Die Bauernaufstände gegen die EU-Agrarpolitik

Ein krachendes Desaster

Oliver Fahrni

Die Agrarpolitik der EU ist gescheitert, sozial wie ökologisch. In den Trümmern suchen Rechtsextreme und Agrarkonzerne nach Gold. Vergebens. Langsam wird eine andere Musik hörbar.

FELDZUG GEGEN DIE NOT: Die EU-Politik pusht die industrialisierte Landwirtschaft. Die klein­betrieblichen Bauern bleiben aussen vor. Europaweit (hier in Paris) gehen sie dagegen ­auf die Strasse. (Foto: AFP / Dimitar Dilkoff)

Ein Klimaaktivist sass auf einem grünen Spielzeugtraktor, als die Gruppe «Letzte Generation» dieser Tage eine Strasse in Leipzig blockierte. «Wir dürfen das», verkündete ihr Transparent, «wir haben einen Traktor.»

Damit verspotteten sie nicht Europas Bauern, die überall rebellierend ihre Traktoren querstellen, sondern die einäugige Staatsmacht: Die Streiter gegen den ökologischen Zusammenbruch werden niedergeknüppelt und als «Öko-Terroristen» verfolgt. Legen aber Landwirte ­wochenlang Europas Strassen und Häfen lahm, verwüsten sie Supermärkte oder vernichten sie auf Autobahnen gekaperte Wagenladungen von Importfrüchten, geht die Politik mit ihnen auf Schmusekurs. In Frankreich konnte man sogar beobachten, wie die Polizei einige Bauern, die Präfekturen mit Mist und Gülle zuschütteten, sicher zu ihren Tatorten eskortierte. Niemand käme auf die Idee, die militanten Agrarier «Agro-Terroristen» zu nennen.

BEDROHTE EXISTENZEN

Heute hat der Bauernaufstand fast ganz Europa erfasst, in Italien und Spanien eskaliert er erst gerade. Begonnen hatte er in den Niederlanden – gegen den Versuch der Regierung, den Stickstoffausstoss zu begrenzen. Die Bauern Rumäniens, Polens (beides Länder mit hohem Agraranteil), Ungarns und der Slowakei fühlen sich durch ­ukrainische Dumping-Getreideexporte in ihrer Existenz bedroht. Dann gingen deutsche Landwirtinnen daran, den Subven­tionsabbau und steigende Spritpreise zu bekämpfen.

Zugleich reizten die riesigen Einkaufsplattformen der Supermarkt-Konzerne ihre Macht so sehr aus, dass sie die französischen, italienischen und spanischen Bauern an die Wand drückten. Die Preise im Laden sind massiv gestiegen, die Produzentinnen und Produzenten aber bekommen für ihre Schwerarbeit immer weniger. So habe etwa Lactalis, der grösste Milchkonzern Europas, 2023 seine Einkaufspreise um 10 Prozent gesenkt, berichten südfranzösische Bauern. Das Milchgeld ist für viele die einzige regelmässige Einnahme. 2023 sind die bäuerlichen Einkommen generell scharf eingebrochen.

Gleichzeitig haben die Kosten für Dünger, Gifte, Energie, Kredite, Maschinen, Futtermittel, Saatgut usw. inflationär angezogen. Also stehen zahlreiche Betriebe auf der Kippe. Es könnte leicht zur einer letzten Flucht von der Scholle kommen. Die Gemeinsame Agrarpolitik Europas (GAP), die mehr als einen Drittel des EU-Milliardenhaushalts frisst, ist ein krachendes Desaster.

EINE LANDWIRTSCHAFT OHNE BAUERN

Ein System, bei dem 80 Prozent der EU-Agrarhilfe an 20 Prozent der Betriebe gehen, an die grössten und hochrentablen, muss scheitern. Nur wollen dies weder die mächtige EU-Agrardirektion noch die Bauernlobbys einräumen. Mit zahlreichen Anreizen hat die GAP eine Landwirtschaft der industrialisierten, kapitalinten­siven Betriebe geschaffen, die viel Chemie und Wasser einsetzen, die Böden auslaugen, Klima und Biodiversität beschädigen, aber immer ­weniger menschliche Arbeit benötigen und vor allem auf die Weltmärkte zielen.

Der Plan ist eine Landwirtschaft ohne Bauern. Die Gemüsebäuerin im Hinterland von Marseille mit 13 Hektaren Land macht ein anderes Metier als der Geschäftsführer eines 650-Hektar-Betriebs im Besitz von Aktionären in der Gegend von Paris. Inzwischen sind die Einkommens­unterschiede unter Bauern so krass «wie in keinem anderen Beruf», hat der Pariser Ökonom Thomas Piketty ermittelt.

