work-Wissen

Wie viele Flüchtende sind schon in der Sahara verdurstet?

Ralph Hug

Den Reichen stehen alle Grenzen offen. Arme Migrierende hingegen treffen auf Zäune, Grenzpolizei und Tod.

TÖDLICHE ABSCHOTTUNG: Der Migrationsatlas zeigt, wie viele Geflüchtete seit 2014 auf den Migrationsrouten weltweit verschwunden sind. Im Mittelmeer forderte das brutale EU-Grenzregime fast 25’000 Menschenleben.

Den Blick auf die Migration verändern: Das will der neue «Atlas der Migration» der Rosa-Luxemburg-Stiftung, einer wichtigen Institution der Linken im deutschsprachigen Raum. Der Atlas wurde soeben neu erstellt und erweitert. Wer Migration und Menschen auf der Flucht über blosse Schlagworte hinaus verstehen will, ist mit diesem handlichen Kompendium bestens bedient. Mehr noch: Es öffnet die Augen für eine Realität, die wie keine andere politisch verzerrt und missbraucht wird. Zum Schaden der Betroffenen.

32 MILLIONEN VERLIESSEN EUROPA

Viele Grafiken lassen komplizierte Sachverhalte sofort klar werden: So stellt der Atlas klar, dass jede moderne Nation das Ergebnis von wandernden Menschen ist. Ohne Mobilität gäbe es uns nicht. Überraschend: Historisch gesehen kommen nicht etwa aus Afrika die meisten Migrantinnen und Migranten. Sondern aus Europa. 32 Millionen wanderten von 1620 bis 1914 nach Amerika aus. Und am zweitmeisten Menschen – nämlich 22 Millionen in nur hundert Jahren, von 1820 bis 1914 – verliessen China in Richtung Südostasien. Dennoch ist heute die Zahl der Menschen, die ihr Heimatland verlassen, so hoch wie noch nie. Im Jahr 2020 waren es gemäss der Uno 281 Millionen. Nur: Gemessen an der Weltbevölkerung ist diese Zahl immer noch klein. Niemand verlässt sein Zuhause grundlos oder freiwillig. Und oft geht vergessen, dass die Binnenwanderung immer noch die grösste Migrationsbewegung ist. 2020 sind alleine in China 286 Millionen Menschen aus ländlichen Gegenden in die prosperierenden Städte gezogen – auf der Suche nach einem Job und einem besseren Leben.

Migration: Schändliche Schweiz

Über die unwürdige Schweizer Migrationspolitik hat work in der letzten Ausgabe berichtet. Die ­Artikel können Sie online nachlesen:

FESTUNG EUROPA

Es ist wahr, dass die Schweiz weltweit zu den Ländern mit einem hohen Migrationsanteil von über 25 Prozent zählt. Dafür ist aber auch unser Wohlstand gross, den wir wiederum auch den Migrantinnen und Migranten, insbesondere aus Südeuropa, zu verdanken haben. Noch höhere Anteile an Eingewanderten haben aber arabische Länder wie die Emirate am Golf. Dort stösst eine grosse migrantische Arbeiterschicht auf eine einheimische, reiche Minderheit. work hat dies in zahlreichen Artikeln über Katar und die Fussball-WM-Bauten beleuchtet (workzeitung.ch/katar). Wenn es um die Aufnahme von Kriegsgeflüchteten geht, laufen Länder wie Jordanien, Libanon oder die Türkei den europäischen Staaten allemal den Rang ab. Millionen leben dort, meist in desolaten Zeltstädten und ohne Aussicht auf eine baldige Rückkehr in die Heimat.

Deutlich prangert der Atlas die tödliche Abschottungspolitik der EU an. Von 2014 bis 2022 kamen im Mittelmeer fast 25 000 Menschen ums Leben, da ihnen kein anderer Weg offen bleibt, schreibt die Uno. Noch weit mehr – Schätzungen sagen das Doppelte – überleben den Weg aus dem Innern Afrikas durch die Sahara zur Mittelmeerküste nicht. Die Grenzschutzbehörde Frontex baut die Festung Europa immer weiter aus. Sie ist die am stärksten wachsende EU-Behörde, verbraucht inzwischen jährlich 754 Millionen Euro und dehnt ihre Abschreckung weit über Europas Grenzen hin­aus. In Nigeria, dem bevölkerungsreichsten Land Afrikas, baut sie beispielsweise eine spezialisierte Polizeitruppe auf, die verhindern soll, dass überhaupt Menschen nach Norden aufbrechen.

Haben Arme kaum mehr Chancen auf grenzüberschreitende Mobilität, stehen dagegen Vermögenden alle Grenzen offen. Sie können «goldene» Pässe oder Visa kaufen. Zypern und Malta stehen an der Spitze der Länder, die mit solchen fragwürdigen Genehmigungen für Reiche Kasse machen. Aber auch in Österreich oder Lettland gibt’s Aufenthaltsbewilligungen nach Mass – wenn man ein paar Hunderttausender auf den Tisch legen kann. Eine Welt ohne Grenzen existiert nur für die reiche Elite. Für die andern ist die Grenzpolizei zuständig

Atlas der Migration. Neue Daten und Fakten über ­Menschen in Bewegung. Herausgegeben von der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Neuauflage November 2022.
Gratis-Download auf rosalux.de.

1 Kommentar

  1. Beat Hubschmid

    Laut Coca Cola viele.

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