Erste Zwischenbilanz: Wenn die Arbeitszeitverkürzung fruchtet

«Die letzten acht Monate waren der Hammer!»

Darija Knežević

Das Sportgeschäft Mondo Sport in Murten FR hat vor gut einem halben Jahr die 4-Tage-Woche eingeführt. Nun zieht Geschäftsführer Heinz Egger eine erfreuliche Zwischenbilanz.

MUTIGER SCHRITT: Mondo-Sport-Chef Heinz Egger schätzt die positiven Folgen der Arbeitszeitverkürzung: Keine Probleme bei der Personalrekrutierung, motivierte und erholte Mitarbeitende. (Foto: Marco Zanoni)

Seit Juni arbeiten die Mitarbeitenden des Sportfachgeschäfts Mondo Sport in Murten FR nur noch am Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag. Wie work bereits berichtete, tüftelte Mondo-Chef Heinz Egger fast ein Jahr an der Arbeitszeitverkürzung. Im Juni wagten er und sein Team den mutigen Schritt. Jetzt zieht Egger eine erste Bilanz: «Die letzten acht Monate waren der Hammer! Wir sind trotz dürftiger Skisaison wahnsinnig gut unterwegs und erzielen ausserordentliche Monatsumsätze.»

Die Kundschaft hat die Arbeitszeitverkürzung kaum gespürt. Denn: Geschlossen war das Sportgeschäft neu immer donnerstags, dem verkaufsschwächsten Tag. «Mein Team ist jetzt besser ausgelastet, die Kundschaft kommt konzen­trierter, und so kommt es selten zu Leerräumen.» Natürlich kam die Arbeitszeitverkürzung auch bei den Mitarbeitenden sehr gut an. Das Personal sei motivierter und erholter. Die verkürzte Arbeitszeit wirkt sich laut Egger auch positiv auf ­offene Stellen aus. «Mittlerweile können wir bei offenen Stellen sogar wählen, wen wir anstellen wollen. Für den Detailhandel ist das alles andere als selbstverständlich», sagt er. Diese Entwicklung sei wichtig, denn Mondo Sport braucht Fachpersonal, das sich im Bereich Sport bestens auskennt.

So sind auch die Lehrstellen für dieses und nächstes Jahr bereits vergeben. Denn auch die Lernenden profitieren von kürzeren Arbeitszeiten. «Donnerstags ist unser Büro weiterhin besetzt, wo Lernende beschäftigt werden und sich so mehr Wissen hinter den Kulissen aneignen. Nachmittags haben sie dann Zeit zum Lernen oder für Sport.»

OB SPORTGESCHÄFT ODER ELEKTRO-BUDE

Doch der Pioniergeist von Egger bleibt eine Ausnahme, besonders im Detailhandel. Er tauscht sich regelmässig mit anderen Geschäftsleitungen aus, und er merkt: «Andere Sportgeschäfte sind nicht bereit, diesen Schritt zu wagen. Die 4-Tage-Woche braucht viel Mut und Fleiss.» Viele Faktoren müssen stimmen: ein eingespieltes Team, ein gutes Konzept und von allen einen extra Effort an den Verkaufstagen.

Ein weiteres Beispiel für die Verkürzung der Arbeitszeit ist die SH Elektro in Spiez. Seit Sommer 2022 arbeiten die Mitarbeitenden 35 Stunden die Woche zum gleichbleibenden Lohn. ­Wegen Personalmangels reduzierte auch der Haustechnikbetrieb Spuag die Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden, verteilt auf vier Tage die ­Woche. Durch diese Reduzierung, die knapp seit einem Jahr in Kraft ist, konnten sie neue Mitarbeitende gewinnen.


Das Manifest zur Forderung nach Arbeitszeitverkürzung: «Mehr Zeit zum Leben!» Die Schweiz hinkt hintennach

Kürzere Wochenarbeitszeit bei gleichbleibendem Lohn ist ein wichtiges Anliegen der Gewerkschaften. Die Unia fordert die Arbeitszeitverkürzung in einem Manifest und sammelt dafür Unterschriften.

