Jean Ziegler ‒ la suisse existe

Schweizer Waffen ­töten in Gaza

Jean Ziegler

Jean Ziegler

Gaza ist der am dichtesten besetzte Landstrich der Welt. Auf einer Fläche, kaum grösser als der Kanton Schaffhausen (365 km2), drängen sich mehr als 2,8 Millionen Menschen. Als Sonderbericht­erstatter der Uno für das Recht auf Nahrung besuchte ich Gaza mehrmals. Ich erinnere mich an ein Gewirr von Hochhäusern, Baracken und Hütten. Die meisten Bewohnerinnen und Bewohner sind Flüchtlinge von 1948, als die israelische Armee mehr als zwei Drittel der palästinensischen Bevölkerung vertrieb. 1967 besetzten die Israeli den schmalen Küstenstreifen. 2006 zog Israel die Truppen wieder ab. Wahlen fanden statt: die islamistische Hamas gewann gegen die laizistische Befreiungsorganisation Fatah.

Ich will nicht, dass meine Steuern das finanzieren.

BLOCKADE. Auf die Wahl der Hamas reagierte Israel mit einer totalen Wirtschaftsblockade gegen Gaza. Ein hoher Grenzzaun schliesst Gaza noch heute ein. Bloss zwei befestigte Grenzübergänge gibt es für die Uno-Lastwagen, die in normalen Zeiten Hilfsgüter, Nahrung, Medikamente, Treibstoff usw. bringen. Mehr als vier Fünftel der Eingeschlossenen überleben nur dank der internationalen humanitären Hilfe.

Samstag, 7. Oktober 2023. Im Morgengrauen durchbrechen rund 1500 Kämpfer der Hamas den Grenzzaun. In den benachbarten israelischen Kibbuzim und in der Stadt Aschkelon töten sie 1200 Menschen und entführen über 200 Geiseln. Wer Frauen, Kinder und unschuldige Zivilisten tötet, wer Geiseln entführt, ist ein Terrorist. Es gibt keine Entschuldigung für diese Taten – weder politisch noch religiös.

Auf den Hamas-Terror folgte am Abend des 7. Oktober der israelische Staatsterror. Die Bezeichnung stammt von Richard Falk, Völkerrechtsprofessor in Princeton, vormals Uno-Sonderberichterstatter für die besetzten palästinensischen Gebiete und zusammen mit Noam Chomsky der wohl einflussreichste jüdische Intellektuelle Nordamerikas.

In den letzten drei Wochen hat die israelische Luftwaffe über 8000 Menschen getötet und Zehntausende Kinder, Frauen und Männer schwer verletzt. Ganze Wohnquartiere wurden dem Erdboden gleichgemacht. Der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu legitimiert die Massaker mit einem einzigen Wort: «Rache» («Le Monde», 9. 10. 2023).

WAFFEN-TEST. Gemäss Uno-Dokumenten (Bericht von Richard Goldstone, 2008) benützt Israel seit 2008 regelmässig die Angriffe auf den Gaza­streifen für das Testen neuer Waffen. So auch beim gegenwärtigen Angriff.

Die Schweiz hat eine enge Rüstungskooperation mit Israel. Sie hat zusammen mit dem israelischen Waffenfabrikanten Elbit eine hochmoderne, hocheffi­ziente neue Kampfdrohne entwickelt. Von den sechs von der Schweizer Luftwaffe bestellten Exemplaren sind bereits im vergangenen April zwei geliefert worden. Gegenwärtig werden sie in Dübendorf überprüft. Diese Drohne ist in der israelischen Luftwaffe seit sechs Monaten im Einsatz.

Es ist eine Schande für unser Land. Ich will nicht, dass meine Steuern die Ermordung palästinensischer Kinder finanzieren. Die Militärkooperation mit Israel muss sofort gestoppt werden. Stattdessen soll die Schweiz, als neues Mitglied des Uno-Sicherheitsrates, der Forderung von Uno-Generalsekretär ­António Guterres zum Durchbruch verhelfen: sofortiger Waffenstillstand und Abbruch der mörderischen Bombardements von Gaza.

Jean Ziegler ist Soziologe, Vizepräsident des beratenden Ausschusses des Uno-Menschenrechtsrates und Autor. Sein 2020 im ­Verlag Bertelsmann (München) erschienenes Buch Die Schande Europas. Von Flüchtlingen und Menschenrechten kam im Frühling 2022 als Taschenbuch mit einem neuen, stark erweiterten Vorwort heraus.

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