Zunehmender Rassismus in der Schule, am Arbeitsplatz und in der Nachbarschaft
Jeden Tag drei rassistische Vorfälle in der Schweiz

Der neue Rassismus­bericht ist alarmierend: In nur einem Jahr sind die gemeldeten Fälle um 40 Prozent gestiegen. Rassismus findet am häufigsten in der Ausbildung und am Arbeitsplatz statt.

WO RASSISMUS SICH AUSBREITET: Ob in der Ausbildung, unter Nachbarn oder im öffentlichen Raum, Rassismus ist leider allgegenwärtig. (Grafik: Beratungsnetz für Rassismusopfer)

Rassismus gehört in der Schweiz zur Tagesordnung. Im Vergleich zum Vorjahr sind die gemeldeten Fälle um 40 Prozent gestiegen. Die nationalen Beratungsstellen haben im vergangenen Jahr 1211 Fälle von rassistischer Diskriminierung ausgewertet. Unia-Migra­tionssekretärin Nivalda Still sagt: «Rassismus passiert jeden Tag. Bricht man die gemeldeten Fälle aus dem Bericht herunter, kommt es täglich zu drei rassistischen Vorfällen. Und das sind nur die gemeldeten Fälle, die Dunkelziffer dürfte viel höher liegen.» Besonders alarmierend: Bei der Ausbildung oder am Arbeitsplatz kommt es am häufigsten zu Vorfällen.

Dass gerade am Arbeitsplatz rassistische Vorfälle so häufig sind, nimmt die Gewerkschaft Unia ernst. Migra­tionssekretär Hilmi Gashi sagt: «Es ist die Pflicht der Arbeitgeber sicherzustellen, dass für Rassismus am Arbeitsplatz eine Nulltoleranz gilt.»

Keine Angst vor Konsequenzen

Der Bericht vom Beratungsnetz für Rassismusopfer streicht besonders den Rassismus im Gesundheitswesen hervor. Das Fallbeispiel aus einem Pflegeheim zeigt, wie Pflegekräfte beleidigt werden: «Frau Y. arbeitet in einem Pflegeheim und wird dort von einem demenzkranken Bewohner regelmässig rassistisch beleidigt, unter anderem mit dem N-Wort. Trotz der Anfeindungen verrichtet sie ihre Arbeit gewissenhaft und mit der gleichen Sorgfalt wie immer. Nach etwa einem Jahr fordert die Ehefrau des Patienten, dass Frau Y. ihn nicht mehr pflege, die Hautfarbe von Frau Y. rege ihren Mann auf. Es wird in einem gemeinsamen Gespräch entschieden, dass Frau Y. den Mann nicht mehr betreut. Die Ehefrau macht dabei abwertende Kommentare über «afrikanische» Pflegekräfte.»

Für den Anstieg der Rassismusfälle gibt es keine simplen Erklärungen. Doch Migrationssekretärin Nivalda Still sieht einen Zusammenhang mit der aktuellen Weltlage: «Wir können beobachten, dasss immer mehr Menschen ungehemmt rassistische Aussagen treffen. Ohne Angst vor Konsequenzen.» Rassistische Aussagen würden als «Witz» abgetan. «Nichtbetroffene müssen lernen, wo Rassismus beginnt», sagt sie. Im aktuellen Bericht melden sich grösstenteils die Betroffenen selbst. Doch rund ein Drittel der Fälle wurden durch Zeuginnen, Angehörige oder Fachpersonen gemeldet.

WEN ES AM MEISTEN TRIFFT: Dunkelhäutige Menschen und Muslime sind in der Schweiz am häufigsten mit Rassismus konfrontiert. (Grafik: Beratungsnetz für Rassismusopfer)

Fremdenfeindliche Politik

Über Fremdenfeindlichkeit wird öffentlich zunehmend schamloser debattiert. Das zeigt die Kampagne der SVP zu ­ihrer «Keine 10-Millionen-Schweiz!»-In­itiative (work berichtete). An der diesjährigen Migrationskonferenz der Unia verabschiedeten deshalb die Unia-Mitglieder eine Resolution. Unter dem Deckmantel der «Nachhaltigkeit» greift die SVP die Löhne aller an – unabhängig, ob mit oder ohne Schweizer Pass. Unia-Mann Gashi sagt: «Die SVP-Initiative dürfen wir nicht unterschätzen. Die Rechte aller Arbeiterinnen und Arbeiter werden massiv beschnitten. Je prekärer der Aufenthalt, desto prekärer die Arbeitsbedingungen. Diese Prekarität begünstigt Lohndumping.» Denn die Initiative greift frontal die Personenfreizügigkeit an. Die Folgen: mehr Lohndumping, schlechtere Arbeitsbedingungen, mehr Unsicherheit.

Die Resolution kritisiert auch den Stop des Familiennachzuges. Laut SVP-Initiative soll dieser ab 9,5 Millionen Einwohnern gebremst werden. Die Unia-Mitglieder machen klar: «Die Arbeiterinnen und Arbeiter schaffen den Wohlstand – ohne Respekt vor unseren Arbeits-, Lohn- und Lebensbedingungen gibt es keine legitime Politik.»


Echte symbolpolitikNeues Gesetz soll Rassisten hart anpacken


LIEBER SCHWEIGEN: Manche Aussagen gehören verboten. (Foto: iStock)

Seit Oktober 2023 arbeitet das Parlament an einem neuen Bundesgesetz über ein «Verbot der öffentlichen Verwendung von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen Symbolen, wie beispielsweise nationalsozialistischen Symbolen». Das Geschäft ist zurzeit beim Bundesrat. Konkret geht es darum, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, welche die öffentliche Verwendung, das öffentliche Tragen, das öffentliche Zeigen sowie das öffentliche Verbreiten von rassendiskriminierenden, gewaltverherrlichenden oder extremistischen Zeichen unter Strafe stellt. Dazu ge­hören nationalsozialistische Propagandamittel, Zeichen, Symbole und Fahnen, Gesten, Parole und Grussformen.

Schrittweise

Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) begrüsst diesen Gesetzesentwurf, äussert aber in einer Stellungnahme Bedenken an der engen Auslegung. Das Parlament und der Bundesrat haben nämlich beschlossen, schrittweise vorzugehen und in ­einem ersten Schritt Symbole zu verbieten, die mit dem Dritten Reich in Verbindung stehen. Erst in einem zweiten Schritt soll das Verbot auf ­andere rassistische und extremistische Symbole ausgeweitet werden, um die Forderung der Uno-Kommission für Menschenrechte zu erfüllen.

Rasch voran

Der SGB begrüsst ein generelles Verbot von rassistischen, national­sozialistischen, extremistischen und gewaltverherrlichenden Symbolen. Deshalb fordern die Gewerkschaften Bundesrat und Parlament auf, die Umsetzung des zweiten Schrittes rasch vorzunehmen. Denn sonst entsteht eine Ungleichbehandlung beim Schutz von Menschen, die im öffentlichen Raum durch rassistische und extremistische Symbole verletzt werden.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.