Weil sie Ausbeutung anprangerten:
Engadiner Gastro-Gauner wirft Kritiker auf Strasse – Unia bereitet Klagen vor

Fristlose Kündigungen und Wohnungsrausschmiss! So reagiert der Bündner Gastro-Unternehmer Roberto Giovanoli auf Kritik seiner Angestellten. Diese antworten mit einer zweiten Demo – und erhalten zunehmend Support.

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IM ZENTRUM: Gefeuerte Gastro-Büezer demonstrierten am Mittwochmittag mit der Unia in Chur. Foto: Unia

Wer auf Rache sinnt, der grabe zwei Gräber! Das chinesische Sprichwort, das Rachelüsterne vor fatalen Folgen ihres eigenen Furors warnt, kennt Roberto Giovanoli (35) offenbar nicht. Der Inhaber der Bündner Gastrokette «Plan B Kitchen AG» war vor einer Woche von Angestellten und der Unia zur Bereinigung diverser schwerwiegender Missstände aufgefordert worden. Da Giovanoli aber in der entsprechenden Krisensitzung jede Verantwortung von sich wies, protestierte im Anschluss eine Arbeiter-Delegation vor seinem St. Moritzer Sushi-Restaurant «Nayan». Radio und TV berichteten. In der «Südostschweiz» war es die Titelstory. Und im work setzte ein 18jähriger sogar noch eins drauf: Giovanoli habe ihm für einen Monat Schwarzarbeit 1000 Franken bar auf die Hand gezahlt, versicherte er.

UNTER DRUCK. Plan-B-Chef Roberto Giovanoli. Foto: Gastro Graubünden.

Der Engadiner Gastro-Boss dementierte, wo er nur konnte. Und holte dann zum Rundumschlag aus: Am Montagabend schickte er per Whatsapp und Mail vier Mitarbeitenden die fristlose Kündigung. Sie hätten am «öffentlichkeitswirksamen und rufschädigenden Angriff» auf seine Firma mitgewirkt und auf Facebook «zustimmende Äusserungen» zur St. Moritzer Protest-Kundgebung verbreitet.

Und: «Da Ihre Unterkunft direkt an das Arbeitsverhältnis gekoppelt ist, verlieren Sie mit sofortiger Wirkung das Wohnrecht.» Tatsächlich vermietet Giovanoli vielen seiner Angestellten ein Zimmer. Oder eine Zimmerhälfte. Auch improvisierte Kammern mit Stockbetten und Papptrennwänden dienten ihm schon als Unterkünfte, wie Videos belegen. Aus der doppelten Machtposition des Arbeitgebers und Vermieters zugleich spricht Giovanoli nun Drohungen aus: Die Zimmer seien innert drei Tagen zu räumen, eine allfällige Weigerung werde «als Besitzstörung geahndet».

Fristlose «eindeutig missbräuchlich»

Einen fristlosen Rauswurf der Mieterschaft? Im Schweizer Mietrecht ist das nur in einem einzigen Fall möglich. Nämlich dann, wenn der Mieter dem Mietobjekt «vorsätzlich schweren Schaden» zugefügt hat. So definiert es Artikel 257f des Obligationenrechts. Für Danijela Dragičević von der Unia Ostschweiz-Graubünden steht jedenfalls fest:

Die Kombination aus Arbeitsplatzverlust und sofortigem Wohnungsverlust zeigt, mit welchen Methoden Giovanoli seine Mitarbeitenden von ihm abhängig macht.

«Die Kombination aus Arbeitsplatzverlust und sofortigem Wohnungsverlust zeigt, mit welchen Methoden Giovanoli seine Mitarbeitenden von ihm abhängig macht.»

Besonders perfid sei dies, da die meisten seiner Angestellten erst seit kurzem in der Schweiz lebten, noch kein soziales Netz hätten und so schlimmstenfalls in der Obdachlosigkeit landeten. Die fristlosen Kündigungen seien «eindeutig missbräuchlich». Dragičević erklärt: «Weder liegen die für eine ‘Fristlose’ nötigen schwerwiegenden Verfehlungen vor, noch gab es eine Vorwarnung.» Es handle sich um klassische Rachekündigungen gegen Angestellte, die bloss ihre Rechte einforderten.

