Swatch-Verkäuferin Gabrielle Durand (32) wurde Mutter – und bekam die Kündigung. Jetzt muss der Konzern eine Entschädigung bezahlen:

«Vor Gericht zu gehen hat sich gelohnt»

Christian Egg

Kaum aus dem Mutterschaftsurlaub zurück, stellte Swatch die Verkäuferin Gabrielle Durand* kaltschnäuzig auf die Strasse. Eine weitere Mutter genauso. Jetzt hat das Gericht den Uhrenkonzern wegen Diskriminierung verurteilt. Ein wichtiger Sieg für die Gleichstellung!

ERFOLGREICH GEWEHRT! Verkäuferin Gabrielle Durand hat den Uhrenkonzern Swatch wegen Diskriminierung verklagt – und für alle jungen Mütter einen wichtigen Sieg errungen. (Foto: Jean-Michel Etchemaïté)

Merkwürdig, dachte die Verkäuferin Gabrielle ­Durand*, als sie am Morgen des 14. August 2020 am Swatch-Stand im Genfer Manor-Warenhaus ankam, wo sie seit vier Jahren arbeitete. «Mein Chef grüsste mich kaum, das ist sonst nicht seine Art.» Und eine halbe Stunde später tauchte der Regionalverantwortliche der Swatch Group auf. «Da merkte ich: Irgendetwas ist im Busch.»

Kurz darauf fordert ihr Vorgesetzter sie auf, mit ihm in den vierten Stock zu kommen. Die Chefetage. Im Lift nach oben sagt er kein Wort. Er sei angespannt gewesen, erinnert sich Durand, «total gestresst». Jetzt bekommt auch sie Herzklopfen. Erst zwei Wochen vorher hat sie die Ar­beit wieder aufgenommen, nach einer schwierigen Schwangerschaft und dem Mutterschaftsurlaub. Sie ist sich keines Fehlers bewusst. Im Gegenteil: Ein Zwischenzeugnis aus dem Jahr zuvor lobt sie als «engagierte und vielseitig einsetzbare Verkäuferin», «respektvoll und gewissenhaft». Swatch hoffte damals, «sie noch lange in unseren Reihen zu haben».

11 Prozent aller berufstätigen Mütter stehen nach dem Mutterschaftsurlaub ohne Job da.

«DAS WAR DEMÜTIGEND»

Oben im Büro erwartet sie die Personalverantwortliche. Und teilt ihr mit, dass Swatch das Arbeitsverhältnis beende. Sie sei per sofort freigestellt und solle bitte ihren Arbeitsplatz räumen. Sie schlägt Durand vor, ihren Kolleginnen zu sagen, dass sie selber gekündigt habe. Das lehnt Durand jedoch ab. Wieso sollte sie lügen? Dann sagt die Personalverantwortliche noch: «So haben Sie mehr Zeit, sich um Ihr Kind zu kümmern.»

Unter Tränen informiert Durand ihre Kolleginnen – mitten im Laden, vor der Kundschaft. Kurz darauf verlässt sie ihren Arbeitsort. In der Hand eine Schachtel mit ihren Sachen. «So wie man’s in Filmen sieht. Das war demütigend.»

WIEDERHOLUNGSTÄTER

Exakt einen Monat später verfährt Swatch mit ­Catherine Moreau* genau gleich. Auch sie ist Verkäuferin am gleichen Ort wie Durand, auch sie hat hervorragende Qualifikationen, wurde sogar kürzlich befördert, auch sie ist kürzlich Mutter geworden. Und Swatch entlässt auch Moreau kurz nach Ende des Mutterschaftsurlaubs. Knall auf Fall.

Doch die beiden Frauen, beide Anfang 30, wehren sich. Mit Hilfe der Unia klagen sie vor dem Genfer Arbeitsgericht. Gestützt auf das Gleichstellungsgesetz. Und haben jetzt recht bekommen! Das Gericht hat Swatch in beiden Fällen wegen miss­bräuchlicher Kündigung verurteilt. Die Uhrenfir­­ma muss sowohl Durand als auch Moreau mehrere Monatslöhne Entschädigung zahlen.

Swatch hatte vor Gericht argumentiert, die Kün­digungen seien nicht wegen der Mutterschaft erfolgt. Sondern bei Durand wegen vieler krankheitsbedingter Absenzen vor der Schwangerschaft und bei Moreau, weil sie einer Kundin eine Uhr vor dem offiziellen Verkaufstermin verkauft habe. Doch das Gericht kommt in beiden Fällen klar zu einem ande­ren Schluss: Swatch habe «keinen objektiven Grund» für die Entlassung aufzeigen können. Umgekehrt hätten die Frauen mit zahlreichen Tatsachen und Aussagen von Zeuginnen und Zeugen «die Wahrscheinlichkeit einer Diskriminierung bewiesen».

