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«Grand Paris Express»: Von Sommerlöchern und anderen Bohrarbeiten

Auch ohne löwenmässigen Sommerhit ging es in der Sauregurkenzeit wieder hoch zu und her.

GROSSPARIS: Die Hälfte der 400 Kilometer U-Bahn-Tunnels in und um Paris sind schon gebohrt. (Foto: SGP)

Im Sommerloch jagt eine schräge Meldung die nächste. Das Loch aller Löcher ist und bleibt das Ungeheuer Loch Ness in Schottland. Jeden Sommer lassen dort die regionalen Hotels einen neuen Ballon steigen. Heuer zählen sie auf die Hilfe von Freiwilligen, die bei der Jagd nach dem Nessie helfen sollen.

Ähnlich, aber ganz anders diesen Sommer in Berlin: Da hielt ein mutmass­licher Löwe, der durch den Prenzlauer Berg streifte, die Menschen in Atem. Schwer­bewaffnete Polizistinnen und Polizisten gingen mit gepanzerten Fahrzeugen auf Löwenjagd. Aufgrund der Analyse der Videos und DNA-Spuren stand nach drei Tagen fest: Der Löwe war wohl nur ein Wildschwein gewesen. Was bisher fehlt, ist ein Sommerhit auf diese Posse.

ZENTRUM–PERIPHERIE. Ganz andere Löcher werden zurzeit in Paris gebohrt: Frankreich baut von dort aus eine 200 Kilometer lange U-Bahn der nächsten Generation. Insgesamt 27 Bohrmaschinen fräsen Tag und Nacht 400 Kilometer Tunnels in den heiklen Pariser Untergrund. Und dies mit einem Durchmesser von mehr als 8 Metern. Warum 400 Kilometer? Jede der Strecken verfügt nur schon aus Sicherheitsgründen über zwei Tunnels.

Eine solche gigantische Bohrmaschine kostet in der Anschaffung 10 Millionen Euro. Alle zusammen also rund 300 Millionen. Das ist angesichts der Baukosten des «Grand Paris Express» von 35 Milliarden genaugenommen ein Pipifax.

Die Hälfte der neuen U-Bahn-Löcher sind schon gebohrt. Vor den Olympischen Sommerspielen, die 2024 in Paris stattfinden werden, sollen die ersten Strecken der U-Bahn bereits in Betrieb gehen. Und schon 2030 werden alle 200 Kilometer fertiggestellt sein und die Menschen von der französischen Peripherie ins Zentrum und umgekehrt transportieren. Neue Quartiere sollen aus dem Boden schiessen. Optimistinnen und Optimisten in Frankreich glauben fest daran, dass der Express Hauptstadt und Banlieue einander näherbringen wird.

SOZIALE KLUFT. Heute verbrennen die Reichen und die Superreichen im Zentrum von Paris das Geld, das sie zu einem schönen Teil an den Steuern vorbeigeschmuggelt haben. Legal, illegal, scheissegal. Und in den Banlieues zündet der Zorn einer Generation ohne Perspektive Autos und Geschäfte an. Die heutige Ringautobahn ist die Stadtmauer, die diese beiden Welten trennt, die Klassen und die Herkunft.

Da soll der «Grand Paris Express» nun ausgleichen helfen. Wird er das schaffen? Wohl kaum, solange Frankreich nicht sozialer und somit für die Menschen mit kleinen und mittleren Einkommen lebenswerter wird. Doch immerhin: Im Vergleich zu Tunnelbaustellen in der Schweiz bewegt sich das grosse französische Mega-U-Bahn-Projekt sehr schnell.

Kleine Rechnung: Die Schweiz und ihre Nationalbank bürgen mit 252 Milliarden für die UBS. In Paris investieren sie nur 13 Prozent so viel für den Bau neuer U-Bahn-Strecken, die zu einer Verdoppelung des heutigen Streckennetzes führen werden. Und erst noch ein Baustein jenes Projekts sind, welches das Zentrum von Paris weitgehend autofrei machen will.

Und jetzt noch einen Blick ins deutsche Geretsried, einen Vorort von München. In Geretsried bohren sie derzeit ebenfalls Löcher. Die Unternehmung Eavor Technologies testet dort ein neues Geo­thermie-Konzept, das keine Erd­beben auslösen soll.

Am 24. August 2023 werden Bundeskanzler Olaf Scholz und der bayrische Ministerpräsident Markus Söder die Baustelle besuchen. Viel Medienrummel ist garantiert. Wir bleiben dran.

Links zum Thema:

  • rebrand.ly/3minuten-takt Die vollautomatischen und 54 Meter langen Züge transportieren 500 Personen. In Stosszeiten kommt alle
    3 Minuten ein Zug. Macht 10 000 Passagiere pro Stunde und Richtung. Nicht schlecht, aber: Bereits 1991 war die Zugsfolge der U-Bahn in der ukrainischen Hauptstadt Kiew dichter. Hier hat Paris noch Luft nach oben.
  • rebrand.ly/eavor-folien Im Jura ist wegen einer geplanten traditionellen Geothermie-Tiefenbohrung die Hölle los. Viele wollen kein Wasser-Fracking. Diese Folien erklären den ganz anderen Ansatz der Firma Eavor Technologies, der zurzeit im deutschen Geretsried getestet wird. Wenn wir bis 2035 strom- und wärme­seitig klimaneutral werden wollen, bräuchte die Schweiz 500 solcher Eavor-Bohrungen. Und diese zum halben Preis von Geretsried. Wenn denn alles klappen sollte.

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