Nachruf auf Dan Gallin (1931–2025)
Ein Arbeiter-Internationalist ist gegangen

Mit dem Tod von Dan Gallin verliert die internationale Gewerkschaftsbewegung einen prägenden Vorkämpfer. Doch der Genfer hat ein Erbe hinterlassen, auf dem sich aufbauen lässt.

JAHRZEHNTELANG ENGAGIERT: Dan Gallin im Jahr 1991. (Foto: IUL)

Dan Gallin, der ehemalige Generalsekretär der Internationalen Gewerkschaft der Nahrungsmittelarbeiter (IUL), ist am 31. Mai im Alter von 94 Jahren in seinem Haus in Genf verstorben. Sein Tod hinterlässt eine grosse Lücke; doch sein jahrzehntelanges Engagement und sein Kampf in der internationalen Arbeiterbewegung hinterlassen auch ein reiches Erbe, auf dem wir aufbauen können.
 
Dan wurde 1931 in Lwów (damals Teil Polens, heute Lwiw in der Ukraine) geboren, wo sein rumänischer Vater im diplomatischen Dienst tätig war. Während des Zweiten Weltkrieges zog er mit seiner Familie nach Berlin, wohin sein Vater versetzt worden war. Nach einigen Jahren wurde er jedoch in die sichere Schweiz gebracht, da Berlin zunehmend unter schwerem Bombardement stand. Am Ende des Krieges lebte Dan hier als Staatenloser. Doch 1949 erhielt er ein Stipendium für die Universität von Kansas (USA). Dort wurde er zum studentischen Aktivisten. Und die Independent Socialist League (eine trotzkistische Gruppe, Anm. der Red.) gewann ihn für den Sozialismus.

Im Kalten Krieg aus den USA gedrängt

Deren politisches Konzept des «dritten Lagers» («weder Moskau noch Washington») bestand darauf, dass der Kampf für den Sozialismus von den Bedürfnissen der Arbeiterklasse und nicht von den Bedürfnissen der konkurrierenden Machtblöcke des Kalten Krieges geleitet werden müsse. Dan stürzte sich in die Jugendarbeit der Organisation. Doch in den USA unter McCarthy galt dies als Subversion. Er wurde verhaftet und 1953 dazu gedrängt, die Vereinigten Staaten zu verlassen. Viele Jahre später schrieb er:

Was ich erst später ganz begriffen habe, ist, dass es in Wirklichkeit kein drittes Lager gibt, sondern nur zwei Lager: ‹die› und ‹wir›. Das ‹dritte Lager› war ein Slogan für eine Welt, die zwischen zwei Supermächten polarisiert war, aber seine tiefere Bedeutung war eine andere. Später, als ich anfing, Kurse in der Gewerkschaftsbewegung zu geben, habe ich es so erklärt: Die fundamentale Trennlinie in der heutigen Welt verläuft nicht vertikal zwischen den beiden Blöcken, sondern horizontal zwischen der Arbeiterklasse und ihren Herrschern, und diese Trennlinie verläuft quer durch beide Blöcke. Wir sind nicht ‹Ost› oder ‹West›, sondern ‹unten›, wo die Arbeiter sind.

Gegen jeden Autoritarismus

Durch diese Erfahrungen gewann Dan ein tiefes Bekenntnis zur internationalen Solidarität als Leitprinzip der Politik der Arbeiterklasse. Die Bedeutung – und die Praxis – der Solidarität musste vor ihrer Aushöhlung und Deformierung durch den Kalten Krieg gerettet werden. Wenn Solidarität ein Grundprinzip war, dann war sie auch ein Projekt, das nur durch engagierte Organisation aufgebaut werden konnte; es gab keine Abkürzungen. Wenn der Sozialismus nur demokratisch sein konnte und es keine Demokratie ohne Sozialismus gab, bedeutete dies eine entschlossene Opposition gegen alle Formen des Autoritarismus sowie eine ständige Wachsamkeit gegenüber Selbstgefälligkeit und Konformismus innerhalb der Arbeiterbewegung selbst.

Zurück in der Schweiz

Im Jahr 1960 begann Dan im IUL-Sekretariat in Genf zu arbeiten. 1968 wurde er zum Generalsekretär gewählt. Unter seiner Führung entwickelte sich die IUL zu einer kämpferischen, zukunftsorientierten Organisation – einem globalen Solidaritätsnetzwerk mit wachsender Mitgliederzahl und wachsenden Ambitionen. Eine Säule dieses Wachstums waren die tatkräftigen neuen Regionalorganisationen in Afrika, im asiatisch-pazifischen Raum und in Lateinamerika, von denen viele Mitglieder gegen repressive Regierungen um ihre Existenz kämpften. Eine andere Säule war das Engagement für den Gewerkschaftsaufbau innerhalb der transnationalen Unternehmen, die zunehmend die Weltwirtschaft und die IUL-Sektoren bestimmten. Vor allem aber bot die IUL eine strategische Ausrichtung, die über das rein Reaktive hinausging.

