52 Mitarbeitende des Messgeräteherstellers Rüeger SA in Crissier VD stehen vor dem Nichts – wegen einer Produktionsverlagerung. Noch 2019 behauptete der Rüeger-Chef: «Es gibt null Restrukturierungen!»
MIESES SPIEL: Die Präzisionsgeräte aus ihrer Fabrik in Crissier VD waren der ganze Stolz der Rüeger-Arbeitenden. Jetzt wird das Werk geschlossen – und ins Ausland verschoben. (Fotos: Rüeger, ZVG / Montage: work)
Hochdruck-Manometer, Bimetall-Thermometer und thermoelektrische Gas-Sensoren – das sind die Verkaufsschlager der Rüeger SA. Seit 1942 produziert die Firma in Crissier VD bei Lausanne Präzisionsmessgeräte für den industriellen Gebrauch. Wegen ihrer Spitzenqualität werden die Rüeger-Produkte aus der ganzen Welt bestellt. Klar, sind sie der ganze Stolz der Belegschaft.
58 Frauen und Männer arbeiten im Waadtländer Werk. Noch. Denn Ende Februar wurde ihnen beschieden: Die komplette Produktion werde nach Baesweiler bei Köln verschoben. Schon im September soll der Umzug beginnen. In Crissier dürften nur die sechs Verkaufsangestellten bleiben. So entschieden es die Manager des US-Konzerns Ashcroft, der wiederum zum japanischen Messgeräteriesen Nagano Keiki gehört und der sich Rüeger erst 2019 einverleibt hatte.
Der Ex-Inhaber und bisherige Economiesuisse- Vizepräsident,…
BERÜHMTER PATRON
Ausserdem beschlossen die Ashcroft-Oberen: Wer weiterhin bei Rüeger arbeiten wolle, müsse eine Änderungskündigung unterzeichnen – und nach Nordrhein-Westfalen zügeln! Dort, in 700 Kilometern Entfernung, warte auf das Waadtländer Team Weiterbeschäftigung. Dies allerdings zu «angepassten Bedingungen» wie es in einem Firmenrundbrief heisst, darunter «hauptsächlich Lohnreduktionen». Ein absurdes Angebot! Zumal es noch 2019 ganz anders tönte.
SCHWERGEWICHT: Ex-Inhaber Bernard Rüeger. (Foto: PD)
Damals war Rüeger noch in Familienbesitz. Patron Bernard Rüeger (65) führte die Firma in dritter Generation – und erhielt dafür viel Lob. Er sei sogar «das Gesicht der Wirtschaft in der Romandie», rühmte die Zeitung «Le Temps». Tatsächlich war und ist Rüeger ein wirtschaftspolitisches Schwergewicht. Bei der Waadtländer Industrie- und Handelskammer war er 12 Jahre lang Präsident, beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse bis vor kurzem Vizepräsident, bei der Coop-Gruppe sitzt er seit Jahren im Verwaltungsrat, ebenso beim Krankenversicherer CSS, wo er demnächst zum Präsidenten aufsteigen soll. Im Mai 2019 aber hatte der Vielbeschäftigte genug. Er verkaufte seine Traditionsfirma an die amerikanische Konkurrenz. Dieser Schritt sei nötig gewesen, «um das Wachstum von Rüeger fortzusetzen», erklärte er damals. Überhaupt gab sich «das Gesicht der Wirtschaft» alle Mühe, die Öffentlichkeit zu besänftigen.
…wiegte die Belegschaft bei seinem Abgang noch in Sicherheit.
BITTERES ABSCHIEDSGESCHENK
In etlichen Interviews versuchte Rüeger, den Verkauf als harmlos darzustellen. So habe er als «Abschiedsgeschenk» sogar noch eine neue Produktionslinie installieren lassen. Und diese Linie sei «derart ausgeklügelt», dass es «undenkbar» sei, «dass sie verlegt werden könnte». Und in der Zeitung «24 heures» behauptete Rüeger sogar: «In der Schweiz wird es null Restrukturierungen geben.» Noch bis Mai 2020 stand der Ex-Chef den neuen Besitzern als Berater zur Seite. Nur drei weitere Jahre – und schon ist das «Undenkbare» Realität.
Und wie! Am 7. März ging die Konsultationsphase, wie sie bei Betriebsschliessungen obligatorisch ist, zu Ende. Dazu Unia-Sekretär Abedslam Landry: «Die Belegschaft hatte Rettungspläne ausgearbeitet und einen Sozialplan skizziert. Doch die Direktion hat beides abgelehnt!» Das Problem: In der Rüeger-Belegschaft gibt es kaum Gewerkschaftsmitglieder. Auch hatten die Betroffenen weder die Unia noch eine andere Gewerkschaft mit der Wahrung ihrer Interessen mandatiert. Sondern den Alleingang versucht. Ohne Erfolg, wie sich jetzt zeigt.
Unia-Mann Landry gibt aber nicht auf: «Ich werde die Leute erneut kontaktieren. Denn wer sich mit Konzernen anlegt, braucht eine starke Gewerkschaft im Rücken.»