Urteil in Genf: Temporär-Obergrenze auf den Baustellen bleibt
Meilenstein gegen Exzesse im Bau-Personalverleih!

Das Genfer Verfassungsgericht lässt die Temporärindustrie abblitzen. Die kantonale 20-Prozent-Obergrenze für Temporäre auf öffentlichen Baustellen ist rechtens.

HEUTE GEBÜEZT, MORGEN GEKÜNDIGT: Möglichst billig wollen die Firmen ihre Arbeitskräfte haben – und sie möglichst schnell wieder entlassen können. (Foto: iStock)

Gute Neuigkeiten für Bauarbeiter in Genf! Der Kanton drückt aufs Gas bei der Beschränkung der Temporärarbeit auf dem Bau. Das kantonale Verfassungsgericht hat nämlich am 16. Fe­bruar mehrere Rekurse von Temporärfirmen und ihrem Branchenverband Swissstaffing abgewiesen. Diese hatten im Mai letzten Jahres gegen eine von der Genfer Regierung vorgelegte und vom Kan­tonsparlament genehmigte Gesetzesänderung geklagt. Das neue Gesetz bringt zwei starke und schweizweit einmalige Massnahmen: Zum einen wird der Einsatz von Temporär­arbeitenden auf Baustellen der öffentlichen Hand begrenzt – auf maximal 20 Prozent pro Unternehmen auf derselben Baustelle. Zum anderen werden die Generalunternehmer stärker in die Verantwortung genommen. Sie müssen neu regelmässig und bis zum Bauabschluss kontrollieren, wie viele Temporärangestellte eingesetzt werden.

Temporäre haben ein höheres Unfallrisiko und tiefere Renten…

TEMPORÄRFIRMEN TROTZEN

Das passt den Personalverleihern gar nicht. Sie sehen die Wirtschaftsfreiheit verletzt. Nun schafft das Genfer Verfassungsgericht Klarheit: Die Begrenzung der Temporärarbeit sei zwar tatsächlich eine Einschränkung der Wirtschaftsfreiheit, aber eine durchaus legitime und verfassungsmässige. Denn es handle sich um eine sozialpolitische Massnahme im öffentlichen Interesse. Explizites Ziel von Regierung und Parlament war es denn auch, die negativen Auswirkungen der Temporärarbeit einzudämmen. Insbesondere das erwiesenermassen höhere Unfallrisiko bei Temporären und die schlechteren Rentenleistungen in der beruflichen Vorsorge bewogen die Regierung zum Handeln.

…das brachte die Regierung zum Handeln.

«HIRE AND FIRE» NIMMT ZU

Die Temporärfirmen könnten das Urteil noch ans Bundesgericht weiterziehen. Ob es dazu kommt, sei jedoch noch nicht beschlossen, heisst es auf Anfrage bei Swissstaffing. Ein ermutigendes Signal ist das Urteil so oder so. Denn eine Temporär-Obergrenze gehört seit Jahren zu den Forderungen der Unia-Bauarbeiterparlamente. Kein Wunder. Heute arbeitet jede und jeder vierte Temporärangestellte in der Schweiz auf dem Bau. 10 Prozent der im Bauhauptgewerbe Beschäftigten sind temporär angestellt. Sogar auf bis zu 20 Prozent steigt der Anteil in der Hochsaison. So zumindest hat es der Schweizerische Gewerkschaftsbund errechnet. «Nur» halb so hoch sind die Zahlen laut dem Schweizerischen Baumeisterverband.

Weiterer Genfer Erfolg: Mehr Macht für Baustellen-Kontrolleure

Nicht nur bei der Eindämmung der Temporär­arbeit macht Genf vorwärts. Das Kantonsparlament hat am 3. März schweizweit Einmaliges beschlossen – und zwar einstimmig: Künftig dürfen Baustellen-Kontrolleurinnen und ­-Kontrolleure eine Baustelle sofort schliessen, wenn bei ihr Schwarzarbeit, Lohndumping oder krasse GAV-Verstösse entdeckt werden.

POLIZEIHILFE. Auch wenn sich Firmen einer Kontrolle entziehen, kann die ganze Baustelle geschlossen werden – wenn nötig mit Hilfe der Polizei. Freigegeben wird eine Baustelle erst wieder, wenn Verträge und Gesetze respektiert werden. Der Beschluss gilt für öffentliche wie private Baustellen und wird von allen Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden unterstützt. (jok)

Sicher ist: Branchenübergreifend hat sich der Temporäranteil seit den 1990er Jahren mehr als verfünffacht. Und auf dem Bau ist der Anteil um ein Vielfaches höher als in der Gesamtwirtschaft. Dabei geht es den Firmen immer weniger darum, saisonale Spitzen abzudecken. Vielmehr wollen sie über Arbeitskräfte verfügen, die vergleichsweise billig sind und rasch wieder entlassen werden können. Und immer wieder werden ältere Festangestellte entlassen, um sie am nächsten Tag zu schlechteren Bedingungen wieder temporär einzustellen.

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