Mit mächtigen Maschinen zieht Alex Hopfgartner tonnenschwere Kabel von Mast zu Mast. Schiefgehen darf dabei nichts. Sonst, sagt er, könne es Tote geben.
ALEX HOPFGARTNER (41) baut bei Wind und Wetter das Schweizer Stromnetz aus. (Fotos: Matthias Luggen)
Wenn er arbeitet, hat Alex Hopfgartner über sich nur den Himmel. Morgens um halb acht trifft er seine Kollegen beim Lagerplatz für Maschinen und Material. Wenn alles bereit ist, geht’s ab zum Strommast, der heute dran ist. «Dann klettere ich hoch», sagt der Chefmonteur. «Wenn’s gutgeht, muss ich nur zum Mittagessen einmal runter, sonst bin ich den ganzen Tag oben.» Dort schraubt er neue Masten für Hochspannungsleitungen zusammen und ersetzt die Stromkabel. Tag für Tag, bei jedem Wetter. «Bei diesem Beruf musst du gern draussen sein», sagt der Südtiroler und lacht.
Solange er etwas zu tun habe, machten ihm Minustemperaturen wie in den letzten Wochen nichts aus. «Aber wenn’s einen Unterbruch gibt, dann wird’s richtig kalt. Da helfen die besten Handschuhe nichts.» Am schlimmsten sei mal ein Auftrag in Hamburg gewesen, von Januar bis März: Regen und Wind bei null Grad, und das den ganzen Tag. «Da hab ich schon überlegt, was ich da überhaupt mache.»
VIER TONNEN KRAFT. Was er macht, und zwar gern, ist neue Kabel einziehen. Den ersten Zug macht ein Helikopter. Der spannt ein Nylonseil von Mast zu Mast. Damit ziehen die Monteure ein Stahlseil nach, dann eventuell noch ein dickeres Stahlseil, schliesslich das schwere Kabel. Das sei nötig, erklärt Hopfgartner mit zwei Zahlen: «Wir ziehen bis zu drei Kilometer Kabel aufs Mal ein. Weil es zwischen den Masten durchhängt, braucht es die Kraft von etwa vier Tonnen, um es zu ziehen. Das wäre zu viel für das Nylonseil.»
Gezogen wird das Kabel von einer schweren Seilwinde. Es ist diese Arbeit, die den Monteur fasziniert. Denn das Kabel darf nicht zu stark gespannt sein, aber auch nicht den Boden berühren. «Da hat man nicht viel Bedenkzeit», sagt er. «Und wenn’s schiefgeht, kann’s Tote geben.» Etwa, wenn das Kabel zu stark durchhängt und darunter eine Autobahn ist. Oder eine andere Leitung, die man nicht ausschalten kann. Da gilt es, die Maschine rechtzeitig zu stoppen. Drum sei diese Arbeit «immer ein bisschen Action», sagt Hopfgartner und grinst. «Das kann nicht jeder. Es braucht ein Talent, ein Gespür für die Maschine.»
Etwa drei Monate arbeiten Hopfgartner und seine Mannen – eine Monteurin kenne er nur in Deutschland, «glaub’s die einzige in Europa» – an einer Leitung, manchmal auch länger. Dann geht’s zum nächsten Auftrag.
50 METER OB BODEN. Auch das gefalle ihm an dem Job, sagt er: «Jeden Tag in die Fabrik, das würde ich nicht machen. Hier komme ich immer wieder an einen neuen Ort.» Meist irgendwo in der Schweiz, manchmal auch in Deutschland, Österreich oder Frankreich. Für die Dauer des Projekts wohnen die Monteure im Hotel. Am Freitagmittag beginnt das Wochenende – erst dann fahren die Männer nach Hause.
Zwar gelte bei seinem Arbeitgeber, der Schweizer Leitungs- und Kabelbaufirma IED, grundsätzlich die 42-Stunden-Woche, sagt Hopfgartner. «Im Winter arbeiten wir aber weniger, im Sommer dafür mehr – meist 10 oder 11 Stunden am Tag, wenn es das Tageslicht zulässt.»
Und das ist streng. Die Masten stehen oft in unwegsamem Gelände. Dann beginnt und endet der Arbeitstag mit einem Fussmarsch querfeldein, bepackt mit Klettergurt und Werkzeug. Dann den Mast hoch, manchmal 20 Meter, manchmal 50. Am Abend seien seine Batterien leer, sagt der Chefmonteur: «Um neun, spätestens um zehn, leg ich mich aufs Ohr.»
Früher sei das alles kein Problem gewesen. Aber jetzt, mit 41, sei ihm klar: Er werde nicht bis 65 die Masten hochklettern. In der Branche will er aber bleiben, etwa als Projektplaner oder Berater, «die Erfahrung habe ich ja». Und sagt etwas wehmütig: «Wir müssten auch mit 60 in Rente gehen können wie die Bauarbeiter.»
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30-METER-STURZ. Dazu komme das Unfallrisiko. Zwar sei er auf dem Mast immer gesichert. «Aber wenn irgendetwas bricht …» Etwas zögernd erzählt er, was vor Jahren passiert sei: «Ich arbeitete am Boden, mein Kollege oben auf dem Mast. Plötzlich kracht’s hinter mir, und er fällt aus 30 Metern runter. Mitsamt der Leiter, an der er gesichert war.» Nur durch sehr viel Glück habe der Monteur überlebt, seither brauche er einen Stock zum Gehen. «Das gibt einem schon zu denken.»
Keine Sorgen macht er sich dagegen um seinen Job. Jahr für Jahr würden mehr Projekte ausgeschrieben, um alte Leitungen zu erneuern oder neue zu bauen. «Die vier Firmen in der Schweiz, die das machen, kommen gar nicht mehr nach.» Die Branche finde nicht genügend Monteure.
Und das sei wohl erst der Anfang. Denn damit die Wende von fossiler zu mehr erneuerbarer Energie gelinge, brauche es mehr Leitungen, die den ökologisch erzeugten Strom transportieren. Hopfgartner soll’s recht sein. Er sagt: «Wenn alle ein Elektroauto fahren, geht uns die Arbeit nicht aus.»
Alex HofpgartnerDrachen und Feuer
Vor bald 20 Jahren kam Alex Hopfgartner von Südtirol in die Schweiz. Seither baut er Stromleitungen für die Firma IED, die allerdings in der Zeit mehrmals den Namen gewechselt hat. Ursprünglich hat Hopfgartner Maurer gelernt. Noch daheim in Südtirol. Doch nach sieben Jahren wurde es ihm zu langweilig: «Das ganze Leben im selben Tal, das wär nix für mich.»
Er habe einen für Leitungsmonteure typischen Werdegang, sagt er: «Die meisten von uns kommen von einem Bauberuf. Nach drei, vier Jahren im Betrieb können sie hier fast alle Arbeiten erledigen.»
Tattoo. Nur an etwas hat er sich bis heute nicht gewöhnt: das Essen in den Schweizer Restaurants. Die pampigen Teigwaren. Die lampige Piccata, weil auf dem gleichen Teller serviert wie die Spaghetti mit Tomatensauce: «So was geht gar nicht!»
Jedes Wochenende fährt er nach Südtirol. Dort findet Hopfgartner, der im Beruf für Starkstrom sorgt, Entspannung: «Fernsehen, Playstation, mit Kollegen am Feuer sitzen.» Und ab und zu ein Besuch im Tattoo-Studio: Rund 20 Drachen in verschiedenen Grössen schmücken mittlerweile seinen Körper.
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