Erstaunlich ist es nicht, dass die EU-Agrar­direktion zum Grossgrundbesitz neigt. Sie steht unter dem koordinierten Einfluss der Agrochemie (zum Beispiel Syngenta), der Lebensmittelindustrie (zum Beispiel Nestlé), der Grossverteiler, Grossbauern, Lebensmittelspekulanten, Banken. Gemeinsam mit den Top-Bauernverbänden hat sie nun eine Sprachregelung gefunden, die den Schlamassel erklären soll: Schuld daran sei der «Grüne Deal» der EU. Der soll Europa bis 2050 zum «ersten klimaneutralen Kontinent» machen. Seine Einschränkungen, so argumentiert etwa der französische Bauernverband FNSEA, breche den Bauern das Genick.

Unsinn, erwidert Benoît Biteau, Vizepräsident der Kommission für Landwirtschaft im ­Europäischen Parlament und selber Bauer: «Die Massnahmen des Grünen Deals sind noch gar nicht in Kraft. Wie hätten sie also schaden können?» Ausserdem, so Biteau weiter, seien die Landwirte die ersten Opfer von Pestiziden und anderen Zusatzsstoffen, die sie verwenden.

Allein schon die Klimaüberhitzung ist für die Landwirtschaft eine Hypothek. Weinbau wird etwa in Italien bald nicht mehr möglich sein. Es hat keinen Sinn, Landwirtschaft gegen Ökologie zu stellen.

REGIERUNGEN KIPPEN DEN GRÜNEN PAKT

Doch den neoliberalen Regierungen in Paris, Berlin und EU-Brüssel passte die These vom Grünen Deal gut in den Kram. Sie setzten die Pestizidverbote vorerst aus, genauso wie die Vorschrift, vier Hektaren Boden zur Erholung brachliegen zu lassen. Regeln für die Biodiversität wurden annulliert. Den Agrar-Diesel verbilligen sie auch weiterhin.

Das freut die Rechtsextremen, die den Kampf gegen die Ökologie anführen. So wie in Deutschland die AfD die Bauernrebellion zu kapern versucht, zog auch in Frankreich der rechtsextreme Parteichef Jordan Bardella die Gummistiefel über, um die Früchte des Zorns zu ernten, Rassismus und Nationales predigend – im Juni sind EU-Wahlen. Aber es war ein Ball der Heuchler: Bardellas Rassemblement National (RN) hatte im EU-Parlament für die verheerende EU-Agrarpolitik gestimmt.

Der französische Bauernverband, der «das eigentliche Landwirtschaftsministerium» genannt wird, war zufrieden und blies erst einmal zum Rückzug. Doch da wurde unversehens eine ganz andere Realität sichtbar. Nicht nur Bauern, die Verrat schrien und die Verbandsflagge verbrannten. Ein wachsender Teil der Bewegung verabschiedet sich gerade von Verband und EU-Agrarpolitik. Auf einem Flugblatt schrieb die «Bauernkoordination»: «Wir wollen keine Unterstützung, sondern faire Preise.» Meist sind es kleine und mittlere Bäuerinnen und Bauern, die sich in Selbsthilfeorganisationen und neuen Marktgenossenschaften zusammenschliessen. Sie arbeiten ökologisch, schaffen erfolgreich eigene Absatzkanäle im Nahbereich, teilen Wissen, teure Gerätschaften und Wasser. Vernetzt leben sie besser von ihrer Arbeit. Nun schlagen sich auch die Gewerkschaften auf ihre Seite. Obstbäuerin Anne, die ein Händchen für alte Apfelsorten hat: «Nie vergessen, hier im Süden haben sich Arbeiter und Bauern immer die Hand gereicht.»


Vor 500 Jahren führte Thomas Müntzer den grossen Bauernaufstand in Deutschland anDie Revolution der Rechtlosen

Überall in Europa gehen Bauern auf die Strasse und protestieren gegen Existenznöte. Das war vor 500 Jahren auch so. Es kam zum Bauern­aufstand. Anführer ­Thomas Müntzer fand ­ein schreckliches Ende.

