Ständeratswahlen St. Gallen: SP-Frau Barbara Gysi vs. SVP-Frau Esther Friedli

Blochers treue Soldatin

Jonas Komposch

Mit Gewerkschafter Paul ­Rechsteiner hatte St. Gallen einen der fortschrittlichsten Ständeräte überhaupt. Jetzt droht die Kehrtwende. Wie, zeigt ein SVP-Anlass in der äussersten Ostschweiz.

NEUES SÜNNELI AM SVP-HIMMEL: Ständeratskandidatin Esther Friedli gilt als das ­freundliche Gesicht der SVP. Doch an einem Wahlkampfanlass in Widnau SG (kleines Bild unten) musste sie sich jetzt als echte Parteisoldatin beweisen. (Foto: Keystone)

Ein kahler Security gestikuliert zur Schwyzerörgeli-Formation auf der Bühne. «Nomol eine!» gibt er zu verstehen. Und schon hauen die «Hendermoos Bueba» wieder in die Tasten. Schliesslich sind die Ehrengäste noch nicht parat, der Saal aber schon rappelvoll. An die 500 Stühle sind besetzt, Grauhaarige dominieren. Aber auch Familien sind da und Gruppen junger Erwachsener. Ein strammer Bursche im Edelweiss­hömmli bringt Bier. Freude herrscht. Und Spannung. Denn jeden Moment muss er kommen: «De Christoph», wie die meisten hier sagen, oder «Herr Altbundesrat Doktor Blocher». Gemeint ist derselbe, der Übervater und nach wie vor unbestrittene Führer der Schweizerischen Volkspartei. Er ist der Stargast am heutigen Abend. Seinetwegen stauen sich vor dem Hotel Metropol in Widnau SG Porsche Cayenne, VW Golf und Subaru Impresa. Dabei geht es gar nicht um den 82jährigen Multimilliardär, sondern um ­Esther Friedli (45), zumindest offiziell.

SVP-Wahlkampfanlass in Widnau SG. (Foto: ZVG)

TONI BRUNNERS REVANCHE

Die SVP-Programmchefin will nämlich vom National- in den Ständerat wechseln. Und damit jenen Sitz erobern, den der langjährige Gewerkschaftsbundschef Paul Rechsteiner 2011 in einer Sensationswahl der CVP abgerungen hat. Den Kürzeren zog damals, zum zweiten Mal, SVP-Präsident Toni Brunner. Nun ist Rechsteiner nach 36 Parlamentsjahren zurückgetreten. Und Brunner wittert eine Chance auf ­Revanche. Richten soll’s diesmal seine langjährige Lebenspartnerin – Esther Friedli. Die gebürtige Bernerin steht hoch im Kurs. Schon im ersten Wahlgang am 12. März stimmten 44 Prozent für sie. Die Zweitplazierte Susanne Vincenz-Stauffacher (FDP) erreichte nicht halb so viele Stimmen. Je gut 17 Prozent staubten die Nationalrätinnen Barbara Gysi (SP) und Franziska Ryser (Grüne) ab. Nun kommt es am 30. April zum Duell. Gysi gegen Friedli, links ­gegen rechts. Für die lohnabhängigen Wahlberechtigten eigentlich ein klarer Fall: Da ist einmal Barbara Gysi, ausgebildete Lehrerin und Sozialarbeiterin, ehemalige Vizestadtpräsidentin von Wil und seit 2012 Präsidentin des St. Galler Gewerkschaftsbunds. Und da ist Esther Friedli.

Friedli stimmte zuletzt gegen eine 13. AHV-Rente und für die Aushebelung von kantonalen Mindestlöhnen.

HARTRECHTE EX-CVPLERIN

Die studierte Politologin ist heute PR-Beraterin (u. a. von Roger Köppel) und Lobbyistin (u. a. für den Wirteverband). Lieber aber präsentiert sie sich als Toggenburger Bäuerin und Gastronomin. Im Parlament jedenfalls vertritt die bekehrte Ex-CVPlerin zuverlässig die Interessen der Reichen und Mächtigen. So stimmte sie zuletzt für die Aushebelung kantonaler Mindestlöhne, für Steuergeschenke an Schifffahrtskonzerne und für den leichteren Rauswurf von Mietenden bei «Eigenbedarf». Gleichzeitig war Friedli gegen eine Deckelung der Krankenkassenprämien, gegen die Pflegeinitiative, gegen eine
13. AHV-Rente und sogar gegen den AHV-Teuerungsausgleich. Trotzdem geht sie als klare Favoritin ins Rennen. Denn nicht nur die FDP weibelt für sie, auch der mächtige Bauernverband von Mitte-Mann Markus Ritter tut es. Der erste Applaus gilt trotzdem nicht ihr, sondern «Christoph», der jetzt den Saal betritt.

