Abstimmungen vom 18. Juni: SVP, FDP, GLP und Mitte weibeln für Hungerlöhne

Ein Lohn muss zum Leben reichen!

Clemens Studer

Am 18. Juni können die Zürcherinnen und Zürcher, Winterthurerinnen und Winterthurer dafür sorgen, dass in ihren Städten Menschen mit einem 100-Prozent-Job auch davon leben können. Das wollen die rechten Parteien verhindern.

GLASKLAR: Ohne einen anständigen gesetzlichen Mindestlohn kommen heute viele Vollzeitarbeitende nicht über die Runden, etwa in der Reinigung. (Foto: Keystone)

Wer 100 Prozent arbeitet, muss von seinem Lohn leben können. Das sollte eigentlich gerade in einem reichen Land wie der Schweiz eine Selbstverständlichkeit sein. Ist es aber nicht. So verdienen in der Stadt Zürich 4 Prozent der Erwerbstätigen – rund 17 000 Men­schen – weniger als 23 Franken pro Stunde. Vor allem betroffen sind die Branchen Gebäudereinigung, Gastro und Verkauf. Das ist unwürdig für die Betroffenen. Und eine Schande für die teuerste Stadt der Schweiz.

Darum haben Gewerkschaften, fortschrittliche Parteien und Hilfswerke eine Initiative für einen städtischen Mindestlohn eingereicht. Nach Verhandlungen im Stadtparlament liegt jetzt ein Kompromiss vor, der einen Mindestlohn von 23 Franken 90 für (fast) alle, die in Zürich arbeiten, einführen will. Dies entspricht bei einer Vollzeitstelle rund 4000 Franken. Der städtische Mindestlohn orientiert sich an der Höhe der Ergänzungsleistungen der Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) und der Invalidenversicherung (IV). Ausserdem soll er jährlich überprüft sowie der Teuerung und der Lohnentwicklung angepasst werden.

JUNGE AUSGENOMMEN

Keinen Anspruch auf den Mindestlohn hätten Lernende, Personen unter 25 Jahren ohne mindestens ein Eidgenössisches Berufsattest (EBA), an Integra­tionsprogrammen Teilnehmende und Praktikantinnen und Praktikanten. Die Initiantinnen zogen nach dem Ja des Stadtparlaments zum Kompromiss die Volksinitiative zurück, SVP, FDP und GLP ergriffen das Referendum gegen den Kompromiss des Stadtparlaments. Gleichlautende Initiativen reichten die Gewerkschaften mit Verbündeten auch in Winterthur und Kloten ein. Das Klotener Stimmvolk lehnte sie im Herbst 2021 knapp ab. In Winterthur kommt sie ebenfalls am 18. Juni zur Abstimmung. Hier verhinderten die rechten Parteien im Gemeindeparlament einen Kompromiss.

«SOLLEN DOCH AUFS SOZIALAMT»

SVP, FDP, GLP und Teile der Mitte bestreiten, dass es überhaupt ein Problem ist, wenn Menschen, die 100 Prozent arbeiten, nicht von ihrem Lohn leben können. «Sie sollen halt aufs Sozialamt», ist ihr zynischer Rat. Dabei wissen sie sehr gut, wie sehr sie die Sozialbehörden in den vergangenen Jahren zu Demütigungsinstitutionen umgebaut haben. Und dass gerade Menschen ohne Schweizer Pass um fast jeden Preis verhindern wollen, ihre Rechte auf dem Sozialamt einzufordern – weil ihnen dann der Verlust der Aufenthaltsbewilligung droht. Diese Notlage nutzen verantwortungslose Arbeitgeber schamlos aus. Rech­­te Parlamentsmehrheiten helfen ihnen dabei.

In Zürich verdienen 17’000 Menschen weniger als 23 Franken pro Stunde.

VERLOGEN

Vor rund zehn Jahren stimmte die Schweiz über die nationale Mindestlohninitiative der Gewerkschaften und der SP ab. Sie wurde abgelehnt. Damals sagten die Gegnerinnen und Gegner, Mindestlöhne sollten – wenn schon – kantonal oder kommunal eingeführt werden, das sei keine nationale Aufgabe. Eine Mehrheit der Stimmenden glaubte das. Seither haben
die Kantone Jura, Neuenburg, Tessin, Genf und Basel-Stadt Mindest­­­löh­­ne eingeführt. Teilweise gegen jahrelangen juristischen Widerstand der Arbeitgeberverbände. Jetzt versuchen die Wirtschaftsverbände, kantonale Mindestlöhne via Bundesgesetz auszuhebeln. Die rechten Mehrheiten in National- und Ständerat haben den Bundesrat beauftragt, ein entsprechendes Gesetz auszuarbeiten.

In Zürich und Winterthur argumentieren die rechten Parteien jetzt unter anderem, Mindestlöhne könnten – wenn schon – nicht in einer Stadt eingeführt werden. Egal wie: Mindestlöhne sind SVP, FDP und GLP grundsätzlich ein Graus. Am 18. Juni haben es die Stimmbürgerinnen und -bürger in Zürich und Winterthur in der Hand, die Hungerlohn-Fans zumindest in ihren Städten zu stoppenKlimaschutz: SVP-Millionen für Lügen-Kampagne.

Klimaschutz: SVP-Millionen für Lügen-Kampagne

Auch nationale Vorlagen kommen am 18. Juni zur Abstimmung, darunter das Klimaschutz-Gesetz. Die Erdöl- und Erdgas-Lobby fürchtet um ihre schnellen Profite. Darum setzt die SVP Millionen ein, um das Klimaschutz-Gesetz zu bodigen. Dabei schreckt sie vor kaum etwas zurück: Verdrehungen, schlichte Lügen und Verschwörungserzählungen inbegriffen. In den vergangenen Wochen millionenfach
in die Haushaltungen verteilt.

WORUM GEHT ES? Das Klimaschutz-Gesetz will vor allem Hausbesitzerinnen, die ihre alten Öl- oder Gasheizungen durch moderne Holzheizungen oder Wärmepumpen ersetzen oder ihre Gebäude besser isolieren, während zehn Jahren mit jährlich 200 Millionen Franken unterstützen. Ebenfalls unterstützt werden Hausbesitzer, die ineffi­ziente Elektroheizungen durch eine nachhaltigere Alternative ersetzen. Was das Klimaschutz-Gesetz für die Lohn­abhängigen bedeutet, was sonst noch im Gesetz steht – und vor allem, was nicht –, hat work bereits früher erklärt.

AGITPROP. Formal klöpft und tätscht die faktenwidrige SVP-Kampagne. Agitprop wie aus dem Lehrbuch. Ganz anders sieht die Dachkampagne der Befürwortenden aus. An den Argumenten gibt es nichts zu mäkeln. Aber die blau-orange Optik erinnert doch ziemlich stark an Zivilschutz-Merkblätter. Bleibt zu hoffen, dass am 18. Juni dieser Zivilschutz die fossilen Krachmacher daran hindert, noch mehr Schaden anzurichten. (cs)

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