Ratgeber

Unfall ist nicht gleich Unfall – trotzdem gibt es ein paar Grundsätze, die es sich lohnt zu kennen

Maria Künzli

In der Schweiz sind Angestellte gegen Unfall und Berufskrankheiten obligatorisch über den Arbeitgeber versichert. Doch was heisst das genau? Gilt ein Sturz vom Velo auch als Arbeitsunfall, wenn er auf dem Weg zur Arbeit passiert ist? work beantwortet die wichtigsten Fragen.

«AUA!»: Ein gebrochenes Bein tut nicht nur weh, sondern bedeutet oft auch Arbeitsausfall und Bürokratie. (Foto: Getty)

Beginnen wir ganz grundsätzlich: Wann ist ein Unfall ein Unfall?

Ist doch klar, denken Sie? Nicht immer! Manchmal ist es gar nicht so einfach, zwischen einem Unfall und einer Krankheit zu unterscheiden. Und entsprechend auch, welche Versicherung dafür aufkommt. Ist es ein Unfall, zahlt die Unfallversicherung; ist es eine Krankheit, muss die Krankenkasse die Behandlungskosten tragen.

Das Gesetz hat deshalb klar definiert, was rechtlich gesehen ein Unfall ist. Nämlich wie folgt: Ein Unfall ist die «plötzliche, nicht beabsichtigte schädigende Einwirkung eines ungewöhnlichen äusseren Faktors auf den menschlichen Körper, die eine Beeinträchtigung der körperlichen, geistigen oder psychischen Gesundheit oder den Tod zur Folge hat» (Art. 4 ATSG). Trifft etwas davon nicht zu, gilt der Vorfall laut Gesetz also nicht als Unfall. Doch was heisst das jetzt genau?

Unfall oder Krankheit? Das ist manchmal gar nicht so einfach zu unterscheiden.

BÄNDERRISS ALS KRANKHEIT

Die Suva listet auf ihrer Website einige Beispiele für Unfälle auf, die keine sind. Zum Beispiel jener vom (fiktiven) Baubüezer Ernesto: Er lüpft bei der Arbeit eine schwere Kiste. Plötzlich schiesst es ihm in den Rücken. Das klingt wie ein Unfall, ist unter Umständen aber keiner, da der «ungewöhnliche äussere Faktor» fehlt. Wäre Ernesto hingegen von einer herunterfallenden Kiste verletzt worden, wäre das ein unerwarteter äusserer Faktor und somit klar ein Unfall.

Die Unterscheidung, ob ein Unfall oder eine Krankheit vorliegt, kann im Einzelfall sehr schwierig sein. Es geht eben nicht nur um die Tätigkeit, die ungewöhnlich ist, sondern um die Frage, ob die Beschwerden «im Inneren» des Körpers entstehen (als Krankheit gilt zum Beispiel auch ein Bänderriss nach «Abnutzung») oder ob ein äusserer Faktor hinzugekommen ist. Da lohnt es sich, genau hinzuschauen! Holen Sie sich Unterstützung, um Ihre Beschwerden genauer abzuklären. Falls Ihnen Ihre Unfallversicherung also schreibt, dass sie keine Leistungen zahle, raten wir Ihnen, Ihre Hausärztin oder Ihren Hausarzt umgehend um eine medizinische Einschätzung zu bitten und den Brief der Unfallversicherung Ihrer regionalen Unia-Rechtsberatung zu zeigen.

Melden Sie Ihren Unfall sofort

Wer einen Unfall hat, denkt meistens nicht als erstes an die Ver­sicherung, das ist verständlich. Dennoch sollten Sie Ihrer Chefin oder Ihrem Chef einen Unfall so schnell wie möglich melden. Denn diese müssen sofort die Versicherung informieren. Sind Sie arbeitslos, müssen Sie das RAV oder die Suva über den Unfall in Kenntnis setzen. Wenn Sie nicht über den Arbeitgeber, sondern über die Krankenkasse unfallversichert sind, sollten Sie ebenfalls so schnell wie möglich das Unfallformular ausfüllen und die Krankenkasse informieren. (mk)

WER ZAHLT BEIM UNFALL?

Wenn klar ist, dass es sich bei Ihrem Leiden um einen Unfall handelt und nicht um eine Krankheit, stellen sich weitere Fragen: Nämlich, bei wem Sie gegen Unfall versichert sind, wie der Unfall mit Ihrer Arbeit zusammenhängt und ob die Unfallversicherung auch bei Unfällen in der Freizeit und den Ferien bezahlt.

Wann bin ich über den Arbeitgeber versichert?

Wer acht oder mehr Stunden pro Woche für dasselbe Unternehmen arbeitet, ist über dieses automatisch auch für Nichtberufsun-fälle versichert. Die Versicherung kommt also bei Arbeitsunfällen wie auch bei Unfällen, die in der Freizeit passieren, zum Tragen. Ebenso bei Berufskrankheiten (siehe Spalte unten). Beträgt das Arbeitspensum weniger als acht Stunden pro Woche, muss die Unfallversicherung nur bei Arbeitsunfällen, bei Unfällen auf dem ­Arbeitsweg und bei Berufskrankheiten zahlen.

