work-Interview mit Zuger Langzeit-Gewerkschaftern aus der Industrie

«Sind diese zwei Figuren da nicht zu gefährlich?»

Ruedi Amrein (70) und Daniel Weber (68) bringen es zusammen auf fast 100 Jahre beim Elektrokonzern Landis & Gyr. Sie ­erlebten Übernahmen, Kahlschläge und das Zusammenspannen von Arbeitern und Angestellten. Jetzt blicken sie zurück.

GEMEINSAM DURCH DICK UND DÜNN: Gewerkschafter Ruedi Amrein (l.) und Dani Weber blicken zurück auf viele Jahre gemeinsamer Arbeitskämpfe, zahlreiche Erfolge, und einige Widersprüche. (Foto: Michael Schoch)

Ruedi Amrein und Daniel Weber arbeiteten als Industriearbeiter zusammengerechnet 96 Jahre beim Zuger Elektroindustrie-Konzern Landis & Gyr (L & G), gehörten zusammengerechnet 57 Jahre der Personalvertretung an und sind seit 1971 Gewerkschafter.

Beide haben Elektro-Eicher gelernt. Beide kommen aus Gewerkschafterfamilien. Amrein aus Erstfeld UR, Weber aus Gossau SG. ­Amrein arbeitete von 1969 bis 2017 bei L & G, Weber von 1971 bis 2018. Neben dem Wechsel vom mechanischen zum elektronischen Zähler haben sie nach dem Verkauf der L & G an Stephan Schmidheiny im Jahre 1987 vier weitere Besitzerwechsel erlebt.

«Ruedi war von uns beiden eher der Denker, ich war der Macher.»

Beide traten sie 1971 in den Smuv ein, eine Vorgängergewerkschaft der Unia. Amrein und Weber gehörten ab den 1980er Jahren der Betriebskommission der Arbeiter (BK) an und ab 1988 der gemeinsamen Arbeitnehmervertretung (ANV) von Arbeitern und Angestellten. Weber war während 20 Jahren ihr Präsident. Eine gemeinsame Vertretung von Arbeitern und Angestellten war damals etwas Aussergewöhnliches.

work: Wie wurden Sie aktive Gewerkschafter?

Weber: Es gab eine Betriebsgruppe, und dort machte ich von Anfang an mit. 1982 wurde ich in die Betriebskommission gewählt, nachdem Ruedi und ich die Frechheit hatten, uns in der Betriebsgruppe selber ins Spiel zu bringen. Als die Betriebsleitung von unserer Kandidatur erfuhr, musste ein Smuv-Vertreter beim Personaldirektor antraben. Dieser fragte: Sind die zwei Figuren da nicht zu gefährlich? In der BK gehörte ich der Subkommission Sozialpläne an. Wie wichtig diese wurde, zeigt der Abbau von 2000 Arbeitsplätzen in den 1990er Jahren.

Amrein: Als ich als Jungarbeiter für die Betriebsgruppe gewonnen wurde, merkte man den Widerspruch der damaligen Smuv-Leute. Einerseits wollten sie junge Mitglieder gewinnen, andererseits befürchteten sie, es könnte sich um neulinke Rebellen handeln. Der Smuv Zug hatte 1970 die Schwarzenbach-Initiative unterstützt und die Ja-Parole auch in der kantonalen SP-Sektion durchgesetzt. In die Betriebskommission wurde ich 1986 gewählt. Hier trat ich den Subkommissionen Arbeitszeit und allgemeine vertragliche Bestimmungen bei. Die brisanteste Frage war in den Zeiten hoher Inflation die des Teuerungsausgleichs.

Wie kam die Betriebskommission zustande?

Weber: Sie wurde demokratisch gewählt im Proporz. Es gab zwei Listen: Smuv und CVM, der Christliche Metallarbeiterverband.

Amrein: Das Resultat war meistens 7 : 6 oder 6 : 7. Die Mehrheit stellte den Präsidenten, die Minderheit den Vizepräsidenten. Seit 1986 hatte der Smuv und später die Unia die Mehrheit, deshalb war Dani zwanzig Jahre lang Präsident.

Wie lief die Zusammenarbeit von Smuv und CMV?

Weber: Die lief ganz gut. Vor den Verhandlungen mit der Direktion gab es gemeinsame Sitzungen. Wir nannten sie Sibkus: Sitzung Betriebskommission unter sich.

Amrein: Wir junge Smuvler verstanden uns besser mit dem CMV, auch weil sein Kopf ein kämpferischer Christlichsozialer war. Er hatte sich bereits 1976 mehr für Bruno Bollinger eingesetzt als der Smuv selber. ­Industriearbeiter Bollinger wurde von L & G entlassen, nachdem er als Vertreter der «Revolutionären Marxistischen Liga» (RML) gegen den damaligen L & G-Boss Andreas Brunner (FDP) für den Nationalrat kandidiert hatte.

