Zollwahnsinn
Der selbsternannte Sonderfall Schweiz zappelt in der Sonderfalle

US-Präsident Donald Trump verhängt für Schweizer Produkte 39 Prozent Zoll. Die Anbiederungsstrategie von SVP und FDP ist brutal gescheitert. Jetzt wollen sie Schweizer Lohnabhängige dafür blechen lassen. Und himmeln Trump weiter an.

Beitrag vorlesen lassen.
0:00 / 7:53
Karikatur: Peter Gut / Erstabdruck in der NZZ

Gedacht haben sich das die absolute SVP/FDP-Mehrheit im Bundesrat und die Tenöre ihrer Parteien ganz anders. Denn schliesslich «tendieren» sie zu Trump (Albert Rösti), haben «in den Weihnachtsferien sein Buch gelesen» und sowieso «den Zugang zu Trump gefunden» (Karin Keller-Sutter). Die Linken sollen jetzt einfach mal aufhören, den US-Präsidenten zu kritisieren, dann komme das gut oder sogar sehr gut. Selbst den Werbespot von US-Vizepräsident J. D. Vance für die rechtsextreme «Alternative für Deutschland» lobte Karin Keller-Sutter als «sehr schweizerisch». Und Noch-FDP-Präsident Thierry Burkart wurde nicht müde, zu betonen, wie froh er sei, dass eine Vertreterin seiner Partei mit Trump telefoniere und kein linker Mensch. 

Keller-Sutter telefoniert …

Und dann telefonierte Karin Keller-Sutter noch einmal mit Trump. Und der schüttelt ausgerechten am 1. August 39 Prozent Zölle für Schweizer Produkte aus dem Ärmel. Geträumt und hinter vorgehaltener Hand geblufft haben Keller-Sutter & Co. von und mit 10 Prozent. Bei der EU, die der Bundesrat über- beziehungsweise untertrumpfen wollte, begnügt sich der Pate im Weissen Haus mit 15 Prozent. Schlechter als die Schweiz fahren derzeit nur Brasilien (50 Prozent), Syrien (41 Prozent), Laos und Myanmar (je 40 Prozent). 

… und lässt raunen

10 Prozent wollte Keller-Sutter verkünden. Stattdessen putzte Trump sie am Telefon ab, verspottete sie öffentlich und erklärte, er kenne sie gar nicht. Peinlich für Keller-Sutter, so peinlich offenbar, dass sie aus lauter Schreck gleich mal mehr oder weniger subtil das Staatssekretariat für Wirtschaft verantwortlich machen wollte. Später ruderte sie dann zurück. Und unterdessen lässt der Keller-Sutter-Fanclub über geneigte Medien neue Heldinnengeschichten verbreiten und von der grossen Verschwörung aus dem Justizdepartement und dem Aussendepartement gegen die Finanzministerin raunen. Fakt ist: Dieses Verhandlungsergebnis ist eine schallende Ohrfeige für die Trump bewundernde SVP/FDP-Mehrheit im Bundesrat.

Nerven nicht verlieren

Fakt ist auch: Die absurden 39 Prozent Zoll sind für betroffene Unternehmen eine Herausforderung und gefährden Zehntausende von Jobs. Doch die Firmen haben starke Produkte, einen exzellenten Marktzugang – und sie können einen grossen Teil der Belastung über höhere Preise weitergeben. Selbst chinesische Billigproduzenten haben das in der ersten Trump-Runde geschafft. 

Dazu kommen technische Möglichkeiten wie «tariff engineering»: Dienstleistungen, Software, Lizenzen oder Markenrechte können so abgerechnet werden, dass sie nicht verzollt werden. Auch in den Lieferketten gibt es Spielräume, die grosse Konzerne bereits nutzen. Für kleinere Firmen muss der Bund Unterstützung bereitstellen. Zentral ist, dass für Firmen, die ihr Exportmodell anpassen müssen, das bewährte Instrument der Kurzarbeit ausgebaut wird. Und zwar auf 24 Monate. Darüber kann das Parlament in der nächsten Session bereits entscheiden, weil die Unia zusammen mit dem Arbeit-geberverband Swissmem vorausschauend einen entsprechenden Vorstoss bereits in den politischen Prozess eingebracht hat (siehe auch Interview mit Unia-Industriechef Yves Defferrard). 

Durchsichtige Manöver

Ebenfalls auf dem falschen Fuss erwischt hat Keller-Sutters Misserfolg die Arbeitgeberverbände. Doch diese haben sich schnell gefangen und versuchen, den Zollhammer von Trump auszunutzen, um die Arbeitnehmendenrechte in der Schweiz weiter auszuhöhlen. Und natürlich die Steuern für Superreiche und Konzerne zu senken. Von den marktradikalen Dauerbrennern scheint – bis jetzt zumindest – einzig die Ausweitung der Ladenöffnungszeiten noch nicht als Massnahme zur Abfederung der Trump-Politik aufgetaucht zu sein. Sogar die Einführung der 13. AHV-Rente greifen bürgerliche Exponenten an. Die Gewerkschaften geben energisch Gegensteuer. Unia-Präsidentin Vania Alleva sagt:

Trumps Zollwahnsinn darf nicht Vorwand sein, den Arbeitnehmendenschutz in der Schweiz noch weiter zu schwächen.

