Die Ballade vom «flüssigen Gold»

Diebe klauen lieber Olivenöl als Ölgemälde

Oliver Fahrni

Schmuck klauen ist lukrativ. Doch Diebesbanden spezialisieren sich jetzt lieber auf Olivenöl. Eine Geschichte von Klima, Inflation durch Profit, Mangel und Kapitalismus.

BELIEBTES DIEBESGUT: Olivenöl ist bei Langfingern gerade hoch im Kurs. (Foto: Keystone)

Den Rest im grünen 3-Liter-Kanister nutze ich nur tropfenweise. Denn dieses Jahr wird es kein neues Olivenöl aus dem kleinen Betrieb in der Nähe von Pisa geben. Es war die Grundlage meiner Küche, ein Hochgenuss, pure Medizin noch dazu. Doch 2023 sind die wenigen Früchte verdorrt, bevor sie geerntet werden konnten; Ende Oktober gaben ein paar Hundert Bäume gerade 3 Kilo Oliven her. Wie schon im Jahr zuvor. Zu heiss, zu trocken. Die Klimakatastrophe ist real.

IN KETTEN GELEGT

So wird eine Prophezeiung des alten Griechen Homer («Odyssee») wahr: «Flüssiges Gold» nannte er Olivenöl vor 2800 Jahren. Die Mittelmeerkulturen sind darauf gebaut, im Kontrast zu den Butterkulturen im Norden. Was Wunder, steht der Olivenzweig für Frieden und Wohlstand. Heute aber ketten spanische Supermärkte das Olivenöl an ihre Gestelle: Es ist zum meistgestohlenen Artikel geworden, vor teuren Whiskeys und Rasierklingen. Dabei produziert kein anderes Land so viel Olivenöl wie Spanien. Im Prinzip zumindest. Letztes Jahr waren es 700 000 Tonnen, gegen 1,3 Millionen Tonnen vor 2020. Schuld am Einbruch: das Klima und eine Bakterie, deren rasende Verbreitung der intensiven Landwirtschaft geschuldet ist.

Darben manche Olivenbauern, nutzen Olivenölkonzerne die Krise für hohe Extraprofite: In zwei Jahren haben sie die Preise verdreifacht, auch wenn sie ihr Angebot mit Importöl aus Chile strecken. Inflation über die Profit-Preis-Spirale. Bei 15 Euro für ein Fläschchen bleibt vielen Spanierinnen und Spaniern, wenn sie essen wollen, nur der Klau.

ÖL VOM SCHWARZMARKT

Homers Nachfahren können das noch besser. Gut organisierte Olivenöl-Banden plündern jetzt griechische Ölmühlen, Supermarkt-Depots und die Lager der grossen Produzenten. Brechen sie in Villen ein, verschwindet eher das Olivenöl als das Ölgemälde. Griechenland stellt besonders viel hochwertiges Olivenöl her. Doch das Durchschnittseinkommen liegt bei rund 1000 Franken. Viele Griechinnen und Griechen gehören zu den 7 Millionen Menschen im reichen Europa, die sich von ihrem Lohn nicht mehr ernähren können.

Die Landarbeiter der Olivenplantagen jedenfalls können nicht bezahlen, was sie mit ihren Händen erschaffen. Kaufen sie ihr Öl aber wie Millionen Landleute auf dem Schwarzmarkt, gefährden sie ihre Gesundheit. Denn das flüssige Gold wird mit allem Möglichen gepanscht – sogar mit Motorenöl. Von Drogen abgesehen wird kaum ein anderes Produkt so  häufig gefälscht.

SCHAUERGESCHICHTEN

Selbst in Flaschen bekannter Anbieter steckt nicht immer, was das Etikett verspricht – so exportiert Italien etwa mehr «italienisches» Öl «extra vergine», als es produziert. Wie das geht, erst recht bei hohem Inlandkonsum? Die Docker im Hafen von La Spezia kennen schaurige Stories von Oliven-Frachtern aus Nordafrika (und übrigens, für die Chianti-Freunde, auch von Trauben-Frachtern). Länder wie Tunesien und Libyen haben nun ihre Ausfuhr der grünen Früchte gestoppt – denn fehlt Olivenöl im Land, kann das heftige politische Unruhen auslösen, irrigerweise «Brotrevolten» genannt.

Kein banaler Stoff, das Olivenöl. Es erzählt uns besser als manche gelehrte Abhandlung die kapitalistische Krise von Klimaüberhitzung, Kampf ums Wasser, absurder Landwirtschaftspolitik und Profiten, die mit Mangel und Hunger gemacht werden.

A propos Essen: Siehst du dieser Tage irgendwo einen guten Risotto, stürze dich darauf, es könnte der letzte gewesen sein. Denn Italiens Reisbauern fehlt neuerdings das Wasser für die Risotto-Reissorten Carnaroli und Arborio. Jenes Wasser, dem sie zuvor in jahrhundertelangem Kampf jeden Fuss Boden der Poebene abringen mussten.

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