1x1 der Wirtschaft

Pandemie-Lehre: Die Rückkehr der grossen Lager

David Gallusser

Lager kosten. Sie brauchen Platz, müssen bewirtschaftet werden und binden Geld, das anderswo ertragreich eingesetzt werden könnte. Firmen wollen deshalb möglichst keine Lager. Gleichzeitig sichern Lager Umsätze, weil sie es auch dann ermög­lichen, die Kundinnen und Kunden zu beliefern, wenn die Nachfrage un­erwartet steigt. Im Laufe der 1980er und 1990er Jahre konnten die Firmen ihre Lager verkleinern, weil Waren deutlich schneller geliefert werden konnten und man besser auf Unerwartetes reagieren konnte. Kürzere Lieferfristen wurden dank den besseren Computern und dem Internet möglich. Sie revolutionierten die Lagerhaltung. Aber auch Fortschritte beim Transport wie der Siegeszug der Containerschiffe sorgten für kürzere Fristen.

LAGERAUFBAU BESCHLEUNIGT. Die Corona-Pandemie katapultierte die ­Industrie in die Vergangenheit zurück. 2020 legte das Virus die Weltwirtschaft lahm. Die Firmen fuhren ihre Produktion zurück (vgl. Grafik). Nach dem ersten Pandemiewinter dann der Kaltstart: Die Firmen wurden mit Aufträgen überrannt. Die Lieferanten konnten nicht mehr oder nur mit viel Verspätung liefern. Vorprodukte fehlten, die Lieferfristen schossen in die Höhe. Als Reaktion hamsterten die Firmen Material, um ihre Produktion zumindest künftig abzusichern. Dieser Lageraufbau sorgte für zusätzliche Produktion und heizte damit den Nach-Corona-Boom weiter an.

LAGERABBAU BREMST. Die Kehrseite des rasanten Lageraufbaus erleben wir jetzt. Waren werden wieder schneller geliefert. Die Lieferfristen sinken seit Anfang Jahr. Grosse Lager sind nicht mehr nötig. Viele Firmen sind deshalb dazu übergegangen, ihre ­Lager abzubauen und keine neuen Bestellungen mehr zu tätigen. Der neuerliche Lagerabbau führt deshalb zu weniger Aufträgen. Und er erklärt massgeblich den Rückgang der Industrieproduktion, den wir derzeit er­leben. Die positive Botschaft: Wenn die Lager abgebaut sind, wird die Nachfrage in der Industrie wieder steigen. Dies dürfte bereits Anfang 2024 der Fall sein. Bis dahin wird die Schweizer Industrie aber nicht darben. Die zahlreichen Aufträge aus dem vergangenen Jahr sorgen dafür, dass die Arbeit nicht ausgeht – und die Erträge hoch bleiben.

David Gallusser ist Ökonom beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB).

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