Neuer GAV im Gebäudehüllen-Gewerbe

Auf Dächern und Fassaden geht’s obsi!

Jonas Komposch

Dachdeckerinnen, Abdichter und Fassadenbauerinnen haben seit Neujahr mehr Lohn, Mittagszulage und Ferien. Auch gegen die Inflation bringt der neue GAV Fortschritte. Doch bei den Karenztagen geht es in die falsche Richtung.

MEHR LOHN: Sowohl Dachdecker als auch Fassadenbauerinnen und Abdichter profitieren vom neuen GAV. (Foto: Keystone)

Die ursprünglichen Forderungen hätten «unterschiedlicher nicht sein können». So zumindest sieht es die «Gebäudehülle», das Fachmagazin des Arbeitgeberverbands Gebäudehülle Schweiz. Tatsächlich sind die Gewerkschaften Unia und Syna mit einem dicken Forderungsbündel erschienen, als im Herbst 2022 die erste Verhandlungsrunde für einen neuen Gesamtarbeitsvertrag (GAV) für das Gebäudehüllengewerbe anstand. Bruna Campanello, Unia-Sektorleiterin Gewerbe, erklärt: «Die Branche ist noch relativ klein, wächst aber rasant – und das tut auch unsere Mitgliederbasis!» Und diese Basis hat Wünsche deponiert.

EINIGUNG ERZIELT: Unia-Frau Bruna Campanello sieht im neuen GAV viele Vorteile, will die Arbeitsbedingungen in der Branche aber noch weiter verbessern. (Foto: proparis.ch)

Konkret verlangten die organisierten Dachdecker, Fassadenbauerinnen und Abdichter: mehr Ferien, Lohn und Spesen, höhere Mindestlöhne und bessere Massnahmen gegen die Inflation. Die Arbeitgeber hingegen wollten, so steht’s in ihrem Fachmagazin, «mehr Flexibilität betreffend Ausrichtung der Arbeitszeit». Sprich: Sie wollten die Arbeitszeit erhöhen. «Das ist ihnen nicht gelungen», freut sich Campanello. Trotzdem haben sich die Parteien noch im Sommer 2023 auf einen neuen Vertrag geeinigt.

5500 BÜEZERINNEN UND BÜEZER PROFITIEREN

Seit dem 1. Januar ist er in Kraft und gilt für die gesamte Branche. Ab dem 1. März sind auch die Lohnmassnahmen allgemeinverbindlich. Für die rund 5500 betroffenen Büezerinnen und Büezer bringt das eine Reihe von Verbesserungen. Nämlich:

  • 100 Franken mehr auf alle Monatslöhne.
  • Mindestlöhne um 1,6 Prozent erhöht (z. B. auf neu 5715 Franken für Facharbeitende mit 5 Erfahrungsjahren).
  • Lernenden-Mindestlöhne um 100 Franken erhöht (z. B. auf neu 1300 Franken im 3. Lehrjahr).
  • Mittagsentschädigungen auf 20 Franken erhöht (+ 2 Franken).
  • Ferien auf 26 Tage erhöht (+ 1 Tag).
  • Automatischer Teuerungsausgleich (bis max. 1,5 Prozent) neu für alle Mindest- und Effektivlöhne, auch die höheren. Die bisherige Deckelung bei den Effektivlöhnen (Löhne über 6832 Franken wurden nicht angepasst) ist abgeschafft.
  • Neu jährliche Lohnverhandlungen statt wie bisher bloss eine im vorhinein festgelegte Lohnentwicklung für die gesamte vierjährige Vertragsdauer.
  • Bei der Krankentaggeldregelung sind die sogenannt fiktiven Prämien nicht mehr erlaubt. Solche sind für Arbeitnehmende nachteilig, da ihnen die Firmen im Krankheitsfall höhere Netto-Prämienabzüge machen können. Neu müssen Arbeitgeber die Hälfte der effektiven Prämienlast tragen, wodurch die Abzüge für die meisten Arbeitnehmenden sinken, die Nettolöhne also steigen.

Schliesslich geht es auch im Bereich Teilzeitarbeit vorwärts. Die Vertragspartner werden ein gemeinsames Projekt lancieren, um neue Teilzeitmöglichkeiten zu schaffen und so Beruf und Privates besser unter einen Hut zu bringen.

MEHR KARENZTAGE GEGEN «BLAUMACHER»

Abstriche mussten aber auch die Gewerkschaften machen, wenn auch bloss bei der Mittagspause und den Karenztagen. So gibt es neu kein Recht mehr auf eine stündige Mittagspause. Diese wurde auf das gesetzliche Minimum von 30 Minuten reduziert. Bruna Campanello relativiert jedoch: «Wie immer haben wir unsere Mitglieder in einer Urabstimmung konsultiert. Und es hat sich gezeigt, dass die grosse Mehrheit kein Problem hat mit einem kürzeren Mittag.»

FACHKRÄFTEMANGEL: Auch die Arbeitgeber hatten die Einsicht, dass es einen attraktiven GAV braucht, um wieder mehr junge Leute für den Beruf begeistern zu können. Hier eine Dachdecker beim Montieren von Isolierplatten. (Foto: Keystone)

Mehr Mühe hat Campanello mit der neuen Karenztagregelung: Wer in seinen ersten vier Jahren im Betrieb krank wird, erhält nämlich neu keinen Lohn für die ersten beiden Absenztage. Früher war nur ein Tag unbezahlt. Einen Karenztag gibt’s neu auch für langjährige Mitarbeitende. Ob dies gegen das «Blaumachen» hilft, wie die Arbeitgeber hoffen, scheint mehr als fraglich. Immerhin müssen Firmen rückwirkend auch für die Karenztage mindestens 80 Prozent Lohn zahlen, wenn Arbeitnehmende ab dem dritten Tag ein Arztzeugnis vorlegen.

ARBEITGEBER WOLLEN ATTRAKTIVEN GAV

Auf weiteren Experimenten wollten die Arbeitgeber aber nicht beharren. Denn eine Sache haben sie bestens verstanden: dass die Branche «durch die allgemeine Öffentlichkeit als nicht besonders attraktiv beurteilt wird» und dass auch deshalb Fachkräftemangel herrscht. So schreibt es das Verbandsmagazin «Gebäudehülle». Und weiter: «In einem solchen Umfeld wirkt ein unattraktiver GAV mit schlechten Arbeitsbedingungen wie ein Brandbeschleuniger.» Dem ist nichts hinzuzufügen. Ausser ein paar Verbesserungsvorschlägen. Unia-Frau Campanello hätte genug Ideen: «Als nächstes muss die Arbeitszeit runter und eine Schlechtwetterlösung her!»

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