Für die Geschassten ist die Situation ernst. Einer der Betroffenen ist Rafael R.*. Er sagt zu work: «Ich bin jetzt ohne Einkommen und meine Frau arbeitet noch nicht. Denn wir haben einen kleinen Sohn. Ich mache mir Sorgen.» Und trotzdem. Ans Aufgeben denken weder er noch seine Kolleginnen und Kollegen.

Geschasste wehren sich juristisch und mit Demo

Mit Hilfe der Unia werden sie die Kündigungen anfechten. Damit drohen Giovanoli Schadenersatzzahlungen in der Höhe von je sechs Monatslöhnen sowie weitere Unkosten, die aufgrund des fristlos aufgelösten Mietverhältnisses entstehen könnten.

Die Geschassten wollen aber nicht nur den Rechtsweg beschreiten. Bereits gestern Mittwoch haben sie zusammen mit weiteren Ehemaligen und der Unia in Chur demonstriert. Und zwar zur Mittagszeit vor dem «Capricorn», einem von insgesamt fünf Restaurants von Plan B. Gäste wurden durch den Protest keine vertrieben – trotz Trillerpfeifen und Megafon-Durchsagen. Denn abgesehen von zwei chinesischen Touristengruppen und einer grimmigen Frau, die sich als Spitzel des Chefs entpuppte, gab es gar keine Gäste. Auch im nahen «Meridiana», ebenfalls ein Restaurant von Plan B, herrschte gähnende Leere. Und im «Jamies» war um die Mittagszeit überhaupt niemand zu sehen, nicht einmal Personal. Dies trotz vorzüglicher Lage und gut gefüllten Nachbarlokalen.

Neue Betroffene bestätigen Ausbeutung

Regen Zulauf verzeichnet dagegen die Unia. In den letzten Tagen haben sich etliche neue Ex-Angestellte von Plan B gemeldet. Restlos alle von ihnen bestätigen die Vorwürfe, die schon letzte Woche von Mitarbeitenden erhoben worden sind. Einer von ihnen ist der Portugiese Francisco R*. Er ist überzeugt: «Die Vorgesetzten in dieser Firma manipulieren die Stunden-App! Mir wurden insgesamt rund 160 Stunden willkürlich abgezogen – und das ist Standard!» Er zeigt work die Stundenzählung auf der Unternehmensapp. Und dann die Zählung, die er selbst mittels einer Stempel-App auf seinem Handy gemacht hat. Resultat: Fast immer weist die Unternehmensapp weniger Arbeitszeit aus als seine App.

ALL KORREKT? Francisco R. listet in der Stunden-App sämtliche Fehler auf und teilt diese Chef Giovanoli mit. Dieser reagiert mit: "In deinem Fall ist alles korrekt". Screenshot: Zvg.

Ganz genau beäugt werde dagegen das Verhalten des Personals an der Arbeit. Einmal habe ihn seine Freundin im Restaurant besucht. Sie hätten sich in einer ruhigen Minute kurz an einen Tisch gesetzt. Doch das habe sofort einen Rüffel zur Folge gehabt – via Whatsapp-Nachricht, angehängt ein Foto der Überwachungskamera, das ihn mit der Freundin zeigt.

ÜBERWACHT. Gastro-Büezer Francisco R. bekam eine Aufnahme der Überwachungskamera zugeschickt, die ihn mit seiner Freundin zeigt. Screenshot: Zvg.

Auch der deutsche Kellner Paul G.* sagt, er sei massiv abgezockt worden:

Jeden Tag wurden uns 1,5 Stunden Pausen verrechnet, doch real gab es die Pause erst nach der Schicht, also in der Freizeit!

