Neuer Bau-Vertrag sorgt für heftige Diskussionen

Bauarbeiter sagen Ja, aber …

Jonas Komposch

Die Unia-Bauarbeiterkonferenz gibt grünes Licht für den neu ausgehandelten Landesmantelvertrag. Glücklich ist man trotzdem nicht – und will jetzt in die Offensive.

WEITERKÄMPFEN: Die Bau-Büezer sagen Ja zum Verhandlungsergebnis des Landesmantelsvertrags. Doch sie wollen raus aus der Defensive. (Foto: Thierry Porchet)

Mit Spannung wurde sie erwartet, teils sogar mit Nervosität: die Unia-Bauarbeiterkonferenz vom 10. Dezember in Bern. Die grosse Frage: Werden die Baubüezer das Verhandlungsresultat zum neuen Landesmantelvertrag (LMV) durchwinken? Endgültige Klarheit schuf erst die Abstimmung per Zettel. Dann aber stand fest: Ja, das Resultat wird angenommen. So wollte es die Mehrheit der 150 Bauarbeiter-Delegierten aus der ganzen Schweiz. Auch die Basis der Syna gab gleichentags ihr Okay.

Definitiv gesichert ist der LMV damit noch nicht. Es fehlt die Zustimmung der Baumeister-­Delegierten, die erst am 13. Januar tagen. Dass sich dort die enttäuschten Hardliner durchsetzen, ist nicht völlig ausgeschlossen. Denn es ist nicht ohne, was das 16köpfige Verhandlungsteam um Unia-Bauchef Nico Lutz herausgeholt hat.

Die zentralen Angriffe der Baumeister wurden auf ganzer Linie abgewehrt. Nämlich:

  • Keine Lohnkürzungen bei älteren Bauarbeitern, keine Verschlechterung ihrer Kündigungsfristen.
  • Der Arbeitszeitkalender mit seinen Mindest- und Maximalarbeitszeiten bleibt bestehen, Arbeit auf Abruf bleibt verboten.
  • Und auch die 58-Stunden-Woche bleibt Wunschdenken einiger Meister.

Obendrauf winken einzelne Verbesserungen (Übersicht: rebrand.ly/lmv23). Darunter die Pflicht für Erstunternehmer, ihre Subunternehmer zu kontrollieren. Dazu Bussen für Firmen, die das nicht tun. Doch es gibt ein grosses Aber, wie die Kongressdiskussion sofort zeigt.

«Die Gesundheit und das Familienleben der Arbeiter stehen nicht zum Verkauf.»

LÖHNE IN DER KRITIK

Ans Rednerpult tritt Bruno Almeida: «Wir aus der Waadt sind gar nicht zufrieden!» ruft er in den Saal und erklärt: «Wir haben bloss das Bestehende verteidigt – wenn überhaupt!» Almeida trifft einen wunden Punkt. Das zeigt der Applaus. In der Tat kam kaum eine Büezer-Forderung durch.

So gibt es auch künftig keinen griffigen Schutz vor Hitze, Schlechtwetter und Termindruck. Ebenso lassen eine Arbeitszeitreduktion und mehr Ferien auf sich warten. Und sogar der rechtlich äusserst wacklige Stundenklau mit der Reisezeit bleibt. Heisst: Fahrten von Bude zu Baustelle müssen weiterhin erst ab 30 Minuten bezahlt werden.

Für Diskussionsstoff sorgt auch die Lohnentwicklung: Pro Monat gibt es nur 150 statt wie gefordert 260 Franken mehr für alle. Die Mindestlöhne steigen um 100 Franken. Beides ist zu wenig angesichts der Produktivitätssteigerung der letzten Jahre. Und erst recht angesichts der hohen Inflation. Der Zürcher Maurer Marius Käch bringt es auf den Punkt: «Für die allermeisten von uns bedeutet das eine Reallohnkürzung!» Chris Kelley, Co-Leiter Bau bei der Unia, widerspricht dem nicht, gibt aber eines zu bedenken: «Die Baumeister machten die Höhe des Lohnes abhängig von un­serer Bereitschaft, den Vertrag zu verschlechtern. Doch für uns war immer klar – die Gesundheit und das Familienleben der Arbeiter stehen nicht zum Verkauf!»

DIE WAADT WILL’S WISSEN

Und noch etwas machte Kelley klar: Eigentlich hätten die Meister noch viel tiefere Ansätze durch­drücken wollen: «Bei den Mindestlöhnen verharrten sie bis Mitternacht auf einem Plus von bloss 60 Franken. Erst dann gaben sie nach und akzeptierten 100.» Auch wenn die Lohnerhöhung un­befriedigend sei, liege sie im Branchenvergleich bei den höchsten dieses Jahres. Auch für den Freiburger Arbeiter Jorge Casal war «klar, dass der Lohn nicht stimmt». Doch als Basisvertreter in der Verhandlungsdelegation habe er die Meister selbst erlebt: «Mehr lag bei denen wirklich nicht drin!» Und zudem sei es immerhin eine Lohnerhöhung nach zwei Jahren mit Nullrunden. «Wir dürfen auch stolz sein.» Tosender Applaus!

Letztlich lief aber alles auf eine einzige Frage hinaus: Würde man durch die Ablehnung des Resultats und eine erneute Streik- und Protestwelle mehr herausholen können? Die Meinungen gingen auch hier auseinander. Doch den Hosenlupf wagen wollten zuletzt nur Vereinzelte und die Delegierten ­aus der Waadt, der zurzeit stärksten Bauarbeiter­bastion der Schweiz. Die heisse Abstimmung verfolgte auch ein sichtlich faszinierter Pierre-Yves Maillard.

MAILLARDS LOB

Der Präsident des Schweizerischen Gewerkschafts­bunds (SGB) war als Ehrengast geladen und lobte die Diskussionskultur der Bauleute als «überwäl­tigendes Beispiel der Gewerkschaftsdemokratie». Als Waadtländer verstehe er seine kämpferischen Kantonskollegen gut. Aber so oder so sei schon Grosses erreicht worden – und zwar für das ganze Land. Der Bauarbeiterkampf habe nämlich Auswirkungen bis auf die Verhandlungen zum Rahmenabkommen mit der EU. Denn: «Wer den Schwei­zer Lohnschutz schwächen will, muss den SGB schwächen, heisst, die Unia schwächen, heisst, die  Bauarbeiter schwächen.» Das ist erneut nicht gelungen.

Doch die Bauleute wollen raus aus der Defensive und rein in die Offensive. Das zeigte die Berner Konferenz klar, etwa am Beispiel einer Resolution aus der Waadt. Sie verlangt von der Gewerkschaftsleitung, noch diesen Winter eine nationale Maurer-Arbeitsgruppe einzuberufen. Diese soll Pläne schmieden, um die Mobilisierungsfähigkeit in allen Landesteilen zu verbessern. Denn die regionalen Unterschiede seien heute «immens». Das führe zu «halbherzigen Ergebnissen» und bei den Streikenden zu Frust. Annahme ohne Gegenstimme!

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