Martullo-Blocher verpasst der Syna einen Maulkorb

Ein fieser Hammer aus Herrliberg!

Jonas Komposch

Jahrzehntelang behandelten die Ems-Bosse die Syna als ­gefügige Sozialpartnerin. Doch jetzt hat die Gewerkschaft Schluss gemacht. Der Blocher-Konzern tobt – und rächt sich mit irren Methoden.

HERBER SCHLAG: Die Ems-Chefin geizt auf Kosten der Mitarbeitenden. (Foto: Sabine Wunderlin / Blick)

Was für eine Überraschung! Ende September teilte die Gewerkschaft Syna mit, sie habe den Kollektivarbeitsvertrag (KAV) mit dem Konzern gekündigt. Und zwar bereits auf Ende Jahr. Der Grund: «Leider ist es uns seit fünf Jahren nicht gelungen, die zwingende Modernisierung des KAV zu vollziehen.» So könne sie «die Sozialpartnerschaft nicht länger aufrechterhalten». Das lässt aufhorchen. Schliesslich war die Syna jahrzehntelang die privilegierte Gewerkschaft im Blocher-Imperium (siehe Box). Im Unterschied zur Unia hielt sie mit Kritik stets zurück. Auch gepfefferte Forderungen stellte sie selten. Dabei gäbe es allen Grund dazu: Bis heute zahlen sich die drei Blocher-Schwestern Jahr für Jahr saftige Millionen-Dividenden aus. Zuletzt waren es 332 Millionen. Zum Vergleich: Die ­Personalkosten für die weltweit 2693 Ems-Mitarbeitenden lagen 2022 bei 246 Millionen Franken. Damit kassieren die Erbinnen, die 70 Prozent der Ems-Aktien halten, mehr als alle Angestellten zusammen.

GEHEIMER VERTRAG

Mit «Modernisierung des KAV» meint die Syna primär die Rückkehr zu früheren Verhältnissen. In der Ems-Chemie galt nämlich bis ins Jahr 2005 die 42-Stunden-Woche. Dann steckte die frischgebackene Chefin, Magdalena Martullo-Blocher (54), Dutzende ­Millionen in neue Fabrikanlagen. Die Mitarbeitenden hatten ihren Tribut zu leisten. Martullo-Blochers Durchsage: Erhöhung der Wochenarbeitszeit auf 43 Stunden – bei gleichem Lohn! Für die über 1000 Beschäftigten am Bündner Hauptsitz ein Affront. Zumal sie gerade einen Rekordgewinn erarbeitet hatten. Trotzdem erteilte die Syna der Arbeitszeiterhöhung ihren Segen. Dies jedoch unter der Bedingung, dass die Massnahme «temporär» sei. Der «Blick» schreibt von einer Befristung auf zwei Jahre. Was genau vereinbart wurde, wollen weder die Gewerkschaft noch der Konzern verraten.

Offener zeigt sich ein langjähriger Ems-Facharbeiter und Syna-Gewerkschafter. Er gesteht work: «Es war schon damals sonnenklar, dass uns Frau Blocher die 42-Stunden-Woche nie mehr zurückgeben wird.» Deshalb protestierte die Unia 2007 vor den Werkstoren und verteilte Läckerli. Ein Seitenhieb gegen die Zweitgeborene Miriam Baumann-Blocher (48), die sich mit ihren Emser Dividenden das Basler Läckerli-Huus geschnappt hatte. Bei ihrer Läckerli-Aktion blieb die Unia jedoch allein, die Syna schwieg. Und so ist die «temporäre» Massnahme noch heute in Kraft. Aber warum macht die bewährte Sozialpartnerin jetzt plötzlich Schluss?

EMS KOMMANDIERT UND SCHWEIGT

Dazu könne er sich noch nicht äussern, sagt der zuständige Syna-Sekretär, Nico Fröhli (28). Grund sei ein Passus im Kollektivarbeitsvertrag, der bis am 31. Dezember gelte. Der KAV liegt work vor, in einer Version von 2008. Tatsächlich verbietet der Vertrag nicht nur die üblichen Kampfmassnahmen wie Streik, Sperre oder Aussperrung, sondern auch pauschal jede «Medienpolemik». Das ist äusserst unüblich – und fällt der Syna jetzt auf die Füsse. Ihre Onlinemeldung zur KAV-Kündigung hat sie nach wenigen Tagen gelöscht. Fröhli bestätigt: «Ems hat reklamiert.» Bloss: Die umstrittene Meldung, die work vorliegt, ist eine simple Kurzmitteilung, die nüchterner kaum sein könnte. Sogar versöhnliche Töne stimmt sie an: «Wir wollen weiterhin den Weg einer erfolgreichen Sozial­partnerschaft gehen.» Was also soll daran «polemisch» sein? Ems-Generalsekretär Conrad Gericke (55) schweigt dazu. Überhaupt verweigert er work jegliche Auskunft. Aus seinem Büro in Herrliberg mailt er bloss: «Ihre Aussagen entbehren jeglicher Grundlage.» Soso. Fakt ist jedenfalls: Es ist nicht das erste Mal, dass Ems der Syna einen Maulkorb verpasst.

