Die Stadt im Dreiländereck ist geprägt von der Geschichte der «Chemischen». Ein Rundgang durch das frühere Ciba-Areal zeigt die prekären Arbeitsbedingungen, die gewerkschaftlichen Erfolge und die ungewisse Zukunft.
GIBT EINBLICK IN EINE VERSCHWIEGENE BRANCHE: Der ehemalige Chemist Hans Heimann (70) in den Fabrikhallen auf dem Ciba-Areal. (Foto: CH Media / Juri Junkov)
Treffpunkt: Eingang zum Ciba-Areal, gleich vis-à-vis von der Tramhaltestelle. Das Areal im Basler Klybeck-Quartier betritt man durch ein grosses eisernes Tor. Doch Zutritt haben hier nicht alle: Im rostigen Portierhäuschen steht bei Wind und Wetter eine aufmerksame Wächterin. Mit dem Verein für Industrie- und Migrationsgeschichte der Region Basel werden aber einige der gut gehüteten Geheimnisse des Chemieareals für alle zugänglich. Der Verein, der von ehemaligen Chemiearbeitenden und ihren Angehörigen gegründet wurde, organisiert nämlich seit einigen Monaten Führungen und hat sogar ein Museum zur Basler Chemiegeschichte eröffnet.
Die Industriefeuerwehr steht noch immer für den Notfall parat.
VERSUCHE AN HAMSTERN UND HUNDEN?
Beim Betreten des Areals fallen zuerst drei grosse Kamine der ehemaligen Energiezentrale auf. Aus ihnen steigt schon lange kein giftiger Rauch mehr auf. Die ersten Chemiekamine entstanden mitten im Stadtzentrum. Dort liegen die Ursprünge der Basler Chemiegeschichte. An ersten chemischen Farben wurde schon im Jahr 1859 getüftelt. Doch den Gestank aus den Kaminen duldete die Nachbarschaft nicht lange. Und so zog die Farbproduktion ins Klybeck raus, fast an die Grenze zu Deutschland und Frankreich. Während die reichen Fabrikbesitzer näher an der Stadt hausten, entstand hinter dem Ciba-Areal ein Quartier für die stetig wachsende Belegschaft. Schaut man sich auf dem Ciba-Areal um, fallen die heruntergekommenen Gebäude auf. Führungsleiter Nicholas Schaffner sagt: «Die Mehrheit der Gebäude steht heute leer. Welche Altlasten hier noch schlummern, lässt sich kaum abschätzen.»
Einzig das Gebäude, das heute noch von der Novartis genutzt wird, sticht mit einer schicken, verglasten Fassade hervor. Zu Zeiten der Ciba sollen darin Tierversuche mit Hamstern, Katzen und Hunden stattgefunden haben. Das seien aber mehrheitlich Gerüchte, meint Schaffner. Zu verheimlichen gab es offenbar trotzdem etwas. So mussten die Arbeiterinnen und Arbeiter unterschreiben, in der Öffentlichkeit nicht über ihre Tätigkeiten bei der Ciba zu sprechen.
«Ich musste ohne Maske mit giftigen Stoffen hantieren.»
ERSTE STREIKS
Die gefährliche Arbeit mit den Chemikalien wurde mies bezahlt. Bereits 1913 kam es zu ersten Streiks. Die Gewerkschaftsbewegung wuchs und wuchs. Nach dem Landesstreik von 1918 organisierten die Basler Arbeiterinnen und Arbeiter sogar noch einen zweiten, lokalen Generalstreik. Das war im August 1919. Die Regierung schickte Soldaten, diese schossen wild um sich. Fünf Menschen starben. Auch nach den Streiks liessen die Arbeitsbedingungen noch zu wünschen übrig. Besonders zwischen den Weltkriegen litt die Basler Arbeiterklasse unter wirtschaftlicher Not. Denn trotz enormen Gewinnen zahlte die Chemiebranche weiterhin schlechte Löhne. Das verbesserte sich endlich mit dem ersten Gesamtarbeitsvertrag im Jahr 1945. Weiterhin ignoriert wurden dagegen die gesundheitlichen Risiken.
