalt

Studierende Serbiens ­protestieren seit über neun Monaten gegen die ­korrupte Regierung. Diese reagiert mit massiver Polizeigewalt und verzögert die Ermittlungen. Jetzt schaut Europa endlich hin – wenn auch nur schüchtern.

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STUDENTEN GEGEN DEN PRÄSIDENTEN: Proteste in Serbien, aufgenommen am 5. September in Novi Sad. (Foto: Keystone)

Seit im November letzten Jahres ein Bahnhofsdach in der serbischen Stadt Novi Sad einstürzte und 16 Menschen in den Tod riss, protestiert die Bevölkerung gegen die Regierung. Die Protestbewegung wird seit Monaten von Studierenden angeführt, ­immer grössere Teile der Bevölkerung schlies­­­sen sich ihnen an. Unter der Re­gierung von Aleksandar Vučić leidet das Land nämlich unter massiver Korruption. Das eingestürzte Dach war der berühmte letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Die Protestbewegung ist breit aufgestellt und wird von keiner Partei, sondern basisdemokratisch durch die Studierenden geführt. Dies ist ein wichtiges Element der Bewegung, denn so schliessen sich Menschen mit den verschiedensten politischen Gesinnungen an. Ihr gemeinsames Ziel: demokratische Neuwahlen. Doch da spielt der autokratische Regierungschef Serbiens nicht mit. Im Gegenteil: Er hetzt die Menschen gegeneinander auf, manipuliert die Medien. Und lässt die Proteste, die fast täglich im ganzen Land stattfinden, von der Polizei mit Gewalt unterbinden.

Gewaltausbruch

Nachdem die Protestierenden seit Monaten friedlich ihre Anliegen auf die Strasse brachten, eskalierte es Mitte August. Eine Gruppe vermummter und gut ausgebil­deter Männer – vermutlich Anhänger des Präsidenten Vučić – griff die Demonstrierenden mit einem Feuerwerkskörper an. Seither ist die Situation angespannt. Auch die Studierenden greifen zu neuen Mitteln: Sie gehen mit Gewalt gegen das Gebäude der Regierungspartei SNS sowie das Gebäude der staatlichen Medien vor. Ein Student äussert sich dazu:

Wir beschädigen Gebäude, aber sie gehen mit Gewalt gegen Menschen vor.

Und Vučić? Statt deeskalierend zu reagieren und die Protestbewegung anzu­erkennen, schüttet er weiter Öl ins Feuer. Erst verleugnete er die Proteste, redete sie in öffentlichen Reden klein und behauptete, die Bewegung sei vom Westen finanziert und angetrieben. Und jetzt geht er mit Gewalt vor. Eine angespannte Situation, bei der auch Europa nicht mehr wegschauen kann. Das Europäische Parlament in Brüssel diskutierte die Gewalteskalation in Serbien am 9. September. Das Ergebnis: Diverse Abgeordnete hielten Reden zum Thema, das weitere Vorgehen bleibt nach der ersten Sitzung offen. Bereits im März leitete die europäische Staatsanwaltschaft eine Untersuchung ein. Der Vorwurf steht im Raum, dass EU-Gelder möglicherweise für die Renovierung des Bahnhofs missbraucht wurden.

SCHLECHTER ZUG: Serbiens Präsident Aleksandar Vučić. (Foto: Facebook)

Und wie läuft es bei den Ermittlungen rund um den Einsturz des Bahnhofsdaches in Serbien selbst? Kurzgefasst: schlecht. Es steht in den Sternen, wie und ob die Ermittlungen rund um den mutmasslichen Korruptionsfall weitergehen. Dafür verantwortlich ist Dragan Vasiljević, welcher erst seit Ende April in seinem Amt als Direktor der serbischen Polizei waltet. Laut der Zeitung «Radar» verweigert der Polizeidirektor die Teilnahme von 17 Polizisten in der zuständigen Einsatzgruppe. Damit blockiert er die Ermittlungen. 

Polizeichef und Lehrerinnen entlassen

Erst kürzlich schickt Präsident Vučić den Polizeikommandanten Spasoje Vulević mit 54 Jahren in Rente. Er kommandierte während 20 Jahren die Anti-Terror-Spezialeinheit (SAJ) des serbischen Innenministeriums. Brisant: Das Rentenalter in Serbien liegt bei Männern bei 65 Jahren. Noch brisanter: Vulević habe sich geweigert, seine Unterstellten gegen die Proteste der Studierenden einzusetzen. Weiter sind auf das neue Schuljahr mehrere Lehrkräfte entlassen worden, welche sich öffentlich für die Protestbewegung der jungen Menschen in Serbien ausgesprochen oder eingesetzt haben.

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