Berufsbildung: Melanie Mühl (19) muss wieder bei null anfangen
«Damit ich gesund werden kann, musste ich meine Lehre abbrechen»

Im zweiten Lehrjahr musste Melanie Mühl (19) ihr Lehrverhältnis auflösen. Der Druck im Betrieb wurde ihr zu gross, das Verständnis für ihre Krankheit zu klein.

NOTBREMSE: Die Lehre als Gebäudetechnikplanerin Heizung hat Melanie Mühl gefallen. Aber: «Der Umgang mit den Lernenden war unfair.» (Foto: Matthias Luggen)

«Ich war schon fast in der Hälfte meiner Lehre, aber ich wusste: jetzt muss ich für mich selber einstehen!» Melanie Mühl aus Egerkingen SO hat letzten Sommer ihre Lehre als Gebäudetechnikplanerin Heizung abgebrochen. Der Grund: Ihr Arbeitgeber hatte wenig Verständnis für die Krankheit der 19jährigen.

Im Frühling letzten Jahres hat Melanie Mühl das obligatorische Baupraktikum absolviert, welches Teil der Lehre als Gebäudetechnikplanerin Heizung ist. In dieser Zeit wurde die Lernende krank. Im Betrieb ging sie damit offen um, ihrer Chefin hat sie die Belastung geschildert. «Ich hatte das Gefühl, dass ich vertrauen kann. Dass meine Offenheit gegen mich verwendet wurde, kam für mich aus dem Nichts.» Mühl wurde für zwei Wochen krank geschrieben. In dieser Zeit erhielt sie von ihrem Lehrbetrieb einen Brief mit Anschuldigungen.

«Meine Offenheit ist gegen mich verwendet worden.»

ENORMER DRUCK

«Ich war zu diesem Zeitpunkt bereits gesundheitlich angeschlagen, der Brief hat mich zusätzlich belastet», sagt Mühl. Denn der Inhalt hat es in sich: Zwar wird ihr die Unterstützung durch den Betrieb angeboten, doch der Rest des Schreibens klingt weniger danach. Der Betrieb listete auf, was Mühl alles nicht erfülle und wo ihre Schwächen seien. Darauf folgten in sechs Punkten Forderungen, die Mühl innert eines Monats erfüllen müsse. «Die Schulnoten sind zu verbessern», steht unter anderem ermahnend. Oder «die Konzentration wird über längere Zeit gehalten». Obwohl ihre Ausbilder wussten, dass Konzentrationsschwäche zum Krankheitsbild der 19jährigen gehört.

Das Schreiben endet damit, dass der Betrieb das Lehrverhältnis auflöse, falls Mühl die aufgelisteten Erwartungen nicht erfülle. Ein herber Schlag für die engagierte Lernende.

Melanie Mühl fühlte sich unter enormen Druck gesetzt: «In diesem Moment wurde mir klar: Damit ich gesund werden kann, muss ich jetzt auf mich selbst schauen und die Lehre als Gebäudetechnikplanerin abbrechen.» Dafür holte sie sich Unterstützung beim Solothurner Unia-Jugendsekretär Avni Ibrahimi. Dieser sagt: «Ich versuchte, das Bestmögliche für sie herauszuholen. Leider waren die Vorwürfe zu massiv und der Ausfall am Arbeitsplatz zu gross, um eine Fortsetzung des Lehrverhältnisses zu ­erhalten.» Der Gewerkschafts­sekretär unterstützt Mühl jetzt in der Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft.

Bereits vor ihrer Erkrankung war Mühl zunehmend unzufrieden mit ihrer Ausbildung: «Der ­Beruf hat mir gefallen, aber der Umgang mit den Lernenden war unfair.» Zum Beispiel haben sich die Mitarbeitenden wenig Zeit genommen, um neue Aufgaben detailliert zu erklären. Weil sie selbst unter Zeitdruck standen, war die Geduld schnell am Ende.

Auch die Zahlen des Bundesamts für Statistik widerspiegeln die Unzufriedenheit von Lernenden. Es gab noch nie so viele Lehrabbrüche und Lehrvertragsauflösungen wie im Jahr 2022. Bei einer Vertragsauflösung können die ­Lernenden ihre Ausbildung im Prinzip in einem neuen Betrieb weiterführen. Der Lehrabbruch hingegen bedeutet, dass man aus der beruflichen Grundbildung aussteigt.

GROSSE TRÄUME

Nach dem Lehrabbruch muss Mühl jetzt von null anfangen und sich wieder mit ihrer Berufswahl auseinandersetzen. «Damals als Teenager war ich mit der Berufswahl überfordert. Ich wusste nicht genau, was mir wirklich gefällt», sagt sie. Für den Beruf als Gebäudetechnikplanerin entschied sie sich, weil sie die Fächer Mathematik und Physik mag. Auch ihre Eltern hatten Einfluss auf die Berufswahl. Jetzt will sie das machen, was ihr wirklich gefällt.

Sie hat sich entschieden, die Fachmittelschule zu besuchen, um später einmal Lehrerin zu werden. «Ich lerne gerne und interessiere mich für vieles, das will ich Kindern in der Unterstufe weitergeben», sagt sie. Dafür büffelt Mühl fleissig, denn im März stehen bereits die Aufnahmeprüfungen bevor.

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