Stromabkommen mit EU ist unnötig und gefährlich
Die Marktradikalen schon wieder stoppen

Die Gewerkschaften sagen Nein zum Strommarkt­abkommen mit der EU. Aus guten Gründen. Wie bereits vor rund 20 Jahren, als sie als einzige relevante Kraft das Referendum ergriffen.

ÖFFNUNG DES STROMMARKTES: Davon träumen die Wirtschaftsverbände, doch für kleine Kundinnen wäre dieser Schritt fatal. (Foto: Keystone)

Kleinkinder, die eine heisse Herdplatte anfassen, tun das nur einmal. So sagt der schwarz­pädagogische Volksmund. Marktradikale Ideologen und ihre Gläubigen sind weit weniger lernfähig. Jetzt gerade zu beobachten beim geplanten Stromabkommen mit der EU.

Die sogenannte Liberalisierung des Strommarktes ist ein Lieblingskind der Wirtschaftsverbände und der rechten Parteien. Immer und immer wieder brachten und bringen sie diese aufs Tapet. Zum Glück in der Schweiz nur teilweise erfolgreich. Dank den Gewerkschaften.

Alte Versprechen

Nur wer mehr als 100 000 Kilowattstunden Strom pro Jahr verbraucht, kann sich auf dem freien Markt eindecken. Unter dem heroischen Motto «Einmal frei, immer frei» stürzten sich rund 23 000 Firmen in das Stromcasino. Einige Gewerbler und Wirte liessen ihre grössten stromfressenden Maschinen dem Vernehmen nach sogar «leer» laufen, um auf den für die «Freiheit» nötigen Verbrauch zu kommen. Getrieben von ihren Verbandsfunktionären, gelockt von den Sparversprechen der Stromkonzerne und ihrer Politikerinnen und Politiker.

Alles vergessen?

Und dann überfiel Russland die Ukraine – und die Strompreise explodierten. Wie diese «Marktlogik» funktioniert und warum der überwältigende Teil des Stromhandels ein gigantisches Zockerparadies ist, steht im Artikel unten. Besonders betroffen waren jene Gewerbler, die sich in den freien Markt locken liessen. Und ausgerechnet der Gewerbeverband, der seit Jahren auf eine totale Marktöffnung drängte, wollte seine Mitglieder jetzt wieder in den doch so verpönten regulierten Markt holen. Natürlich entschädigungslos.

Dass es diesen regulierten Markt überhaupt noch gibt, ist den Gewerkschaften zu verdanken. Sie bekämpften in einer jahrelangen Kampagne die Liberalisierung des Strommarktes, noch bevor konkrete Gesetzesprojekte vorlagen. Durch die Kombination von wissenschaftlichen Studien, öffentlichen Kampagnen und parlamentarischem Lobbying legten die Gewerkschaften die Grundlagen für das erfolgreiche Referendum gegen das EMG im Jahr 2002. Damals wie heute waren die Bundeshausfraktio­nen der SP und der Grünen unsichere Kantonistinnen und liessen sich von den Versprechen der Marktradikalen verführen. Die SP-Basis fing ihre Parlamentarierinnen und Parlamentarier dann wieder ein, und die Partei kämpfte an der Seite der Gewerkschaften erfolgreich für ein Nein am 22. September 2002.

In der EU ist der Strommarkt schon lange liberalisiert. Und wir sehen, was passiert. Und das ist nicht gut. Gar nicht gut! Im geöffneten Strommarkt der EU kämpfen Kleinkundinnen und -kunden nicht nur mit hohen und stark schwankenden Preisen, sondern auch mit Anbieterkonkursen. Strom wird zum Spekulations­objekt für unzählige Vermarktungs- und Handelsfirmen, die aggressiv um Kundinnen und Kunden werben, ohne selbst eine Kilowattstunde zu produzieren. Verspekulieren sie sich, stehen betroffene Haushalte plötzlich ohne Anbieter da.

Um Abzocke, Pleiten und Stromabschaltungen zu verhindern, musste die EU ein kompliziertes und überaus bürokratisches Kon­sumentenschutz-Regelwerk entwickeln. Ein ähnliches System soll mit der Schweizer Markt­öffnung eingeführt werden. Ziemlich absurd: aus ideologischen Gründen ein bewährtes System zerschlagen, um dann gleichzeitig das neue Pfusch-System aufwendig am Laufen zu halten. Es erinnert an den alten Baubüezer-Spruch: «Meister, die Arbeit ist fertig – soll ich sie gleich flicken?» Und es wäre ja vielleicht sogar amüsant, wenn es nicht für Millionen Menschen dramatisch wäre.

Was passiert bei einem Nein?

Was passiert, wenn das Volk das Stomabkommen ablehnt? Nichts. Und vor allem: nichts Schädliches. Die wichtige Anbindung an das europäische Hochspannungsnetz ist bereits durch Verträge gewährleistet. Ein zusätzliches Abkommen ist für die Versorgung in der Schweiz und in den Nachbarländern nicht zwingend. Zumal beide Seiten eine enge Kooperation im Hochspannungsnetz brauchen.


Axpo: Die Zockerbude mit dem Uralt-AKW

Der Energiekonzern Axpo steht exemplarisch für die Auswüchse des sogenannt freien Strommarktes. Die Axpo-Gruppe gehört zu hundert Prozent den Nordostschweizer Kantonen. Ihr Zweck ist laut Statuten, für eine «sichere und preisgünstige Stromversorgung» zu sorgen. Doch das kümmert die Axpo-Manager und ihre rechtsbürgerlich regierten Besitzerinnen wenig. In den vergangenen Jahren ist Axpo zu einer Zockerbude mit angeschlossener Stromproduktion verkommen. Nur noch ein kleiner Teil des Umsatzes erzielt sie mit der Erzeugung von Strom, unter anderem mit Beznau, dem ältesten AKW der Welt. Der Rest ist Spekulation im internationalen Energiecasino.

Pure Spekulation

Der nützliche Teil der Strombörse ist der sogenannte Spot-Markt für Strom, der kurzfristig gebraucht und geliefert wird. Er trägt länderübergreifend zur Stabilisierung der Netze bei und gleicht Schwankungen aus. Er ist sinnvoll – und für Zocker langweilig. Sie tummeln sich lieber auf dem Termin-Markt. Hier wird Strom über Monate und Jahre oder gar Jahrzehnte im voraus gekauft und verkauft. Es ist ein pures Spekulationsgeschäft. Doch die Zockerei hat ihren Preis. Wer an der Strombörse spekuliert, muss Sicherheiten hinterlegen. Das funk­tioniert vereinfacht so: Ein Stromproduzent oder -händler verspricht, zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Strom zu liefern. Für den dafür vereinbarten Preis muss der Anbieter eine Art Depot hinterlegen. Die Idee dahinter: Liefert ein Stromanbieter nicht, soll die Stromkäuferin den ver­sprochenen Strom auf dem Markt einkaufen können, zulasten des ausgefallenen Produzenten. Das bedeutet: je höher der vereinbarte Preis, desto höher ist das Depot.

Das kann gutgehen. Oder auch nicht. So wie 2022, als sich die Axpo in einem Ausmass in die Zockerei gestürzt hatte, dass ihr das flüssige Geld auszugehen drohte und die Steuerzahlenden mit einer Milliardengarantie einspringen mussten. Folgen für die fürstlich bezahlten Strommanagerinnen und -manager hatte das keine.

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