Der Internationale Gewerkschaftsbund (IGB) wird nicht mehr von Luca Visentini geführt. Eine allfällige Rückkehr hat sich der Italiener selbst verbaut – mit fragwürdigen Äusserungen zum Korruptionsvorwurf gegen ihn.
ZUKUNFT UNGEWISS: Unter den internationalen Gewerkschaften verliert IGB-Chef Luca Visentini zusehends an Rückhalt. (Foto: Matio Salerno/ETUC)
Das Bestechungsgeld sass sehr locker in Brüssel. Gleich sack- und kofferweise lagerten begünstigte EU-Abgeordnete die Notenbündel zu Hause. 1,5 Millionen Euro fand die belgische Polizei im Rahmen ihrer Grossrazzia vom 9. Dezember (work berichtete: rebrand.ly/geschmiert). Weitere Vermögenswerte konfiszierten die Behörden später in Italien und Griechenland. Und im Steuerparadies Panama müssen die Fahnderinnen und Fahnder neuerdings nach weiteren 20 Millionen Euro suchen. Diese sollen aus Katar direkt auf ein Konto von Eva Kaili geflossen sein. Die abgesetzte EU-Parlamentspräsidentin sitzt derweil noch immer in Untersuchungshaft. Ebenso ihr Lebensgefährte Francesco Giorgi.
Dieser hat unterdessen ein Teilgeständnis abgelegt. Seither ist bekannt, dass nicht nur das Emirat hinter der Bestechungsaffäre steckt, sondern wohl mindestens so sehr das Königreich Marokko. Sein Militärgeheimdienst soll 2019 Giorgi sowie die beiden damaligen EU-Abgeordneten Andrea Cozzolini und Antonio Panzeri angeheuert haben. Ihr Auftrag: Beeinflussung der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion für marokkanische Interessen. Panzeri und Giorgi gründeten darauf die Tarn-NGO «Fight Impunity». Darüber verteilten sie grosszügig Geld an ausgewählte Schlüsselpersonen. Unter den Begünstigten war auch Luca Visentini, damals Chef des Europäischen Gewerkschaftsbunds (EGB).
Aufnahmen zeigen, wie Visentini zwei pralle Couverts annimmt.
«WIE BEI OCEAN’S ELEVEN»
Es geschah am 10. Oktober 2022 – mitten in Visentinis erfolgreichem Wahlkampf für den Vorsitz des Internationalen Gewerkschaftsbunds (IGB). Der bald höchste Gewerkschafter der Welt war zu Gast bei Antonio Panzeri in Brüssel. Was die beiden nicht wussten: Panzeris Wohnung war verwanzt und videoüberwacht – dies zumindest berichtet die Zeitung «Repubblica». Demnach zeigen die Aufnahmen, wie der Politiker dem Gewerkschaftschef zwei pralle Couverts übergibt. Auf ihnen prangt – saisongerecht – ein Samichlaus. Der Inhalt: Hunderte grosse Euro-Scheine. Panzeri scherzt noch: «Wir sehen aus wie diese Typen bei Ocean’s Eleven!» Tatsächlich entwickelt sich einiges wie im Ganovenfilm.
Einen Monat später schlägt die Polizei zu. Auch Visentini wird verhaftet. Doch anders als die meisten Beschuldigten wird er nach 48 Stunden unter Auflagen entlassen. Visentini zeigt sich schockiert: Er sei von «Kriminellen» beschuldigt worden, habe nichts von Panzeris wahren Absichten gewusst und sei wohl deshalb ins Visier der Justiz geraten, weil er gutgläubig an einigen Initiativen von «Fight Impunity» teilgenommen habe. Dass er Geld angenommen hatte, verschwieg Visentini zu diesem Zeitpunkt. Dafür behauptete er: «Gegen mich wird nicht ermittelt.» Anders tönt es heute von seiner Anwältin.
SPÄTES EINGESTÄNDNIS
Gegen ihren Klienten werde zwar nicht wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung ermittelt, aber durchaus wegen angeblicher Geldwäsche und Korruption. Visentini gerät nach der Haftentlassung jedenfalls unter Druck. Am 14. Dezember suspendiert er sich als Generalsekretär des IGB selbst. Zwei Tage später gesteht er, von Panzeri «Spenden in der Höhe von wenigen Tausend Euro» erhalten zu haben. Das Geld habe er in seinen Wahlkampf gesteckt. Konkret habe er IGB-Delegierten aus ärmeren Ländern geholfen, die Reisekosten an den IGB-Wahlkongress in Melbourne, Australien, zu finanzieren. Eine heikle Angelegenheit – auch weil in Belgien Barzahlungen über 3000 Euro verboten sind.
Am 19. Dezember erscheint schliesslich die «Repubblica»-Recherche über die prallen Samichlaus-Couverts. Nun erklärt Visentini, er habe «gegen 50 000 Euro» erhalten. Und: «An diese Spende waren keinerlei Bedingungen geknüpft, und auch ich habe keine Gegenleistung für das Geld verlangt.» Zudem habe es nie einen Korruptionsversuch hinsichtlich seiner Positionen zu Katar gegeben. Unter anderem das wollen EGB und IGB nun genauer wissen. Beide Dachverbände haben externe Untersuchungen angeordnet. Auffälligkeiten gibt es nämlich durchaus.
Am 11. März entscheidet sich, ob der IGB-Chef definitiv gehen muss.
SGB FORDERT RÜCKTRITT
So ist die ursprünglich laute Katar-Kritik des IGB kurz vor WM-Anpfiff praktisch verstummt. Mehr noch: Bloss zwei Wochen nach Panzeris Geldgeschenk sagte der angehende IGB-Chef Visentini, die Wüsten-WM sei hinsichtlich der Arbeitsbedingungen «eine Erfolgsgeschichte». Noch weiter ging seine Vorgängerin Sharan Burrow: Die katarische Regierung und der IGB seien «wertvolle Freunde geworden».
In der internationalen Gewerkschaftsbewegung hat sich Visentini jedenfalls einen herben Vertrauensverlust eingebrockt. Auch wenn die Unschuldsvermutung gilt, schmilzt sein Rückhalt zusehends. Die deutschen und französischen Verbände verlangen seine sofortige Absetzung. Und auch der Schweizerische Gewerkschaftsbund spricht sich für einen Rücktritt aus. SGB-Sprecher Benoît Gaillard erklärt: «Aus unserer Sicht ist Luca Visentini nicht mehr in der Lage, die Interessen der Arbeitnehmenden effektiv und glaubwürdig zu vertreten.» Ob die Karriere des 54jährigen tatsächlich am Ende ist, zeigt sich spätestens am 11. März. Dann enden Visentinis Zwangsferien, und der Generalrat des IGB verkündet sein Urteil.