«Dr Anti Blocker»: Der Beginn einer wunder­baren Feindschaft

Es sei ein «vorläufiger Sieg Blochers», kommentierte die Sendung «10 vor 10» im Herbst 1992 – völlig zu Recht (nachschauen hier). Denn dem SVP-Unter­nehmer war gerade die Spaltung der Ems-Gewerkschaften gelungen. Konkret stellten sich die beiden christlichen Verbände CMV und CHB, der freisinnige LFSA (heute alle Syna) sowie der brave Smuv (heute Unia) zusammen mit Blocher gegen die aufmüpfige GTCP (heute ebenfalls Unia). Diese hatte zuvor alleine die Tieflöhne in der Ems kritisiert.

KNIEFALL. Nun wurde die GTCP, die etwa 30 Prozent der Belegschaft vertrat, von den Verhandlungen ausgeschlossen. Vasco Pedrina, der seine neue GBI gerade mit der GTCP fusionierte, zeigte sich «sehr enttäuscht» von den anderen Gewerkschaften: «Bei der ersten Drohung von Blocher, den KAV nicht mehr zu erneuern, haben sie subito die zwischengewerkschaftliche Solidarität fallengelassen und sich seinem Diktat unterstellt. Und wer einmal einen Kniefall vor einem knallharten Patron macht, der macht rasch auch weitere Kniefälle.» Das schrieb Pedrina im legendären «Anti Blocker», einer 16seitigen Sondernummer der GBI «über den Lohndrücker in Ems». Die Zeitung ist ein Paradebeispiel für agitativen, aber aufklärerischen Boulevard. (jok)

Hier exklusiv zum Herunterladen: Dr Anti Blocker Originalversion 1992

Schon im März musste die Gewerkschaft eine angeblich «polemische» Mitteilung von der Homepage nehmen. Damals waren die Lohnverhandlungen gescheitert. Die Syna hatte 3 Prozent mehr für alle gefordert. Doch der Konzern winkte ab. Dazu Sekretär Fröhli in der gelöschten Mitteilung: «In den vergangenen Jahren» habe die Ems «nur geringe Lohnerhöhungen» gewährt und dies jeweils mit der tiefen Inflation begründet. Im Februar 2023 sei die Teuerung mit 3,4 Prozent aber auf einem Höchststand gewesen, weshalb «auch nach Ems-Argumenten eine deutliche Lohnerhöhung notwendig» gewesen wäre. Doch die Firmenvertreter hätten die Verhandlungen einfach beendet. Man melde sich wieder, habe es geheissen. Damit war wohl nichts: «Nach wochenlanger Funkstille wurde, entgegen den geltenden KAV-Bestimmungen, im April allein mit dem Betriebsverband eine zweite Verhandlungsrunde gehalten. Syna wurde bei diesen Verhandlungen ignoriert.» Die Ems habe dem Betriebsverband «ein besseres Angebot» gemacht als noch in den gemeinsamen Verhandlungen. Was letztlich bei diesen «Verhandlungen» herausgekommen ist? Auch das hält die Firma strikt geheim. Bekannt sind allerdings die Mindestlöhne von 2008.

Die Schwestern kassieren mehr als alle Angestellten zusammen.

EMS WOLLTE SYNA-MANN AUSWECHSELN

Der damalige KAV operiert mit 15 verschiedenen «Arbeitsplatzwertstufen». Die tiefste Stufe garantiert ein Jahresgehalt von 29 770 Franken (exklusive eines 13.). Das entspricht einem Monatslohn von 2480 Franken! Selbst der höchste Mindestlohn liegt bei bloss 4380 Franken. Besonders mies ist der Vertrag für Schichtarbeitende: Fällt ihr Einsatz auf einen Feiertag, gibt es dafür nicht einen Rappen Lohnzuschlag. Ob dieses Regime noch heute gilt, ist unbekannt. Doch die Syna schrieb: «Die Unzufriedenheit unserer Mitglieder mit den veralteten Anstellungsbedingungen […] drückt auf die Stimmung.» An einem Wandel scheint Martullo-Blocher aber nicht interessiert. Ihr Stab liess Ende September im Betrieb Zettel aufhängen: Darin ist von «personellen Turbulenzen» bei der Syna die Rede. Zudem wird gegen Gewerkschaftsmann Fröhli ausgeteilt: Mit ihm habe man «keine konstruktive Zusammenarbeit» finden können. Ems gibt sogar offen zu, von der Gewerkschaftsführung verlangt zu haben, «eine andere Person zu benennen». Doch die Zeiten der Unterwürfigkeit scheinen vorbei: Fröhli blieb!

FAULER TRICK  MIT «PARALLELVERTRAG»

Was aber heisst all das für die Ems-Belegschaft? Herrscht ab Januar ein vertragsloser Zustand? Wären folglich sogar Streiks erlaubt? Nein. Zumindest nicht in der Lesart der gewieften Konzernleitung, die genau für diesen Fall vorgesorgt hat: Seit Jahren besteht sie auf einer Separat-Unterzeichnung des KAV. Ein Vertragsexemplar muss also die Syna unterschreiben und ein anderes der hauseigene Betriebsverband. Somit gibt es zwei identische «Parallelverträge». Der Kniff: Kündigt, wie jetzt, nur ein Verband, läuft der Vertrag mit dem anderen Verband einfach weiter. Gerade beim Streikverbot ist das entscheidend. Denn dieses gilt laut KAV für «jeden einzelnen Mitarbeiter» und nicht nur für Mitglieder der vertragszeichnenden Verbände. Rechtlich ist das ein äusserst wackliges Kon­strukt. Doch noch hat niemand daran gerüttelt.

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