Coca-Cola in die Knie gezwungen

Dieses Engagement wurde bei der weltweiten IUL-Kampagne zur Unterstützung der Coca-Cola-Gewerkschaft in Guatemala Stadt auf eine harte Probe gestellt. In der Franchise-Abfüllanlage des Konzerns wurden führende Gewerkschaftsvertreter systematisch ermordet. Coca-Cola wies die Verantwortung für die Situation von sich.

DAN GALLIN: Ein wichtiger Mann der internationalen Arbeiterbewegung. (Foto: Schweizerisches Sozialarchiv)

Im Laufe von fünf Jahren (1979–1984) mobilisierte die IUL mit wenigen Mitteln, aber der Unterstützung ihrer Mitglieder eine Reihe von fortlaufenden internationalen Solidaritätsaktionen. Diese zwangen die Muttergesellschaft schliesslich dazu, genau das zu tun, was sie zuvor hartnäckig als Unmöglichkeit dargestellt hatte: den Franchisenehmer durch einen Manager zu ersetzen, der die Gewerkschaft anerkennt, sich zu Tarifverhandlungen verpflichtet und den Familien der ermordeten Gewerkschaftsführer eine Entschädigung zahlt. Es war die erste internationale Gewerkschaftskampagne gegen ein transnationales Unternehmen und die erste erfolgreiche dazu. (Ein ausgezeichneter Bericht, auf Englisch, über die IUL-Kampagne gegen Coca-Cola in Guatemala findet sich hier.)

Vereinigungsfreiheit bei Multis durchgesetzt

Die IUL war eine Kampagnenorganisation, aber Kampagnen können nur dann wirksam sein, wenn sie auf ein solides organisatorisches Fundament aufbauen. Um diese Organisation zu unterstützen – und nicht zu ersetzen –, leistete die IUL Pionierarbeit für das, was später als globale Rahmenvereinbarungen bezeichnet wurde. Und zwar indem sie 1988 mit dem französischen Lebensmittelkonzern BSN (später Danone) die erste internationale Vereinbarung über Gewerkschaftsrechte zwischen einem transnationalen Unternehmen und einer internationalen Gewerkschaftsorganisation aushandelte. Für Dan hatte die internationale Anerkennung der IUL nur einen einzigen Zweck: den Arbeiterinnen und Arbeitern in allen Betrieben eines Unternehmens die Möglichkeit zu geben, sich frei zu organisieren und die gesamte Bandbreite ihrer Forderungen auszuhandeln.

Ausserhalb der etablierten Strukturen

Der Aufbau von Solidarität in multinationalen Unternehmen war nur eine Komponente der IUL-Arbeit. Die IUL war immer für alle ihre Mitglieder da und wandte sich auch an Arbeitende, die sich ausserhalb der etablierten Strukturen der Arbeiterbewegung organisierten. Anfang der 1980er Jahre nahm Dan etwa die indische Self-Employed Women’s Association (SEWA) durch die Aufnahme in die IUL in die internationale Gewerkschaftsbewegung auf (was nicht unumstritten war). Und die IUL wurde zu einer konsequenten Verfechterin der Rechte jener Lohnabhängigen, die sich in dem Bereich organisierten, der später als informelle Wirtschaft bezeichnet wurde. Davon profitiert haben insbesondere Frauen. Dies legte den Grundstein für die später unverzichtbare Unterstützung der IUL für die Internationale Föderation der Hausangestellten.

Gewerkschaften für die Befreiung aller

Dan kämpfte für eine internationale Gewerkschaftsbewegung, die mehr sein sollte als die Summe ihrer Teile. Nämlich eine unabhängige Kraft für die Emanzipation der Arbeiterinnen und Arbeiter sowie der gesamten Gesellschaft, eine Kraft, die sich gegen alle Formen der Unterdrückung und Ausbeutung wendet, statt ein simpler Zusammenschluss von nationalen Gewerkschaften oder Dachverbänden. Er bedauerte, dass die Grundsätze der Arbeiterbewegung durch seichten Konsens, Entgegenkommen oder Passivität ersetzt wurden, und schreckte nie vor einem Kampf zurück, wenn er spürte, dass diese Grundsätze auf dem Spiel standen.

Während seiner Zeit bei der IUL und bis zu seiner Pensionierung gab Dan seine Erfahrungen und sein enzyklopädisches Wissen über die Geschichte der Arbeiterbewegung und des Sozialismus grosszügig und enthusiastisch weiter und trug so zum Aufbau dieser Bewegung bei. Dan war der Meinung, dass es bei der Geschichte der Gewerkschaften um die Zukunft geht, nicht um die Vergangenheit. Er wiederholte gern, dass es weder dauerhafte Siege noch dauerhafte Niederlagen gibt, sondern nur dauerhafte Kämpfe.
 
Viele seiner Schriften in verschiedenen Sprachen sind auf der Website des Global Labour Institute zu finden, das er nach seiner Pensionierung gründete. Sie verdienen die grösstmögliche Verbreitung.
 
*Peter Rossman war von 1991 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2020 Kampagnen- und Kommunikationschef der Internationalen Gewerkschaft der Nahrungsmittelarbeiter (IUL) in Genf. Sein Nachruf ist zuerst auf Global Labour Column erschienen und wurde von work übersetzt.

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