Der Streik bei Tesla in Schweden weitet sich aus

«Willkommen in der Produktionshölle»

Oliver Fahrni

Was für Tesla wie eine Fussnote begann, als ­Ausstand von 130 Serviceleuten, setzt den Weltkonzern zunehmend unter Druck.

PROTEST: Die Metaller in Schweden haben ihre Arbeit bei Tesla niedergelegt. (Foto: Keystone)

Ein Metaller in Stockholm kann kaum fassen, was er gerade tut: «Zu streiken, das ist schon ziemlich beeindruckend.» Er steht vor der schwedischen Filiale des US-Autobauers Tesla, auf seiner grünen Weste steht «Strejkvakt», Streikposten.

Hitzköpfe sind sie nicht. Über viele Jahre hat die Gewerkschaft IF Metall (300 000 Mitglieder) versucht, den Tesla-Konzern zu einem Gesamtarbeitsvertrag zu überreden. Doch Tesla-Boss Elon Musk liess ausrichten: «Verträge mit Gewerkschaften passen nicht zu unserem Businessmodell.» Am 27. Oktober rief IF Metall den Streik aus. Ihr Sprecher Jesper Pettersson sagt: «Wir richten uns auf eine längere Auseinandersetzung ein.»

In Schweden sind noch immer 65 Prozent der Arbeitenden gewerkschaftlich organisiert. Das Verhältnis von Kapital und Arbeit wird in Kollektivverträgen geregelt, die Friedenspflicht ist stark. Sozialversicherungen und Altersvorsorge gelten als solide. Pettersson: «Wir verteidigen ein Gesellschaftsmodell.» Das allerdings unter den Attacken von Konzernen wie Amazon oder dem schwedischen Spotify längst Risse aufweist.

Jetzt legt sich IF-Metall-Chefin Marie Nilsson mit einem der mächtigsten Männer der Welt an (siehe unten), zu dessen Imperium auch Twitter («X»), SpaceX, Neuralink und weitere Firmen gehören.

GRATIS-ÜBERSTUNDEN

Wie Musk allein bei Tesla 21 Milliarden Dollar Gewinn (2022) aus den Arbeitenden herauspresst, lässt sich in Schanghai, Berlin-Brandenburg oder Fremont (Kalifornien) ­besichtigen. Die chinesische Tesla-Fabrik wurde während der Covid-Shutdowns zum riesigen Arbeitslager. Niemand durfte das Gelände verlassen, die Produktion drehte rund um die Uhr.

In Fremont begrüsste Musk die Belegschaft (10 000 Arbeitende) mit dem Satz «Willkommen in der Produktionshölle». Das passt. Die Kadenzen sind infernalisch, die Arbeitszeiten endlos. Wer keine Gratis-Überstunden schiebt, fliegt. Ebenso, wer mehr ­Sicherheit fordert. Bei Tesla geschehen 31 Prozent mehr Arbeitsunfälle (sagt die Organisation Safework) als anderswo in der ohnehin gefährlichen US-Autoindustrie. Löhne und Versicherungen sind miserabel. Jede gewerkschaftliche Regung lässt Musk unterdrücken. Kapitalismus im 21. Jahrhundert.

«Gewerkschaften passen nicht in mein Businessmodell.»

Aber Shawn Fain, Chef der US-Gewerkschaft UAW, warnt ihn: «Tesla, wir kommen!» Die UAW hat mit einem Streik den «drei Grossen» (Ford, General Motors, Stellantis) gerade erhebliche Verbesserungen abgerungen (work berichtete). Jetzt mischen UAW-Organisatoren Tesla auf. Und Anfang November bekannten sich über 1000 Beschäftigte der «Gigafactory» bei Berlin zur IG Metall: «Wir sind drin.»

Es ist pure Notwehr. Bei Tesla machen die Löhne gerade noch 5 Prozent der Produktionskosten aus. Derweil radikalisiert sich der Arbeitskampf in Schweden. Was mit 130 Beschäftigten begann, weitet sich täglich aus. Die Docker von vier Häfen entladen keine Tesla mehr. Elek­triker kappen den Strom der Tesla-Ladestationen, Post und Kuriere halten Ersatzteillieferungen zurück. Musk aber liess Streikbrecher auffahren.

UAW und IG Metall schauen dieser Tage besonders aufmerksam nach Schweden.


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