Tausende unterschreiben die Petition für den Erhalt der Vetropack-Fabrik

«Wir kämpfen für unsere Flaschenfabrik»

Iwan Schauwecker

Einst war Vetropack eine innovative Firma. Doch jetzt will die Konzernleitung ihren letzten Schweizer Produktionsstandort in Saint-Prex VD schliessen. Die Fabrikarbeiter und -arbeiterinnen wehren sich gegen diesen Entscheid, gemeinsam mit den Gewerkschaften haben sie eine Petition mit über 5000 Unterschriften eingereicht.

GEMEINSAM: Die Vetropack-Büezerinnen und Büezer machen Vorschläge für die Zukunft. (Foto: Keystone)

Durch das Fenster der Kantine auf dem Fabrikgelände ist das Rattern von Maschinen und Klirren von Glas hörbar. Corinne Meier (55) isst hier ihren Zmittag. Schon ihr Vater war Arbeiter für Vetropack, und auch sie arbeitet bereits seit 37 Jahren im Betrieb. Meier erinnert sich sehr gut an den Morgen im vergangenen März, als der Leiter der Human Resources der Vetropack-Gruppe um 7 Uhr 30 in Saint-Prex VD auftauchte und die Schliessung des Werkes am Genfersee in Aussicht stellte: «Das war der totale Schock und führte bei mir zu grosser Traurigkeit.» Sie habe gewusst, dass es Probleme gebe, aber die Art und Weise der Kommunikation sei ein harter Schlag gewesen. Als Mitarbeiterin des Büros der Vetropack-Holding hat die 55jährige im Moment keine Ahnung, wie es für sie im Falle einer Schliessung der Fabrik weitergeht.

CORINNE MEIER: Sie arbeitet seit 37 Jahren bei Vetropack. (Foto: isc)

Die kollegiale Stimmung unter den 190 Arbeitenden der Glasfabrik in Saint-Prex ist beim Mittagessen in der Kantine spürbar: Alle kennen sich, und man schaut zueinander. Viele der Vetropack-Büezerinnen und -Büezer arbeiten schon seit über 20 Jahren hier. Der Speisesaal ist geschmückt mit Luftaufnahmen von anderen -Fabriken des Vetropack-Firmenimperiums: die Glashütte Straža in Kroatien, die Vetropack im Jahr 1991 zu Beginn ihrer Osteuropa-Expansion kaufte, Skloobal in Slowenien, Gostomel in der Ukraine und Boffalora sopra Ticino, ein Werk, das 2023 östlich von Mailand neu eröffnet wurde.

LEERE VERSPRECHEN

Die italienische Fabrik liegt 320 Kilometer von Saint-Prex entfernt und ist einer der Gründe, weshalb Vetropack ihre letzte Schweizer Flaschenfabrik schliessen will. Der Vetropack-Konzern investierte in den letzten Jahren 400 Millionen Franken in die Fabrik in Boffalora. In Saint-Prex, wo Vetropack vor 113 Jahren von Henri Cornaz gegründet wurde, fehlte gleichzeitig immer das Geld für die neue Schmelzwanne. João Fereira (55) ist Präsident der Personalkommission. Er sagt: «Sie haben uns immer vertröstet, sagten noch letztes Jahr, dass sie den altersschwachen Ofen 2026 ersetzen wollten.» Doch von diesem Versprechen blieb im März dieses Jahres nichts mehr übrig.

João Fereira: Präsi­dent der Personalkommission. (Foto: isc)

PETITION ZEIGT DEN GROSSEN RÜCKHALT

Jetzt kämpft Fereira mit seinen Kolleginnen und Kollegen und der Unia um das Überleben der letzten Schweizer Glasflaschenfabrik. «Vetropack war einmal ein visionäres Unternehmen für die Schweiz: Das Glasrecycling wurde in den 70er Jahren von Vetropack in der Schweiz eingeführt.» Dieses Prinzip mit den kommunalen Sammelstellen sei inzwischen von fast allen europäischen Ländern übernommen worden. Die Schweiz aber sei weiterhin Europameisterin im Glasrecycling. Falls die Fabrik in Saint-Prex schliessen würde, müsste das Altglas für das Recycling über Hunderte von Kilometern transportiert werden. «Die Schweiz, Erfinderin des Glasrecyclings, wäre dann fast das einzige europäische Land ohne eigene Glasfabrik», sagt Fereira.