Das Urteil ist rechtskräftig. Swatch hält zwar weiter an seiner Version fest, gab aber bekannt, die Urteile nicht weiterziehen zu wollen.

VIEL ZU WENIG ENTSCHÄDIGUNG!

Für die beiden Frauen sind die Gerichtsentscheide eine grosse Erleichterung. Sie habe vor Freude geweint, gesteht Catherine Moreau: «Sie wollten uns die Schuld in die Schuhe schieben. Aber wir haben uns beide gewehrt und gewonnen. Das ist unsere Revanche!» Auch Gabrielle Durand findet, es habe sich gelohnt, gegen ihre «brutale» Entlassung vorzugehen. Allerdings ist sie nach wie vor auf Stellensuche. «Ich habe immer gearbeitet, das ist in meiner DNA. Swatch hat mir das weggenommen. Die Entschädigung, die ich jetzt bekomme, die paar Monatslöhne, das macht den Verlust nicht wett.» Das Problem ist längst bekannt: Auch wenn eine Kündigung missbräuchlich ist – als Entschädigung gibt’s laut Gesetz maximal sechs Monatslöhne. Viel zu wenig, fanden die Unia-Mitglieder im Genfer Regionalvorstand schon im letzten Winter. Ihre Resolution fordert: entweder bis zu zwei Jahreslöhne oder, falls der oder die Entlassene es wünscht, das Recht, an den Arbeitsplatz zurückzukehren. Dazu passt der Entscheid des Unia-Kongresses 2022, eine Initiative für einen besseren Kündigungsschutz vorzubereiten (siehe Box).

Unia fordert: Besseren Kündigungsschutz

Am 26. Februar dieses Jahres stellten die De­legierten am Unia-Kongress die Weichen. Aus vier Themen entschied sich die Mehrheit für einen besseren Kündigungsschutz. Der ist in der Schweiz so schlecht wie in fast keinem anderen Land. Besonders Frauen nach dem Mutterschaftsurlaub, ältere Arbeitnehmende sowie Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus haben ein erhöhtes Risiko, auf die Strasse gestellt zu werden.

RÜGE FÜR DIE SCHWEIZ. Auch für engagierte Mitglieder einer Gewerkschaft oder einer Personalkommission braucht es mehr Schutz – das geltende Recht brachte der Schweiz schon mehrmals eine Rüge der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) ein. Gemäss dem Kongressbeschluss setzt sich die Unia jetzt beim Schweizerischen Gewerkschaftsbund (SGB) für eine Volksinitiative zum Thema ein. Über den Antrag wird am 25./26. November der SGB-Kongress entscheiden – oberstes Organ der Schweizer Gewerkschaftsbewegung.

RICHTER KENNEN GESETZ NICHT

Auch wenn die Verfassung seit mehr als 40 Jahren jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verbietet: Immer wieder kündigen Firmen Frauen kurz nach dem Mutterschaftsurlaub. Eine Studie ergab im Jahr 2018, dass elf Prozent der frischge­backenen Mütter entweder entlassen wurden oder der Arbeitgeber vorschlug, das Arbeitsverhältnis «im gegenseitigen Einverständnis» zu beenden.

Doch immerhin zeigt die jüngere Vergangenheit: Wer sich gegen eine diskriminierende Kündigung wehrt, kann mit einer Entschädigung rechnen. Allerdings kommt es öfter zu einem Vergleich als zu einer Klage. Denn: Die Hürden, um die Gleichstellung vor Gericht erfolgreich durchzusetzen, sind nach wie vor sehr hoch. Auch, weil die Rich­terinnen und Richter das Gleichstellungsgesetz zu wenig gut kennen (work berichtete: rebrand.ly/lohnklagen). Umso wichtiger deshalb der Sieg von Gabrielle Durand und Catherine Moreau!

Ihre Rechte als Schwangere und Mutter: rebrand.ly/mutterschaft

*Namen geändert

1 Kommentar

  1. Anne

    Danke an diese mutigen Frauen, die sich wehren und solche Diskriminierungsfälle – von denen ich im Umfel auch schon erlebt habe – nicht auf sich beruhen lassen.

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