Von der Polizei ausgesetzt ohne einen Tropfen Wasser:

Fati und Marie, Tod in der Wüste

Oliver Fahrni

Europa schottet sich gegen Flüchtlinge und Migrantinnen ab. Mit Frontex, vorgeschobenen Grenzen und humanitärer Heuchelei. Zehntausende bezahlen das mit ihrem Leben.

CHANCENLOS: Fati, Crépin und ihre sechsjährige Tochter Marie starben in der Sahara. (Foto: Keystone)

Matyla Dosso, «Fati» genannt, liegt mit dem Gesicht im Saharasand neben der Tochter Marie, die in einer letzten Geste einen Arm zur Mutter hin ausgestreckt hat. Sie sind in der brütenden Hitze verdurstet. Marie war gerade sechs Jahre alt. Mit Fatis Mann Crépin waren sie vor den Militärs in Kamerun geflohen. Es begann eine jahrelange Irrfahrt durch halb Afrika. Fünfmal scheiterte ihr Versuch, von Libyen übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen. Nun wollten sie nach Tunesien, um zu arbeiten und der Tochter eine ordentliche Ausbildung zu bieten. Doch die tunesische Polizei griff sie auf, lud sie mit anderen Migrantinnen und Migranten auf Camions und setzte sie mitten in der Wüste aus. Ohne einen Tropfen Wasser. Ein Todesurteil. Die «trockene Guillotine» nennen sie das hier. Crépin fiel als erster.

MAKABRE STRATEGIE

Inzwischen zeugen Knochenfelder in der Sahara vom makabren Plan, der in Rom und Brüssel geschmiedet wurde. Tunesiens Präsident Kais Saied hat der italienischen Neofaschistin und Regierungschefin Giorgia Meloni und der EU-Präsidentin Ursula von der Leyen zu Beginn dieses Jahres versprochen, die afrikanischen Migrantinnnen und Migranten von Europa fernzuhalten. Dafür bekommt er Geld, Investitionen, Drohnen, Polizeiausbildung und Patrouillenboote. Meloni nennt es einen «strategischen Pakt». Von der Leyen redet es sich als humanitäre Tat schön, und Diktator Saied rechtfertigt sein Tun mit wüsten rassistischen Theorien, die er von europäischen Rechtsextremen übernommen hat.

Europas Regierungen machen dicht, und weil sie sich nicht selber die Finger schmutzig machen wollen, haben sie Europas Aussengrenzen weit nach Afri­
ka hinein verschoben. Bis nach Niger, einem der weltweit ärmsten Länder, das von der EU 1,3 Milliarden Dollar erhielt, um die Saharagrenze zu überwachen. Der laufende Militärputsch in Niger setzt dem Deal gerade ein Ende.

Zum ersten Mal angewendet wurde diese Strategie in der Türkei. 2014 flohen Hunderttausende vor den westlichen Interventionen in Nahost und dem syrischen Bürgerkrieg. Die EU kaufte sich von der Türkei für 6 Milliarden Euro das Versprechen, möglichst viele Flüchtende festzuhalten. Das tat Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Seither ist die Türkei weltweit das Land mit den meisten Asylantinnen und Asylanten (freilich fliehen auch viele Kurden und politisch Verfolgte aus der Türkei).

JAGD AUF MIGRATNENBOOTE

Dann kam der Deal zwischen Italien und Libyen. Seit sich Rom mit den libyschen Milizen verbündet hat, verschwinden dort Tausende in geheimen Lagern, im Meer oder in der Wüste. Zwangsarbeit, Sklaverei, Folter, Menschenhandel grassieren. Die EU hat den Pakt nicht nur abgesegnet, sondern der libyschen und der tunesischen Marine das Recht zugestanden, ausserhalb ihrer Hoheitsgewässer Jagd auf Migrantenboote zu machen.

Das Ziel ist dasselbe wie bei der europäischen Grenzagentur Frontex, den Hotspots in der Ägäis (so heissen die Abschiebelager auf den griechischen Inseln) oder den Interventio­nen der Küstenwachen von Italien, Spanien, Frankreich und Griechenland: Sie wollen verhindern, dass die Flüchtenden und Migrierenden ihr Recht auf Asyl geltend machen. Das können die Migrantinnen und Migranten erst, wenn sie europäischen Boden betreten haben.

Darum behindern die Regierungen die Arbeit der Seenotretter wie «SOS Méditerranée». Darum warten Küstenwachen und Frontex mit ihren Einsätzen, bis die Menschen ertrunken sind, wie jüngst vor der kalabrischen Küste bei Crotone (94 Flüchtlinge aus Iran und Afghani­stan starben). Darum kommt es, wie gut belegt ist, immer wieder zu «Push-back»-Operationen: Boote werden abgedrängt, anscheinend auch versenkt. Das Mittelmeer ist längst ein gigantischer Friedhof: Mindestens 26 000 Menschen sind dort in den letzten acht Jahren verschwunden. Und mit ihnen ersäuft das Menschenrecht.

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