Rezepte gegen rechts: Sichere Brücken statt Stacheldraht

Regula Rytz, Delegierte bei den European Greens, ehem. Nationalrätin und Präsidentin der Grünen, Mitglied der Arbeitsgruppe Europa des gewerkschaftsnahen «Denknetzes». (Montage: work)

Das gab’s noch nie: Zwei Anläufe brauchte Friedrich Merz, um deutscher Kanzler zu werden. Der holprige Start war Wasser auf die Mühlen der extremen Rechten. Die AfD frohlockte und verlangte subito Neuwahlen. Sie kommt der CDU in Umfragen immer näher. Das erhöht auch das Dilemma der Sozialdemokraten. Denn sie müssen sich nun laufend fragen: Wie viele Kröten wollen wir schlucken, um noch Schlimmeres zu verhindern? Und wo führt das alles hin?

Bollwerk

Erste Erfahrungen zeigen, dass die neue schwarz-rote Regierungskoalition in Deutschland alles andere als harmonisch ist. So hat Merz in der europäischen Kommission (also in der EU-Regierung) im Mai die Beerdigung der Lieferkettenrichtlinie verlangt. Diese will die Sozial- und Umweltrechte im globalen Handel sichern und steht seit langem unter rechtslibertärem Beschuss. Doch Merz kann nicht einfach tun und lassen, was er will. Er hat sich im Koalitionsvertrag mit der SPD verpflichtet, an der Sorgfaltspflicht von europäischen Konzernen festzuhalten. Je mehr Streit er dazu anzettelt, desto weniger wird er die Hoffnung erfüllen, Europa als Bollwerk gegen Autoritarismus und orange Zollerpressungen zu stärken.

Kitt

Dabei ist es genau das, was die Bürgerinnen und Bürger Europas von ihren Regierungen erwarten. Das neuste «Europa-Barometer» zeigt, dass ihr Vertrauen in die EU so gross ist wie seit 20 Jahren nicht mehr. 89 Prozent der Befragten glauben, dass mehr Zusammenhalt entscheidend ist, um die globalen Herausforderungen zu stemmen. 74 Prozent sind der Meinung, dass ihr Land von der EU-Mitgliedschaft profitiert – das beste Ergebnis aller Zeiten. Die Umfrage legt aber auch Probleme auf den Tisch. So rechnet ein Drittel der EU-Bevölkerung in den kommenden Jahren mit einem Rückgang ihres Lebensstandards. Sorgen machen vor allem die Inflation und die steigenden Lebenshaltungskosten. Gelingt es der EU nicht, die soziale Lage zu verbessern und die Ausgleichsmassnahmen zwischen den ärmeren und den reicheren Ländern fortzuführen, dann bröckelt der Kitt. Und dann wird die extreme Rechte stärker als je zuvor.

Eine entscheidende Rolle für die Zukunft Europas spielt deshalb die Finanzpolitik. Die EU und auch Deutschland haben unter dem Druck globaler Krisen die Schuldenbremsen gelockert. Das ist gut, aber nicht gut genug. Denn wenn mit den freigespielten Milliarden nur die Sicherheitsausgaben erhöht werden, ohne gleichzeitig in öffentliche Dienstleistungen und die kommunale Infrastruktur zu investieren, dann führt das in die Sackgasse. Studien belegen, dass der Aufstieg des Populismus nicht nur durch wirtschaftliche Not angetrieben wird, sondern durch die Wahrnehmung, dass etablierte Parteien die normalen Menschen im Stich lassen. Gerade auch in den ländlichen Gebieten. Wo öffentliche Dienstleistungen fehlen oder schwer zugänglich sind, wachsen das politische Misstrauen und die extreme Rechte. Man kann Merz & Co. deshalb nur zurufen: Sichere Brücken, gute Bildung und pünktliche Züge sind die klügere Antwort auf die AfD als migrationspolitische Stacheldrähte und soziale Deregulierungswellen.

Regula Rytz schreibt hier im Turnus mit Roland Erne, was die europäische Politik bewegt.

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