Und auch bei ihm seien 350 Franken vom Lohn abgezogen worden für Verpflegung, die es gar nicht gegeben habe. G. sagt: «Uns wurden abgelaufene alkoholfreie Getränke zur Verfügung gestellt!»

Ebenfalls einiges zu berichten weiss der Italiener Luca V.*. Er war bis vor kurzem Koch im «Capricorn» und sagt:

Im Januar habe ich keine einzige Pause machen können.

12 Stunden am Tag habe er durchgearbeitet. Allein im Januar sei er so auf 274 Stunden gekommen. Und obwohl er keine Pausen habe machen können, seien solche in der App immer eingetragen worden.

SELTSAME BALANCE. Laut der Stundenberechnung in der Unternehmensapp lag Rafael R. im November 48 Stunden im Minus, hatte aber 0,08 freie Tage zugute. Im Dezember fielen die freien Tage dann plötzlich auf minus 9. Und dies obwohl laut App die Minusstunden abgenommen haben. Screenshot: Zvg.

Lohn erst nach signierten Fake-Listen

Per Telefon meldet sich schliesslich auch noch Robert H.*. Er war bis 2024 bei Plan B unter Vertrag und sagt über diese Zeit:

Giovanoli übte enormen Druck auf seine Mitarbeiter aus und zahlte Löhne erst aus, wenn die manipulierten Stundenlisten unterzeichnet wurden.

Besonders ältere Mitarbeiter, die in der Spüle arbeiteten, seien von ihm «wie der letzte Dreck» behandelt worden. Und: «Wenn etwas schiefging, wurde der Mitarbeiter, der 14 Stunden gearbeitet hatte, an den Pranger gestellt.» Unter diesen Umständen mutiere das Personal mit der Zeit zu «Zombies». Giovanoli dagegen stelle sich selbst als Opfer dar. Und: «Er lacht die Hilferufe seiner Leute gnadenlos weg.» Entsprechend gross sei die Fluktuation im Betrieb. Das kann auch der junge Vater Rafael R. bestätigen: «In meinen dreieinhalb Jahren bei Plan B habe ich über 90 Mitarbeitende kommen und gehen sehen.» Aktuell zählt die Firma knapp 30 Mitarbeitende.

Chef kontert – Gastroverband wartet ab

Plan-B-Chef Roberto Giovanoli bestreitet auch diese Vorwürfe auf ganzer Linie. Ausserdem möchte er die Kündigungen nicht als antigewerkschaftlich verstanden wissen. Sie seien die Folge einer «Teilnahme an einer beispiellosen Rufmordkampagne». Der Unia sei es gar nie um eine Lösungsfindung gegangen, sondern um Politik.

Unia-Frau Danijela Dragičević kann dazu nur den Kopf schütteln. «Jetzt werden wir den Stundenklau halt vor Gericht bringen und auch wegen den missbräuchlichen Kündigungen bereiten wir Klagen vor.» Gleichzeitig erwarte sie aber auch von Gastro Graubünden mehr Haltung. Schliesslich sitze Roberto Giovanoli im Vorstand dieser Arbeitgeberorganisation, mit der die Unia sonst gut zusammenarbeite. Auf Anfrage teilt Gastro-Graubünden-Präsident Franz Sepp Caluori allerdings mit, er werde vorerst keine Konsequenzen ziehen. Zuerst müssten die Vorwürfe bestätigt werden. Er gehe allerdings davon aus, dass sich die Parteien noch einigen werden. Danach sieht es derzeit überhaupt nicht aus. Zumal Giovanoli ernsthaft zu glauben scheint, die Gewerkschaft lasse sich in sein Gesetz des Schweigens hineinpressen. So schreibt er in seiner jüngsten Medienmitteilung: «Ich bin bereit, auf die fristlosen Kündigungen zurückzukommen, wenn die Unia ihre Rufmordkampagne einstellt und sich explizit dazu bekennt, verhandlungsweise Lösungen zu suchen.»

*alle Namen der Redaktion bekannt.

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