Falls Sie mit mehreren kleinen Pensen bei verschiedenen Arbeitgebern angestellt sind, müssen Sie also aufpassen: Erreichen Sie bei keinem Pensum acht Stunden pro Woche, müssen Sie sich selbst für Nichtberufsunfälle versichern, etwa über Ihre Krankenkasse.

Wann ist’s ein Arbeitsunfall?

Passiert der Unfall bei der Arbeit, handelt es sich um einen Arbeitsunfall, auch Berufs- oder Betriebsunfall genannt. Dazu zählen auch Unfälle, die während der Pause oder vor bzw. nach der Arbeit passieren, aber nur, wenn sich der Unfall auf dem Betriebsgelände oder am aktuellen Arbeitsort ereignet. Alle anderen Unfälle, zum Beispiel Sport- oder Verkehrsunfälle, gelten als Nichtberufsunfälle.

Bin ich bei einem Unfall während der Ferien versichert?

Wenn Sie mehr als acht Stunden pro Woche für eine Firma arbeiten und somit gegen Nichtberufsunfälle versichert sind, gilt der Ver­sicherungsschutz auch in den Ferien. Weltweit, nicht nur in der Schweiz. So legt es das Unfallversicherungsgesetz (UVG) fest.

Gilt die Versicherung auch bei ­Auslandeinsätzen?

Achtung: Je nach Land gelten andere Regeln! Falls Ihnen ein Auslandeinsatz angekündigt wird, klären Sie die Versicherungsdeckung rechtzeitig mit Ihrer Arbeitgeberin oder den zuständigen Behörden ab. Beim Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) finden Sie mehr dazu.

Muss ich bei einem Berufsunfall ­einen Selbstbehalt bezahlen?

Wenn Sie über Ihren Arbeitgeber unfallversichert sind, müssen Sie weder einen Selbstbehalt noch eine Franchise bezahlen. Für die medizinischen Kosten im Zusammenhang mit dem Unfall kommt die Versicherung auf. Anders ist es, wenn Sie bei der Krankenkasse gegen Unfall versichert sind, weil zum Beispiel Ihr Arbeitspensum zu klein ist oder Sie selbständig sind. Bei der Krankenkasse fallen auch bei einem Unfall Franchise und Selbstbehalt an.

Was, wenn ich arbeitsunfähig bin?

Können Sie nach einem Unfall über längere Zeit nicht arbeiten, haben Sie ab dem dritten Tag nach dem Unfall ein Taggeld von 80 Prozent Ihres Lohns zugute. Beträgt die Entschädigung der Versicherung weniger als 80 Prozent, muss Ihnen Ihre Arbeitgeberin die Differenz bezahlen. Sie ist aber nicht dazu verpflichtet, auf volle 100 Prozent Ihres Lohnes zu ergänzen.

Wichtig: Sind Sie als arbeitsunfähig gemeldet, dürfen Sie auch wirklich nicht arbeiten. Tun Sie es trotzdem, ist die Versicherung dazu berechtigt, von Ihnen das gezahlte Taggeld zurückzufordern.

Bin ich als Praktikantin oder Schnupperlehrling auch versichert?

Ja. Der Versicherungsschutz gilt auch für Lernende und Ferienaushilfen sowie Angestellte in Heimarbeit, Praktikantinnen, Volontäre und Schnupperlernende.


Sonderfall Berufskrankheiten Wenn der job krank macht

Berufskrankheiten werden, im Gegensatz zu allen anderen Krankheiten, von der obligatorischen Unfallversicherung gedeckt. Und zwar dann, wenn sie laut Gesetz «ausschliesslich oder vorwiegend» durch schädliche Stoffe oder bestimmte ­Arbeiten verursacht worden sind, die vom Bundesrat in ­einer Liste festgelegt wurden.

ASBEST UND LÄRM. «Vorwiegend» bedeutet, dass die Krankheitsursache zu mehr als 50 Prozent in der beruflichen Tätigkeit liegen muss. «Ausschliesslich» wiederum meint eine fast 100%ige Ursache. Das wird ermittelt, indem etwa die Konzentration des Schadstoffes in der Luft oder die Zeitdauer, in der die erkrankte Person dem Schadstoff ausgesetzt war, bestimmt wird.

Als schädliche Stoffe gelten zum Beispiel Ammoniak und Asbest. Als gesundheits­gefährdende Arbeit gilt etwa die Arbeit bei grossem Lärm.

AUSNAHMEN MÖGLICH. Es können allerdings auch Krankheiten, die nicht auf dieser Liste stehen, als Berufskrankheiten anerkannt werden. Dafür muss aber nachgewiesen werden, dass die Ursache der Krankheit zu mindestens 75 Prozent in der beruflichen Tätigkeit liegt. (mk)

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