Verlässt man das Areal durch das grosse eiserne Tor, steht gleich gegenüber die ehemalige Fabrikhalle WKL 314, wo das Museum eingerichtet ist. Ausgestellt sind hier unter anderem auch persönliche Geschichten von Arbeiterinnen und Arbeitern. Die Zeitzeugen erzählen von ihrer Zeit beim Chemiewerk. Einer von ihnen ist Hans Heimann (70), Vereinspräsident und Mitorganisator der Ausstellung. In den 1970er Jahren absolvierte er eine Lehre als Cheminist. So hiessen damals Betriebsarbeiter nach zwei Jahren Ausbildung. Nach vier Jahren waren sie Chemikanten. Heimann erzählt: «Bei der Arbeit musste ich oft mit giftigen Stoffen hantieren. Eine Maske hatte ich nicht.»
DIE GEFAHR LAUERT WEITER
Gegen diese Gefahren wollte Heimann ankämpfen. Er sagt: «Ich war gewerkschaftlich sehr aktiv, was im Betrieb nicht gut ankam.» Heimann hat immer wieder gesundheitliche Gutachten verlangt. Doch nach fünf Jahren Ciba hatte er genug: «Mir wurde es irgendwann schlicht zu giftig.» Auch das Chemiewerk blieb nicht mehr lange bestehen. 1996 fusionierte Ciba-Geigy mit Sandoz. Aus den beiden grössten Basler Chemiewerken entstand Novartis. Danach wurde das Areal immer weniger genutzt, seit 2010 herrscht Stillstand. Nur noch wenige Verwaltungsgebäude werden von Schulen oder anderen Betrieben benutzt. Geblieben sind dagegen die giftigen Altlasten im Boden. Deshalb sind auf dem gesamten Areal grosse gelbe Sandsäcke zu finden. Sollte es zu einem Brand kommen, müssen diese über die Schächte gelegt werden. So wird verhindert, dass giftiges Löschwasser in den Rhein gelangt. Auch eine Industriefeuerwehr steht noch immer bereit.
Wegen Altlasten-Sanierung: Zoff ums Ciba-Areal
Das Ciba-Areal gleicht fast schon einer Geisterstadt. Während hier zu Spitzenzeiten mehrere Tausend Arbeiterinnen und Arbeiter das Stadtviertel belebten, stehen heute die alten Backsteingebäude leer. Die Umnutzung des Chemieareals ist umstritten. Die Swiss Life schnappte sich einen Grossteil davon. Sie will hier neue Luxuswohnungen für fast 10 000 Menschen bauen. Der Deal: Weder die Pharmaindustrie noch die Stadt muss sich dafür um die Sanierung der giftigen Altlasten kümmern.
STRENGERE REGELN. Doch diesem Plan kam der Mieterinnen- und Mieterverband in die Quere. Seine Wohnschutzinitiative wurde in Basel knapp angenommen und fordert: strengere Bewilligungspflicht für Sanierungen, Um- und Neubauten. Über die genaue Umsetzung der Initiative wird aber noch gestritten. Das Profitprojekt von Swiss Life und besonders ihren Investorinnen und Investoren könnte daher auf der Kippe stehen. (dak)
Stellungnahme Stellungnahme der Rhystadt AG
Die Rhystadt AG als wichtigste Eigentümerin des Klybeck-Areals legt Wert auf folgende Feststellungen: «Anders als aus dem vorliegenden Artikel geschlossen werden könnte, sind die Gebäude auf dem Klybeck-Areal zu rund 80 Prozent in Betrieb und vermietet. Schon heute gehen hier jeden Tag Tausende Menschen ein und aus, um zu arbeiten, zu forschen oder sich auszubilden. In Punkto Altlasten gehört das Areal zu den bestuntersuchten der Schweiz, die historischen Belastungen durch die chemische Produktion sollen gesetzeskonform beseitigt werden. Die Regierung und der Kanton Basel-Stadt als Planungspartner lehnen die Initiative «Basel baut Zukunft» ab, weil sie die Transformation und damit bezahlbaren Wohnraum verhindern würde und arbeiten deshalb an einem Gegenvorschlag.»
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