Weil er kann …

Ein Sinnbild des 1. August 2025: Während SVP-Präsident Marcel Dettling die Bilateralen III verbrennt und unter Verwendung einer Hellebarde einen Cervelat wärmt, schüttelt SVP-Idol Trump mal eben 39 Prozent Zölle für Schweizer Produkte aus dem Ärmel. Warum? Weil er es kann. So wie er nach eigenen Angaben Frauen zwischen die Beine fassen kann, weil er reich und mächtig ist. So wie er Menschenjagden auf Migrantinnen und Migranten veranstalten kann. So wie er die Statistik-Chefin entlassen kann, weil ihm die Zahlen nicht passen. So wie er Brasilien als einem von vier Ländern einen noch höheren Zoll aufs Auge drückt als der Schweiz, weil dort sein kryptofaschistischer Kumpel und Putschist Jair Bolsonaro vor Gericht gestellt wird. So wie er «woke» verbieten kann. So wie er unbotmässigen Universitäten das Geld streichen kann. So wie er sich um Urteile foutieren kann. 

… wie sie gern möchten

Das alles macht der SVP – und beileibe nicht nur ihr – enormen Eindruck. Es ist ihr Programm. Darum hat es so viele Trump-Fans in der Partei. Der irrlichternde Autokrat im Weissen Haus kann die Schweiz triezen, wie er will, er bleibt der Held, solange er nur alles «Linke» noch mehr triezt. Mehr noch: Mit der naiven Bewunderung des schmächtigen Zweitklässlers für den prügelnden und pöbelnden Neuntklässler wollen sie ihm geben, was immer er will. Während die SVP bei jeder Anfrage unserer europäischen Nachbarn einen Knechtungsversuch wittert, unterwirft sie sich Trump noch so gern tatsächlich, mit Anlauf und ganz freiwillig.

Aus der Sonderfalle

Doch die Anbiederung der SVP/FDP-Bundesratsmehrheit an Trump ist krachend gescheitert. Mehr noch: Sie schadet der Schweiz massiv. Auch weil es die Regierung besonders schlau fand, sich von den europäischen Nachbarn zu distanzieren, um einen besseren Deal vom Autokraten im Weissen Haus zu bekommen. Man könnte diese Blamage durchaus als Chance sehen, sich vom Sonderfall-Mythos zu verabschieden, der längst eine Sonderfalle ist.


Blick in die VergangenheitTrump, George III. und der Tee

Donald Trump inszeniert sich gern als Hüter ur-nordamerikanischer Werte. Aussenhandelspolitisch jedoch führt er die Vereinigten Staaten zurück in jene Zeiten, aus denen sie einst flohen. Seine Zollpolitik macht ihn zum modernen George III.

BOSTON TEA PARTY: Protest gegen die britische Krone. (Foto: Alamy)

Am 16. Dezember 1773 kippten mehr schlecht als recht als Mohawk-Indianer verkleidete Bostoner Bürger 342 Kisten Tee ins Hafenbecken. Ihr Protest richtete sich nicht gegen das Getränk selbst, sondern gegen die Willkür der britischen Krone, die ohne jede Mitsprache Zölle verhängte. Ihr Schlachtruf: «No taxation without representation» – keine Besteuerung ohne Vertretung. Und wurde zu einem Fanal für die amerikanische Revolution. Die Boston Tea Party war dabei kein folkloristischer Maskenball, sondern eine diszipliniert geplante Aktion gegen ein System, das Handel abschnitt und politische Rechte verweigerte.

Die US-Gründungsväter zogen daraus die Konsequenz: In der Verfassung von 1787 teilten sie die Macht klar auf Legislative, Exekutive und Judikative. Kein Präsident sollte je wieder wie ein Monarch allein über Steuern und Zölle bestimmen dürfen.

Für Trump ein Blankocheck

Heute jedoch deutet Trump den International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977 als Blankocheck. Dieses Gesetz, das ursprünglich für Krisenlagen gedacht war, erklärt er zum Ermächtigungsinstrument, das ihm erlaube, nach Belieben Zölle gegen jedes Land zu verhängen – aus nahezu jedem Grund. 

Damit handelt er nicht als Verteidiger, sondern als Zerstörer des US-Selbstverständnisses. Wo einst Bürgerinnen und Bürger gegen königliche Willkür kämpften, setzt heute ein US-Präsident auf genau jene Praxis: Zölle nach Laune, ohne demokratische Legitimation, ohne parlamentarische Kontrolle. 

Es war einst der britische König, der laut Unabhängigkeitserklärung «unseren Handel mit allen Teilen der Welt abgeschnitten» hat. Heute spielt der Präsident der Vereinigten Staaten selbst den König – und untergräbt dabei jene republikanischen Grundpfeiler, die aus der Revolte gegen den Tee-Monarchen geboren wurden.

Die «Sons of Liberty» würden sich im Grabe umdrehen. Oder sich wieder Federn an den Hut stecken.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.