Mit durchschnittlich 41,7 Arbeitsstunden pro Woche arbeiten Vollzeitangestellte in der Schweiz am längsten in Europa (siehe Grafik). Und viele arbeiten noch viel mehr, denn das Gesetz erlaubt Arbeitswochen bis zu 50 Stunden. Deshalb rief die Unia das Manifest «Mehr Zeit zum Leben – Arbeit neu denken» ins Leben. Damit will sie gegen die überlangen Arbeitszeiten kämpfen. Das Manifest ist unter diesem Link zu finden.

Die Reduktion der Arbeitszeit ist schon lange fällig und ein urgewerkschaftliches Anliegen. Denn die Erwerbsarbeit ist immer häufiger mit Druck und Stress verbunden. Im Jahr 2022 haben die Erwerbstätigen in der Schweiz rund 8000 Milliarden Arbeitsstunden geleistet. So viel Stunden hat kein Vollzeitangestellter im restlichen Europa gebüezt. Das zeigt: Unsere Nachbarländer sind uns bei der Arbeitszeitverkürzung bereits grosse Schritte voraus.

Wo kürzer gebüezt wird. In Frankreich beispielsweise gilt seit über 20 Jahren eine gesetzliche Wochenarbeitszeit von 35 Stunden. Die Idee: an fünf Tagen die Woche 7 Stunden zu arbeiten. Auch in Deutschland werden die Arbeitsstunden gekürzt. In den Tarifverhandlungen im vergangenen Jahr forderte die Gewerkschaft IG Metall für die nordwestdeutsche Eisen- und Stahl­industrie eine 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. In den Verhandlungen erzielte die Gewerkschaft neben stabilen Lohnerhöhungen auch die Einführung der kollektiven Verkürzung der Arbeitszeit. Heisst: Die Wochenarbeitszeit von 32 Stunden konnte trotz Streiks nicht generell reduziert werden, doch die Angestellten in der Branche können kollektiv über eine Arbeitszeitreduzierung bestimmen, wenn sich alle Betriebsparteien darüber einig sind.

In Österreich gilt seit Januar 2022 eine Wochenarbeitszeit von 37 Stunden im privaten Gesundheits-, Sozial- und Pflegebereich. In Island haben 86 Prozent der gesamten isländischen Be­völkerung ein Recht auf kürzere Arbeitszeiten. Und in Grossbritannien ­experimentierten 66 Unternehmen mit der Einführung einer 4-Tage-Woche. Die Ergebnisse fielen so positiv aus, dass sich die Mehrheit dazu entschied, die kürzere Woche weiterzuführen.

Care-Arbeit: 434 Milliarden Franken wert

Die Kinder betreuen, Hausarbeit erledigen, pflegebedürftige Personen in der Familie unterstützen – diese Arbeit bleibt in den meisten Fällen an den Frauen hängen. Das ist viel Arbeit und zudem unbezahlt. Die notwendige Familienarbeit kann neben einem Schweizer Vollzeitpensum gar nicht geleistet werden. Oft fehlt es zudem an Kitas und fami­liengerechten Arbeitsmodellen.

GERECHTERE VERTEILUNG. Oft gilt eine Teilzeitanstellung der Frau als Lösung. Dabei sind die Folgen von Teilzeitarbeit für Frauen schwer­wiegend: tiefe Löhne und Renten, keine Karrierechancen und fehlende Gleichstellung in den Betrieben. Ökonom Hans Baumann erklärt im work: ohne unbezahlte Care-Arbeit keine Gesellschaft. Denn der Wert der Care-Arbeit betrug im Jahr 2020 stattliche 434 Milliarden Franken. Ohne diese Gratisarbeit würde unsere Gesellschaft vor massiven Problemen stehen. Deshalb fordert die Unia: «Wir brauchen eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit für mehr Gleichstellung und für eine gerechtere Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit.»

 


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