MISTGABEL UND SENSE: Die Bauern fochten entschlossen, waren den Söldnern der Adligen aber unterlegen. (Foto: Zeitg. Holzschnitt)

Die erste Revolution auf deutschem Boden begann 1524 im Schwarzwald. Dort hatte der Landwirt Hans Müller die Schnauze voll von steigenden Abgaben, Frondiensten und Leibeigenschaft. Zusammen mit empörten Nachbarn fasste er Dreschflegel und Knüppel und zog zum Sitz des Landgrafen. «Kein Frondienst mehr!» so der Schlachtruf. Rund 3500 Bauern schlugen den örtlichen Adel in die Flucht. Blitzartig weitete sich der Aufstand in ganz Süddeutschland aus. Hunderte von Schlössern und Klöstern gingen in Flammen auf.

RADIKALER ALS LUTHER

Der grosse Bauernkrieg hatte begonnen. Die wütenden Landwirte schufen die «radikalste Tatsache der deutschen Geschichte», wie Karl Marx später schrieb. Sein Compagnon Friedrich Engels nannte den Aufstand einen «Angelpunkt» der deutschen Nationalgeschichte. Der Krieg endete 1526: Die militärisch unerfahrenen Bauernhaufen hatten gegen die professionellen Söldnerheere der Fürsten und Könige keine Chance, sie wurden vernichtend geschlagen. Viele Aufständische wurden gefoltert, enthauptet, aufgehängt oder erschlagen.

So auch der legendäre Anführer Thomas Müntzer aus dem Harzgebirge (1490–1525). Müntzer war Pfarrer und als Gottesmann eigentlich dem Frieden verpflichtet. Doch seine provokanten Thesen gegen Papst und Adel, gegen Fürsten, Könige und Landvögte waren radikal. Er warf ihnen vor, das Christentum verraten zu haben. Die Reformation von Luther ging ihm zu wenig weit (siehe Box). Müntzer träumte vom «Reich Gottes auf Erden», in dem es weder Arm noch Reich geben sollte. Alles sollte Gemeinbesitz sein und «an jeden nach seiner Notdurft verteilt» werden. Seine Vision einer Gesellschaft der Gleichen, ohne Tyrannei und Unterdrückung, nahm die klassenlose Gesellschaft in Marx’ «Kommunistischem Manifest» vorweg, wenn auch zeitgebunden im christlich-religiösen Rahmen. In den Augen der Machthaber war Müntzer ein gefährlicher Ketzer. Seine Tage waren gezählt.

VERSKLAVTER BAUERNSTAND

Mehr als religiöse Differenzen führten soziale Spannungen zum Ausbruch des Krieges. Um ihre ständigen Kriege um Macht und Einfluss zu finanzieren, verschärften Adel und Klerus die Ausbeutung der Landbevölkerung, von der sie lebten. Ein neues Recht sollte das in viele Königreiche zersplitterte Deutschland einen. Doch es drückte die Bauern noch mehr zu Leibeigenen, sprich: Sklaven, herab als vorher. Die aufstrebenden Fürsten setzten das Privateigentum an Grund und Boden durch. Fortan sollten die Bauern ­weder fischen noch im Wald jagen ­dürfen. Selbst der Holzschlag sollte untersagt sein. Die Abschaffung all dieser traditionellen Freiheiten trieb die Bauern zu den Waffen.

Anfangs hatte Prediger Thomas Müntzer viel Erfolg. Er stürzte den Stadtrat von Mühlhausen und rief die Bauern zur Revolte auf. Tausende folgten ihm. Doch in der Entscheidungsschlacht bei Frankenhausen war seine 8000köpfige Bauernarmee chancenlos: Mehr als 5000 Mann wurden getötet, Müntzer selber festgesetzt, tagelang gefoltert und am 27. Mai 1525 hingerichtet. Sein Kopf wurde auf einer Stange aufgespiesst und zur Schau gestellt. Der Krieg war zu Ende, gegen 130 000 Aufständische waren tot, und die fürstliche Macht war für längere Zeit gesichert.

Dennoch war der Krieg nicht vergebens: Aus Angst vor weiteren Revolten wurde die Leibeigenschaft schrittweise entschärft. Letztlich führte der Krieg sogar zur Abschaffung dieser Art von Sklaverei. (Ralph Hug)

Foto: Alamy

Thomas Müntzer: Für Gott und Revolution

Er war Theologe und an diversen Orten in Deutschland als Geistlicher und Lehrer tätig. Thomas Müntzer, 1490 geboren, war ein Rebell gegen die reaktionäre Papstkirche aus Rom. Noch vor Reformator Luther verfasste er eine volksnahe Gottesdienstordnung in deutscher Sprache. Als Anhänger Luthers stritt er zunächst für die Reformation. Bis er erkannte, dass Luther nicht auf der Seite der Bauern, sondern jener der Fürsten stand. Da wurde Müntzer immer radi­kaler und schwang sich zum Anführer des Bauernaufstands auf. (rh)

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