Renteninitiative

Baubüezer empört über Jungfreisinnige

Clemens Studer

Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen will alle ausser den Reichen länger arbeiten lassen. Besonders hart getroffen von einem Ja würden Berufsleute, die körperlich hart arbeiten. In den Bau- und Gewerbebranchen sind die Frühpensionierungslösungen von über 100’000 Büezerinnen und Büezern bedroht.

BEDROHT: Hart arbeitende Büezer wären die Leidtragenden der Initiative der Jungfreisinnigen. (Foto: Keystone)

Seit gut 20 Jahren gibt es auf dem Bau den flexiblen Altersrücktritt (FAR). Die Bauleute haben sich den FAR erkämpft, weil sie oft körperlich belastende und gefährliche Arbeitsbedingungen haben, jahrzehntelange Schwerstarbeit bei Nässe, grosser Kälte im Winter und in immer heisseren Sommermonaten leisten. Seit 2003 konnten bereits über 28’000 Bauleute mit 60 in Rente gehen. Sie erhalten bis zur ordentlichen Pensionierung eine Überbrückungsrente von rund 70 Prozent des letzten Lohnes. Finanziert wird dies – wie die AHV – im Umlageverfahren mit Lohnprozenten. Der FAR ist – ebenfalls wie die AHV – ein Erfolgsmodell.
Und dieses Erfolgsmodell ist von der Renteninitiative massiv bedroht. Denn würde nach einem Ja das Rentenalter sofort auf 66 Jahre und später auf 67, 68 oder noch mehr Jahre angehoben werden, stiege automatisch auch das Alter für die Frühpensionierung auf 61, 62, 63 oder gar noch höher. Denn der FAR finanziert maximal fünf Jahre vor dem ordentlichen Pensionierungsalter.

20 PROZENT STARBEN VOR DER RENTE

Bauberufe sind schöne Berufe, und die meisten Bauarbeiter lieben ihren Job. Aber Bauen bleibt trotz aller technischer Fortschritte harte und gefährliche Arbeit. Auf dem Bau ist das Unfallrisiko 15 Mal höher als in Bürojobs. Unia-Bau-Chef Nico Lutz sagt: «Nur eine kleine Minderheit der Bauleute schafft bis zum ordentlichen AHV-Alter von 65 Jahren.» Tatsächlich erlebte vor der Einführung einer Frühpensionierungslösung nur gerade einer von fünf Bauarbeitern die ordentliche Pensionierung. Zwei Fünftel mussten sich einen Job in einer anderen Branche suchen, ein Fünftel landete in der IV – und 20 Prozent starben vor dem Erreichen des AHV-Alters.

Unia-Mann Nico Lutz sagt zur Initiative: «Unsere Basis ist empört und wird Widerstand leisten.» (Foto: Keystone)

ZEHNTAUSENDE IN GEFAHR

Zu solchen Zuständen wollen die Jungfreisinnigen zurück. Nico Lutz sagt: «Die Renteninitiative greift ein Alter in Würde für Arbeitnehmende in Bau und Gewerbe frontal an.» Denn nicht nur im Bauhauptgewerbe droht ein «Totalschaden». Auch die Frühpensionierungslösungen in anderen exponierten Branchen sind gefährdet. Konkret betroffen sind die Malerinnen und Gipser der Deutschschweiz, des Jura und des Tessins, die bisher mit 62 beziehungsweise 63 Jahren in Rente gehen können, die Arbeitnehmenden der Westschweizer Gewerbebranchen, des Basler Ausbau-, Gipser- und Plattenlegegewerbes sowie der schweizerischen Natursteinbranche (heutiger Rentenantritt mit jeweils 62) sowie die Angestellten der Gebäudehüllebranche (heute schrittweise Pensionierung ab 60). Unia-Bau-Chef Nico Lutz: «Unsere Basis ist empört und wird Widerstand leisten. Die Renteninitiative ist ungerecht und zynisch. Sie will auf dem Buckel der hart arbeitenden Menschen sparen. Das werden wir auf keinen Fall zulassen.»

Was die Renteninitiative der FDP-Jugend will

Chrampfen bis zum Umfallen
Die Renteninitiative der Jungfreisinnigen will eine drastische Erhöhung des Rentenalters: sofort auf 66 Jahre und dann automatisch immer höher, abhängig von der Lebenserwartung. Dies trifft Normalverdienende besonders hart, da länger arbeiten längst nicht für die Mehrheit möglich ist, selbst wenn die Lebenserwartung steigt. Die Initiatoren behaupten, dies sei notwendig für gesunde AHV-Finanzen. Das ist Unsinn, wie eine Rechnung zeigt: Hätte das Jungfreisinnigen-Regime in den vergangenen 50 Jahren gegolten, läge das Rentenalter heute bei 71 Jahren. Dabei schreibt die AHV zurzeit bei einem Rentenalter von 65 Jahren Milliardenüberschüsse.

Sozialamt statt AHV
Die Initiative ignoriert die Realitäten des Arbeitsmarktes, insbesondere für Arbeitnehmende im Alter von 60 bis 64 Jahren. In dieser Altersklasse ist die Arbeitslosigkeit am grössten. Ältere Arbeitnehmende haben Schwierigkeiten, wieder eine Stelle zu finden, unabhängig von ihren Qualifikationen und Lohnvorstellungen. Eine Erhöhung des Rentenalters treibt mehr Menschen in die Langzeitarbeitslosigkeit und die Sozialhilfe, wie ein Blick in Länder zeigt, die dieses marktradikale Konzept anwenden.

Frühpensionierung nur noch für Reiche
Die Zahl der Frühpensionierungen ist zurückgegangen, weil sie unbezahlbar werden. Auffallend: Frühpensionierung können sich bereits heute vor allem Gutverdienende leisten. Bei einem Ja zur Renteninitiative wären es definitiv nur noch die Reichen. Eine Erhöhung des Rentenalters ist auch deshalb ungerecht, weil Menschen mit niedrigerem Einkommen ohnehin eine kürzere Lebenserwartung haben.

Noch mehr Geld für Versicherungen
Die Umsetzung der Initiative würde zu einem enormen bürokratischen Aufwand führen. Prognosefehler und Unsicherheiten bei der Lebenserwartung führen zu ungleichen Rentenaltern. Die Pensionskassen müsstenjährlich Vorsorgepläne, Reglemente, Lohnbeiträge und Computerprogramme anpassen. Das ist enorm teuer, und das würden sie noch teurer den Versicherten verrechnen. Dabei zwacken sie bereits heute 7 Milliarden «Verwaltungskosten» vom Ersparten der Lohnabhängigen ab.ext.


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