Ratgeber

Was es braucht, damit wir im Job zufrieden sind – und bleiben

Maria Künzli

Dass die Arbeit manchmal nervt, ist normal – doch was tun, wenn die Unzufriedenheit zum ­Dauerzustand wird? Die Arbeitspsychologin ­Hildegard Nibel über gute Arbeit, schlechte ­Vorgesetzte und warum Callcenter-Mitarbeitende die neuen Fliessbandarbeiterinnen sind.

SICH GUTES TUN: Bei Unzufriedenheit am Arbeitsplatz gilt es auch, Abstand zu gewinnen, um den nächsten Schritt mit innerer Ruhe zu planen. (Foto: iStock)

work: Frau Nibel, wann sollte man an seiner beruflichen Situation etwas ändern?

Hildegard Nibel: Wenn man nicht mehr gerne zur Arbeit geht. Dass der Job nicht jeden Tag gleich viel Freude bereitet, ist klar. Aber wenn man sich über längere Zeit täglich überwinden muss oder sich das Gedankenkarussell auch nachts ständig um die Arbeit dreht, sollte man etwas ändern. Überhaupt sind Schlafprobleme der erste Indikator, dass es einem nicht gutgeht.

Wie lässt sich denn etwas ändern?

Zuerst sollte man herausfinden, wo genau das Problem liegt. Dabei helfen auch selbstkritische Fragen: Mache ich zu viel, was es gar nicht braucht? Bin ich über- oder unterfordert? Bekomme ich zu wenig Unterstützung, oder liegt es an strukturellen Bedingungen? Man sollte unbedingt über die eigene Unzufriedenheit sprechen, mit Kolleginnen und Kollegen oder mit der Chefin oder dem Chef. Oft gibt es Möglichkeiten, etwas zu verändern, ohne gleich zu kündigen. Mit einer neuen Aufgabe innerhalb des Unternehmens oder mit einer Weiterbildung. Es geht immer darum zu entscheiden: Was will ich verändern? Will ich dar­um kämpfen, ist es das wert?

Was gibt es für Möglich­keiten, wenn ein Jobwechsel keine Option ist?

Es kann helfen, sich auf körperlicher Ebene Gutes zu tun. Manche gehen joggen oder in die Berge, andere besuchen die Sauna, spazieren oder gehen in einen Tanzkurs. Es heisst ja, man löse das Problem, indem man sich vom Problem löse. Das bedeutet, dass sich die Sache, wenn man etwas Abstand gewinnt, oft anders darstellt. Wenn man sich in den Frust eingräbt, sieht man die Türen nicht mehr, die einem offenstehen. Hilfreich ist auch, sich die Frage zu stellen: Was wäre das Kleinste, was ich verändern müsste, damit ich eine positive Wirkung spüre?

Was passiert, wenn die ­Unzufriedenheit zum Dauerzustand wird?

Dann kann es zu unterschiedlichsten Gesundheitsstörungen kommen. Manche fühlen sich schlecht, werden vielleicht launisch, ent­wickeln Ängste, trauen sich nichts mehr zu. Andere werden schmerzanfälliger, sind dauernd erkältet oder entwickeln eine Migräne. Soziale Ängste und Migräne gehören immer noch zu den Erkrankungen, die am häufigsten unerkannt bleiben und daher auch oft falsch behandelt werden.

Was bedeutet gute Arbeit für Sie als Arbeitspsychologin?

Gute Arbeit hält das Gleichgewicht zwischen dem, was ich gebe als individuell empfundene Anstrengung, und dem, was ich zurückbekomme. In der Arbeits­psychologie nennt man das den «psychologischen Vertrag». Gute Arbeit beinhaltet zudem eine ­Balance zwischen Selbstverantwortung, Selbstbestimmung und gewissen Vorgaben, damit die Leute nicht völlig orientierungslos ihre Arbeit machen müssen. Ausserdem sind physikalische und biochemische Risiken auf ein Minimum reduziert, zum Beispiel Lärm und Vibrationen. Das hat man lange Zeit unterschätzt. Tatsächlich steigt aber das gesamte Belastungsniveau, sobald der Lärmpegel 50 Dezibel übersteigt, was etwa der Lautstärke von Vogel­gezwitscher entspricht. Wichtig ist auch, dass sich Mitarbeitende sozial aufgehoben fühlen. Dass sie eine Anlaufstelle haben, wo sie Probleme im Job mit anderen Leuten in ähnlichen Situationen besprechen können.

Seit wann beschäftigt sich die Arbeitspsychologie mit der Frage, was gute Arbeit ist?

Diese Diskussion ist spätestens seit den 1960er Jahren in Gang. Damals wurden erstmals Grundkriterien aufgestellt, die sogenannt gute Arbeit erfüllen muss. Diese waren von den grossen Themen der Zeit geprägt: Massenproduktion und Industrialisierung. In den 1990er Jahren veränderte sich wegen der Computerisierung auch die Definition von guter Arbeit. Extrem repetitive Industriearbeits­plätze wurden weniger, dafür erhöhte sich die mentale Belastung in unserer Dienstleistungsgesellschaft. Galten früher Fliessband­arbeiterinnen und -arbeiter als besonders belastet, sind es heute Callcenter-Mitarbeitende, die die schlechte Laune der Leute, die mit einem Produkt nicht zufrieden sind, abfedern und ertragen ­müssen.

Wie hat sich die Erwartung ­­an gute Arbeit in den letzten zwanzig Jahren verändert?

Ich denke, dass die Grundbedürfnisse des Menschen an Arbeit gleich geblieben sind: Die meisten verrichten eine Arbeit, in der sie ­einen Sinn sehen und die ihrer ­Gesundheit nicht schadet. Sie wollen eine gute Beziehung zu den Kolleginnen und Kollegen. Und sie möchten faire Vorgesetzte, die ihre Leistungen sehen und anerkennen. Aus meinen Untersuchungen über Fluktuationen und krankheitsbedingte Abwesenheiten weiss ich, dass es den meisten ­Angestellten nach zwei bis drei Jahren im Job langweilig wird. Manche kündigen dann. Andere bleiben, aber ihre Leistung lässt tendenziell nach, auch wenn es anfangs nicht auffällt, weil sie es durch gute Routine kompensieren. Ein guter Chef oder eine gute Chefin setzt alles daran, qualifizierte Leute zu behalten, indem er oder sie das Team in Veränderungsprozesse einbezieht und Lernmöglichkeiten bietet.

Wie zum Beispiel?

Für mich die schönste, einfachste und volkswirtschaftlich sinnvollste Art ist immer noch jene, eine Arbeitsgruppe zu bilden, in der Ideen entwickelt werden, was man im Unternehmen verbessern könnte. Die Ideen müssen in der Chefetage aber auch ernst genommen werden, sonst ist das Frust­potential umso höher.

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