Diese Woche hat die Personalkommission der Vetropack-Direktion ihre Pläne zur Rettung der Fabrik präsentiert. Das Projekt, so die Vertreterinnen und Vertreter der Belegschaft, „würde es der Vetropack-Gruppe ermöglichen, in Saint-Prex ihre umweltfreundlichste und innovativste Fabrik in Europa zu entwickeln. Zusammen mit den Gewerkschaften Unia und Syna hat eine Delegation der Vetropack-Büezerinnen und -Büezer diese Woche zudem die kantonalen Behörden aufgesucht. Sie haben dem Kanton eine Petition überreicht, für die sie in weniger als einem Monat über 5000 Unterschriften gesammelt haben. Darin werden die Behörden und die Politik der Waadt aufgefordert, alle notwenigen Massnahmen zu ergreifen, damit die letzte Glasflaschenfabrik der Schweiz erhalten werden kann.

VERSAMMLUNGSORT: Die Büezerinnen und Büezer treffen sich im Saal, den Fabrikgründer Henri Cornaz 1918 für sie bauen liess. (Foto: Keystone)

Zurück auf das Fabrikgelände in Saint-Prex: Nach dem Mittagessen lädt die Personalkommission die Belegschaft zu einem Infoanlass in die historische «Salle de la Paix», die Fabrikgründer Henri Cornaz 1918 als Versammlungsort für die Arbeiter und lokalen Vereine auf dem Fabrikareal erbauen liess. Die Wände sind mit heroischen Arbeiterbildern aus der Gründerzeit der Fabrik bemalt. Die Personalkommission informiert die etwa 100 Arbeiterinnen und Arbeiter in blauen Overalls über das weitere Vorgehen der Arbeitsgruppe. Zusammen mit der Taskforce des Kantons macht die Arbeitsgruppe der Direktion von Vetropack in diesen Wochen konkrete Vorschläge zur Rettung und Erneuerung der Fabrik.

ENDE APRIL WIRD ENTSCHIEDEN

Auch Fabio Casimo (32) ist Teil der Arbeitsgruppe. Er arbeitet als Automatisierungstechniker und hat nun Offerten für den Ersatz der Schmelzwanne eingeholt. «Diese Technologie könnten wir hier in Saint-Prex gut gebrauchen», sagt er über den neuartigen Ofen, der deutlich weniger Energie braucht und auch viel weniger Kohlendioxid und Stickstoff freisetzt. Für ihn persönlich wäre die Schliessung der Fabrik keine Tragödie, aber er tue das für seine Kolleginnen und Kollegen, die wegen der angedrohten Schliessung verzweifelt seien. Deshalb werde er voraussichtlich auch das erste Mal am 1.-Mai-Umzug in Lausanne teilnehmen. Geplant ist, dass die Vetropack-Belegschaft nach der Arbeit zusammen nach Lausanne reist und zuvorderst im Umzug mitläuft. Bis dann wird auch klarer sein, wie es mit der -Fabrik weitergeht. Claude Cornaz (63), Verwaltungsratspräsident und Urneffe des Fabrikgründers, besitzt über 70 Prozent der Vetropack-Aktien und kann bis zum Ende des Konsultationsverfahrens am 30. April über das Schicksal der Fabrik in Saint-Prex entscheiden. Vielleicht erinnert er sich an die visionären Ideen seiner Vorfahren und sorgt damit für einen glücklichen Tag der Arbeit bei den Büezern und Büezerinnen in Saint-Prex.


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