«EIFACH GEIL»

Unzählige Handys schiessen in die Höhe, wie an einem Pop-Konzert. Und schon schreitet der zweite Promi herein. Ueli Maurer! Er begrüsst uns mit einem grellen Jauchzer. «Eifach geil!» ruft die Sitznachbarin links vom work-Reporter. Die offensichtlich gut betuchte Mittvierzigerin ist mit ihrem Partner gekommen, Typ Businessman. Auch seine Augen leuchten. Die Dame rechterhand dagegen findet Maurer «eher schräg». Sie sei wegen Blocher hier. Aber auch, weil sie als Witwe und Rentnerin einsam sei. Und Italienerin sei sie ja auch noch, «aber im Rheintal geboren!». Schon ihre Eltern hätten hier in einer Fabrik gearbeitet, doch als Pensionierte wieder nach Italien zurückmüssen. «Weil ihre Rente zu tief war für die Schweiz.»

Dann tritt Roland Büchel auf die Bühne. Der Nationalrat aus dem nahen Altstätten dankt der Presse «schon jetzt für eine positive Berichterstattung». Als Witz ist es nicht gemeint, die Leute lachen trotzdem. Und schon übernimmt Moderator Mihajlo Mrakic. «Michi wie viel?!» entfährt es der Sitznachbarin linkerhand. «De Jugo vo der FDP», erklärt ihr Mann. Tatsächlich war der 21jährige Sohn bosnisch-serbischer Einwanderer lange der Hoffnungsträger des St. Galler Freisinns. Doch letzten Fe­bruar lief er zur Sünneli-Partei über – und macht seither steile Karriere. «Liebi SVP-Familie», fängt er an, reisst ein paar Altherrenwitze und ruft endlich Friedli auf die Bühne.

HETZE IST TRUMPF

Ihre Rede ist abgelesen und alles andere als ein Feuerwerk, aber solid. Und vor allem kurz. Friedli weiss, dass sie bloss die zweite Geige spielt, höchstens. Was für sie heute zählt, ist allein der Vertrauensaufbau. Denn die PR-Frau hat sich bisher erfolgreich als freundliches Gesicht der Partei verkauft, ja sogar als «moderate» SVPlerin. Dem Publikum in Widnau dagegen muss sie zeigen, dass sie tatsächlich eine treue Parteisoldatin ist. Also spricht sie von «Liebe zur Heimat», von der «Unterjochung unter die EU» oder vom «Regulierungswahn» gegen Bürger und Firmen. Der Saal klatscht brav. Dann endlich kommt der Zeremonienmeister aus Herrliberg.

Schon sein «Liebi Fraue und Manne» bringt die Fans in Fahrt. Und er legt los: Ob verstopfte Strassen, überfüllte Spitäler oder teure Mieten – schuld seien «Ausländer» und «Flüchtlinge». «Jawohl!» und «genau!» kommentiert’s aus der Menge. «Verdammti Sauerei!» ruft sogar die Sitznachbarin links. Die italienische Rentnerin dagegen weint – auch dann noch, als schon Ueli Maurer weiterhetzt. «Bei uns kann ja jeder kommen!» behauptet er. Oder dass über die Ostgrenze gar «keine echten Flüchtlinge» kämen, sondern Migranten, die Teil «krimineller Organisationen» seien. Das Thema zieht wie kein zweites. Der Saal kocht, Riesenapplaus, klirrende Bierflaschen. Kurz vor Schluss darf Friedli nochmals kurz ran. Sie versichert: «Dieses Themas werde ich mich sehr explizit annehmen.» Man ist zufrieden. Der Apéro ist eröffnet.

3 Kommentare

  1. Peter Bitterli

    30.04.2023:
    Was für ein jämmerliches Resultat für Rechsteiners treue Bürokratin. 🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣

    • Liam Hersche

      Früher hab ich die SP gewählt weil sie meine Interessen als Arbeitnehmer vertreten hat. Mittlerweile scheint die Linke sich nur noch für Gendersterne, Unisex-Toiletten, vegane Kitas und das Klima zu interessieren. Nebenbei klagt man noch ein bisschen über hohe Mieten, was nur eine Folge des knappen Angebots bzw. eher der stark gestiegenen Nachfrage wegen Bevölkerungswachstum (vor allem anorganischem) ist.

      Ich habe die Friedli gewählt. Hat mir irgendwie weh getan. War das erste mal das ich SVP gewählt habe. Aber wenn ich als Arbeitnehmer aus der Mittelschicht von der SP nicht mehr vertreten fühle (und ich scheine nicht der einzuge zu sein, wenn man sich das miserable Resultat von Gysi anschaut), dann sollte man statt sich in einem Artikel über Friedli lächerlich zu machen besser darüber schreiben, was bei der SP falsch läuft, dass ihr ihre Stammwählerschaft davon läuft.

      • Peter Bitterli

        Fehleranalyse? Dazu werden die Genossen nie und nimmer bereit oder auch nur in der Lage sein. Und wenn allenfalls die Partei doch damit beginnen sollte, weil es anders einfach nicht mehr geht, so würde doch die Unia noch einmal Beton anmischen, um ihre Position zuzubunkern. Zur Not auch ohne ein einziges Mitglied.

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