So machen die Gewerkschaften Druck

Streik an Teherans Lebensader

Jonas Komposch

Irans Protestwelle hat längst auch Fabriken und Raffinerien erreicht. Obwohl das Land kein Streikrecht kennt.

MUTIGE ÖLARBEITER: Schon 2021 streikten sie für mehr Lohn. (Foto: Niag)

Über 1000 Streiks und mehr als 4000 Arbeitsproteste seit 2018 – so lautet die letzte Bilanz von HRAI, einer iranischen Dokumentationsstelle für Menschenrechte. Sie beobachtet die Streikbewegungen im 86-Millionen-Land seit Jahren – und stellte schon im ­April fest: Streiken liegt im Trend! Denn über drei Viertel der gezählten 1000 Arbeitsniederlegungen fanden erst ab 2021 statt. In diesen Zahlen noch nicht enthalten sind die aktuellen Streiks. Über sie dringt nur wenig ins Ausland. Teheran zensiert die Medien massiv und hat überdies Netzwerke wie Youtube, Twitter und Facebook blockiert. Auch Messengerdienste wie Whatsapp sind gesperrt. Komplett dicht ist die Informationssperre aber nicht.

Als am 10. Oktober nach den Lehrerinnen und Lehrern auch Ölarbeiter zu streiken begannen, verbreiteten sich entsprechende Internetvideos im Nu. Etwa jenes vom petrochemischen Werk in Asalouyeh in Südiran: Zu sehen sind Hunderte Arbeiter, wie sie Strassensperren errichten und «Tod dem Diktator» rufen. Tags darauf tauchte ein neues Video auf: Streikende Ölarbeiter in Abadan, der grössten Raffinerie des Landes. Auch sie übernahmen eine Parole der protestierenden Jugend: «Es ist das Jahr des Blutes. Khamenei wird gestürzt!»

Öl und Gas sind die wichtigsten Geldquellen der Regierung.

200 ÖLARBEITER VERHAFTET. Mindestens sechs weitere Grossbetriebe des Öl- und Gassektors schlossen sich an. Vor diesen Arbeitern fürchtet sich das Regime unter Staatschef Khamenei am meisten. Denn sie werken an seiner Lebensader: Gas- und Ölexporte sind die Haupteinnahmequelle Teherans. Aber für Nervosität dürfte auch der Streik in einem der grössten Stahlwerke gesorgt haben. Oder jener in der grössten Zuckerfabrik. Die meisten Streiks dauern aber offenbar nur kurz an. Das hat auch mit der misslichen Lage der Gewerkschaften zu tun.

Organisationsfreiheit existiert nicht in der Islamischen Republik, ein Streikrecht schon gar nicht. Vom Staat anerkannt werden nur sogenannt islamische Räte. Darin haben nicht nur Arbeitende Einsitz, sondern auch Chefs und Staatsvertreter. Ziel ist die «Verbreitung der islamischen Kultur» und das Melden von «Betriebsstörungen und unerwünschten Vorfällen». Ausserdem sollen Mitglieder das Prinzip der religiösen Führerschaft anerkennen. Dennoch konnten sich hie und da auch echte Gewerkschaften behaupten. Ihre Exponentinnen und Exponenten leben aber brandgefährlich. Sie riskieren Haft, Folter und sogar die Todesstrafe. Die aktuelle Streikbewegung wollen die Mullahs jedenfalls im Keim ersticken. Laut der Londoner Zeitung «Iran International» hat die Polizei bereits über 200 Streikende verhaftet – kaum zufällig Ölarbeiter.

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