Wie kam es zur Fusion der Betriebskommission der Arbeiter mit der Personalvertretung der Angestellten?

Weber: Gleichzeitig mit mir wurde auch in der Personalvertretung (PV) ein neuer und linkerer Präsident gewählt. Er war im Einkauf tätig, hatte aber in der Werkstatt begonnen. Hie und da brachte er mir einen Artikel aus der Smuv-Zeitung: «Lueg mal, cheibe guet.» Ich fragte mich: Woher hat er die Zeitung? Warum fehlt immer die Adresse? Ich fragte bei der Smuv-Zentrale mal an, und diese bestätigte ihn als Mitglied der Gewerkschaft. Ich teilte ihm dies mit, er musste lachen. Irgendwann ergriff er die Initiative: «Arbeiten wir doch enger zusammen! Wir haben schliesslich das gleiche Ziel!» Wir beide gleisten auf, dass es zu gemeinsamen Sitzungen mit der Geschäftsleitung kam. Zuerst ein Teil mit der BK, dann ein gemeinsamer Teil, dann einer mit der PV.

Amrein: Dann wurde der Sibkus ausgeweitet. Wir machten als BK und PV gemeinsame Sitzungen vor den Treffen mit der GL. Diese wurden von gemeinsamen Subkommissionen vorbereitet. So wurde die Zeit reif für eine gemeinsame und einzige Kommission. Aus BK und PV wurde die ANV, die Arbeitnehmervertretung. Auch diese wurde von der Belegschaft demokratisch gewählt.

Im Schmidheiny-Jahrzehnt kam es zur Divisionalisierung des Betriebs. Was bedeutete das für die junge ANV?

Weber: Dann gab es sechs verschiedene ANV. Die Tatsache, dass wir uns vorher zusammengeschlossen hatten, hatte drei grosse Vorteile. Es waren nicht 12 Vertretungen. Es gab bereits die Errungenschaft, dass Arbeiter und Angestellte zusammenspannten. Und die sechs ANV der sechs Betriebe setzten sich regelmässig zusammen. Wir haben eine Koordinationsstelle geschaffen, die ich als Präsident der ANV L & G geleitet habe. Für wichtige Fragen haben wir gemeinsame überbetriebliche Subkommissionen geschaffen, zum Beispiel für Lohnfragen oder Arbeitszeit.

Welche Folgen hatte der nationale Widerspruch zwischen der Unia für Mindestlohn der schlecht Entlöhnten und der Angestellten Schweiz für Work-Life-Balance der besser Entlöhnten?

Amrein: Wir konnten uns in der Subkommission und in der ANV mit unseren Lohnforderungen durchsetzen. Als Teilnehmer der Unia-Industriekonferenz war ich gut informiert, was ein Vorteil war.

Weber: Es war wichtig, dass Ruedi viel Geduld hatte. Noch wichtiger war, dass ein Teil der Angestellten sehr wohl Verständnis hatte für schlechter Entlöhnte.

Amrein: Es gab auch objektiv eine Annäherung. Angestellte verloren gewisse Privilegien. Zum Beispiel waren anfänglich nur die Werkstätten von Personalabbau betroffen, mit der Zeit traf es auch die Verwaltung.

Weber: Dann gab es gemeinsame Erfolge. In der Schmidheiny-Ära fand in einer Lohnfrage keine Einigung statt. Wir verlangten 6,2 Prozent, das Unternehmen wollte uns weniger geben. Dass die beiden Hauptvertreter der Arbeiter und der Angestellten im Schlichtungsverfahren gemeinsam auftraten, hatte starke Wirkung. Am Schluss gab uns der Schlichter, der ehemalige Biga-Direktor Jean-Pierre Bonny, recht.

Wie wichtig war Ihre eigene Zusammenarbeit?

Amrein: Wir hatten eine Arbeitsteilung, ich war der härtere und konnte so für Dani produktiv sein. Andererseits gab mir Dani immer Rückendeckung. Aufgrund des langen gemeinsamen Weges konnten wir uns völlig vertrauen.

Weber: Ruedi erfasste besser die Zusammenhänge, ich legte sie dann dar. Ruedi war eher der Denker, ich war eher der Macher.

Amrein: Unsere Zusammenarbeit war auch wichtig, weil die Leute uns als Tandem vertrauten.

*Josef Lang ist Historiker und ehemaliger Grünen-Nationalrat. Für den Unia-Sektor Industrie hat er eine Werkstattreihe bestritten über die Geschichte der Industrialisierung, der Gewerkschaften, der Streikwellen, der Gesamtarbeitsverträge, der Frauen- und Migrationsfragen und der Personalkommis­sionen. Da es zu den letzteren kaum Literatur gab, befragte Lang dazu die beiden erfahrenen Gewerkschafter Amrein und Weber. Das Interview erschien zuerst im linksalternativen Zuger Politmagazin «Bulletin». work druckt eine leicht gekürzte Version ab.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.