Angestellte Schweiz ist ein Weisskragen-Verband aus der Industrie- und Pharmabranche. Vom Bau hat er keine Ahnung. Doch jetzt haben sich die Verbandsoberen von den Bodenleger-Chefs einspannen lassen – für einen üblen Lohndrücker-GAV!
GEGEN TIEFLÖHNE UND PREISKAMPF: Ein echter Bodenleger-GAV wäre bitter nötig. Doch der Vertrag von Angestellte Schweiz nützt nur den Meistern. (Foto: Shutterstock)
Auch wenn noch vieles im Argen liegt – totale Willkür herrscht auf den Schweizer Baustellen nicht. Denn die Bauberufe sind fast vollständig durch Gesamtarbeitsverträge (GAV) abgedeckt. Rund zwanzig baugewerbliche GAV hat der Bundesrat sogar für allgemeinverbindlich erklärt. Sie gelten also auch für jene Firmen und Arbeitenden, die nicht Mitglied eines vertragszeichnenden Verbands sind. Eine Ausnahme ist die Bodenlegerei. Zwar gibt es in der Romandie, im Tessin und in Basel-Stadt lokale GAV. Doch in der Restschweiz ist das Bodenleger-Gewerbe seit Jahren unreguliert. Die Folgen: Tieflöhne, Dumping und ein zunehmend überbordender Preiskampf. Letzteres stört auch viele Arbeitgeber. Sie haben daher 2017 mit der Ausarbeitung eines GAV für die Deutschschweiz begonnen. Jetzt liegt das Papier auf dem Tisch – unterzeichnet vom Arbeitgeberverband Boden Schweiz und – eine Überraschung! – von Angestellte Schweiz.
VERTRAG OHNE BÜEZER
Angestellte Schweiz (AS) ist ein Zusammenschluss von Hausverbänden aus der Industrie- und Pharmabranche. Seine Mitglieder sind hauptsächlich Weisskragen, also Büroangestellte und technische Kader. Auf dem Bau war AS noch nie tätig. Das bestätigt Präsident Alexander Bélaz auf Anfrage. Auch wisse er nicht, wie viele der AS-Mitglieder Bodenleger seien. Gibt es denn überhaupt einen Bodenleger oder eine Bodenlegerin bei AS? work hat bei Geschäftsführer Stefan Studer nachgefragt. Doch dieser verweigert jede Auskunft.
Erst recht nichts sagt er zur Werbeoffensive der Chefs für seinen Verband. Fakt ist: Boden Schweiz hat alle Mitgliedsfirmen aufgefordert, den Lohnabrechnungen Beitrittsformulare der «Gewerkschaft» beizulegen. Und jetzt soll der GAV möglichst geräuschlos in Kraft treten. Und zwar, sobald ihn der Bundesrat für allgemeinverbindlich erklärt. Doch diesen Plan will die Unia durchkreuzen.
Sie hat beim Staatssekretariat für Wirtschaft Rekurs eingelegt. Bruna Campanello, Unia-Sektorleiterin Gewerbe, erklärt: «Es ist ein Pseudo-GAV, der gegenüber dem Arbeitsgesetz keine realen Verbesserungen bringt. Und es ist ein Dumping-GAV, denn er unterbietet die Löhne im Ausbaugewerbe um gut 20 Prozent!» Tatsächlich irritiert schon der Umfang des Vertrags. Mit 12 Seiten ist es der wohl dünnste GAV der Schweiz. Entsprechend wenig wird reguliert.
«Dieser Pseudo-GAV unterbietet die Löhne um 20 Prozent!»
RIESIGE LOHNUNTERSCHIEDE
Gar keine Vorgaben existieren zu Probezeiten, Spesen, Wegzeiten, Benutzung des eigenen Fahrzeugs, Zeitpunkt und Art der Lohnauszahlung, Mitbestimmung, Lohnfortzahlung bei Todesfall, Krankentaggeldversicherung, Mutterschutz, bezahlten Feiertagen oder Ferien. Nicht einmal die verbreitete Samstagsarbeit wird reguliert. Sie soll auch künftig zuschlagsfrei möglich sein.
Und dann die Mindestlöhne! Lausige 20.40 Franken brutto pro Stunde soll ein ungelernter Arbeiter verdienen. Zum Vergleich: Im Westschweizer GAV des Ausbaugewerbes, der auch für die dortigen Bodenleger gilt, hat ein Ungelernter 28.30 Franken auf sicher. Oder eine Bodenlegerin drei Jahre nach Lehrabschluss: Der GAV des Ausbaugewerbes von Basel-Stadt garantiert ihr einen Mindestlohn von 4900 Franken. Würde sie aber in Basel-Land arbeiten, wo bald der GAV von Angestellte Schweiz gelten soll, hätte sie nur 4150 Franken gesichert.
PARKETTVERBAND SAGT NEIN
Die Chefs dürften sich aber auf noch kuriosere Vorteile freuen. Etwa auf ein Streikverbot, das selbst 12 Monate nach Vertragsablauf noch gilt. Verletzt aber andererseits ein Chef oder eine Chefin den GAV, kommen sie glimpflich davon: Ihre Konventionalstrafe darf maximal 5000 Franken kosten. Wenn sie also Dumpinglöhne zahlen, «rentiert» das schon nach wenigen Monaten, auch wenn sie auffliegen.
Allerdings gefällt so was nicht der ganzen Branche. So war zunächst auch der Parkettverband ISP an den Verhandlungen beteiligt. Doch die ISP-Delegierten zogen die Notbremse: «zu teuer, kein Nutzen». Nie am Verhandlungstisch sassen dagegen die Baugewerkschaften Unia und Syna. Sie hatten ihr Know-how zwar mehrfach angeboten, aber nicht einmal eine Antwort erhalten.