Streiks in Grossbritannien  Für einen Lohn, der mit der Teuerung Schritt hält

Regierung muss Streikwogen glätten

Peter Stäuber, London

Neun Monate dauert die britische Streikwelle schon an, und es gibt kaum Anzeichen, dass den Gewerkschaften die Luft ausgeht.

BEZAHLT! Eine halbe Million Streikende am 15. März. (Foto: Getty)

Am 15. März ging das öffentliche Leben in Grossbritannien nur stockend voran. Die meisten Schulen waren geschlossen, an den Flughäfen waren die Schlangen vor der Zollkontrolle länger als üblich, die Spitäler mussten mit weniger Ärztinnen und Ärzten auskommen. In London fuhr keine U-Bahn. Rund eine halbe Million öffentliche Angestellte hatten an diesem Tag die Arbeit niedergelegt. In vielen Städten zogen Streikende in Protestmärschen durch die Strassen. Es war einer der grössten Streiktage seit Jahrzehnten.

Nachdem die britische Streikwelle schon seit neun Monaten angedauert hat, können die Gewerkschaften jetzt die ersten Erfolge vorweisen: Nach monatelangem Abblocken hat sich die Regierung im März erstmals zähneknirschend an den Verhandlungstisch gesetzt.

10 PROZENT INFLATION

Bei den Arbeitskämpfen geht es vor allem um Lohn: Die Arbeitenden fordern eine Bezahlung, die mit der Inflation Schritt hält. Laut neusten Zahlen liegt die ­Teuerung weiterhin bei über 10 Prozent; die von der Regierung offerierten Lohnerhöhungen bleiben weit darunter. Monatelang teilte die Regierung den Streikenden mit: Es sei kein Geld da, Lohnverhandlungen werde es keine geben.

Und dann gab es sie plötzlich doch – zumindest im Gesundheitssektor. Die Pfleger und Rettungssanitäterinnen des staatlichen Gesundheitsdienstes NHS waren im Winter zur Streik­bewegung gestossen, zum ersten Mal seit Jahrzehnten hatten sie die Arbeit niedergelegt. Anders als es sich die Regierung wohl erhofft hatte, genossen die NHS-Mitarbeitenden die breite Unterstützung der Bevölkerung. Diese ist sich nur allzu bewusst, wie prekär der Zustand des Gesundheitsdienstes ist. Der Slogan «Streiken, um den NHS zu retten», löste ein grosses Echo aus.

ERSTE VERHANDLUNGEN

Am Ende sah wohl die Regierung ein, dass sie die Konfrontation nicht gewinnen würde. Anfang März liess sie sich auf Lohnverhandlungen ein, zwei Wochen später gab es eine Einigung: Die NHS-Mitarbeitenden werden fürs letzte Jahr einen einmaligen Bonus von mindestens 1250 Pfund erhalten, dann ab April eine Lohnerhöhung von 5 Prozent. Die Gewerkschaften feierten den Deal als Sieg. Aber es gibt viele Stimmen innerhalb der Basis, die das Angebot für zu schmürzelig halten. Denn es bleibt weit hinter der Inflation zurück. Die Gewerkschaftsmitglieder werden in den kommenden Wochen darüber abstimmen, ob sie das Angebot annehmen – oder ob sie die Streiks fortsetzen werden.

Auch die rund 40 000 Eisenbahnerinnen und Ei­sen­bahner der Gewerkschaft RMT, die die Streikwelle im vergangenen Juni anstiessen, haben einen Durchbruch erzielt: sie sind derzeit in Gesprächen mit ihren Chefs. Die geplanten Streiks vom 30. März und 1. April sind vorerst suspendiert. Die RMT zeigt sich hoffnungsvoll, dass der Disput endlich ein Ende finden könnte.

Schreibe einen Kommentar

Bitte fülle alle mit * gekennzeichneten Felder aus.